Im Februar diesen Jahres veröffentlichten die Freundinnen und Freunde der klassenlosen Gesellschaft den Text "Krisenlösung als Wunschkonzert“ in der Zeitschrift »analyse und kritik« in der Hoffnung, eine Debatte über die Wirtschaftskrise anzustoßen und einige Illusionen, wie diese zu lösen wäre, zu kritisieren. Daraufhin erschienen in der »ak« Antworten von Dario Azzellini, Anna Dohm, Alexander Gallas und Jörg Nowak sowie Ingo Stützle. Die Freundinnen und Freunde der klassenlosen Gesellschaft resümieren nun diese Zugaben zum Wunschkonzert.
In der Zeitschrift Analyse und Kritik (ak580) haben wir versucht, eine Debatte über die Positionen jener Linken anzustoßen, die sich für Linksparteien begeistern und zum Teil ernsthaft glauben, eine alternative Wirtschaftspolitik könne die Krise des Kapitals lösen und zugleich Europa in ein Arbeiterparadies verwandeln. Mit unserem Anliegen sind wir leider gescheitert, denn in den Antworten wird kaum auf unsere Argumentation eingegangen – eine Debatte fand nicht statt.
Eine Ausnahme ist Anna Dohm (ak582), die mit ihrem Beitrag immerhin den Blickwinkel erweitern will. „Geschenkt“, meint sie lapidar zu unserer Kritik des Keynesianismus, um dann die Krise der Reproduktion in den Fokus zu rücken. Wir schenken ihr im Gegenzug viele der von ihr angesprochenen Punkte. Wie sich die Krise auf die geschlechtsspezifische Trennung zwischen Lohnarbeit und Hausarbeit auswirkt, sollte nicht außer Acht gelassen werden. Und dass die Menschen in Griechenland vor der drängenden Frage stehen, wie die Reproduktion in Zeiten einer kollabierenden Wirtschaft überhaupt noch organisiert werden kann, versteht sich von selbst.
Allerdings scheint uns nebulös, was Dohm mit der „Staatsform als umkämpftes Feld“ meint, zumal sie schreibt: „Wenn der Staat hierzulande etwas Gutes gebracht hat, dann die diversen sozialen Absicherungen“. Natürlich lebt es sich für die Lohnabhängigen mit Gesundheitsversorgung besser als ohne, und natürlich muss man allen Kürzungen in den Sozialbudgets entgegentreten. Kern unserer Überlegungen war es aber gerade, dass erfolgreiche Kämpfe an dieser Front die Krise verschärfen, nicht, wie die Linkskeynesianer meinen, überwinden würden, der Staat also insofern zwar „umkämpft“, aber kein beliebig in den Dienst der einen oder der anderen Klasse zu stellender Apparat ist. Genau das aber unterstellt erfahrungsgemäß die Rede vom Staat als einem „umkämpften Feld“. Bei uns kommt daher der Verdacht auf, dass Dohm uns die Kritik des Keynesianismus nur scheinbar geschenkt hat, um sich nicht damit beschäftigen zu müssen. Immerhin ist sie in der Interventionistischen Linken aktiv, in deren Dunstkreis die von uns kritisierten linkskeynesianischen Illusionen ja gerade munter vertreten werden.
Bei uns kommt daher der Verdacht auf, dass Dohm uns die Kritik des Keynesianismus nur scheinbar geschenkt hat, um sich nicht damit beschäftigen zu müssen.
Mit Dario Azzellini (ak581) ist offensichtlich ein ausgewiesener Freund der Staatslinken in den Ring gestiegen. Er wähnt uns im Elfenbeinturm der Kritik und unterstellt uns, dass wir jedwede Praxis ablehnen würden. Ihm ist wohl entgangen, dass wir nicht etwa die Kämpfe der Proletarisierten kritisiert haben, sondern ihn selbst und ähnliche Vordenker, die voller Eifer ihre unerfüllbaren Hoffnungen auf eine soziale Krisenlösung in die Kämpfe tragen.
Er hält es für unnötig, auf unsere Feststellung einzugehen, dass an nennenswerte Reformen schlicht nicht zu denken ist, da die Krise den Handlungsspielraum derart einengt. Vielmehr sieht er eine „beschleunigte Umverteilung zugunsten des Kapitals“. Um das zu ändern, will er „den Staat nutzen“. Dabei steht er vor einem Problem, denn „es wäre absurd, ausgerechnet jetzt Hoffnungen auf staatliche Politiken zu richten, da der bürgerliche Staat [...] und das kapitalistische System in einer tiefen strukturellen Krise stecken und weltweit von Millionen Menschen als unfähig angesehen werden, diese im Interesse der Mehrheit zu meistern.“ Das Problem der Krise ist für ihn also in erster Linie, dass sie es schwieriger macht, die Menschen für sein reformistisches Programm zu begeistern. Auch weiß er, dass solche Politik nicht weit führt, denn „ein emanzipatorischer Transformationsprozess kann nicht mittels des Staatsapparates bewerkstelligt werden, da der Staat kein neutrales Instrument außerhalb der kapitalistischen Verhältnisse ist.“
Die Schwierigkeiten löst er auf einen Streich, indem er im folgenden Satz zum Salto mortale ansetzt: „Doch die weit verbreitete Gegenposition, jede Beziehung mit dem Staat zu verweigern, hat auch nicht zum gewünschten Erfolg geführt.“ Mit diesem schlagkräftigen Argument sind alle Zweifel weggewischt. Und da der Staat „in feindlichen Händen [...] die Entfaltung und Verbreitung emanzipatorischer Optionen“ bekämpft, möchte er diesen Staat lieber vertraulich in die Hände „freundlich gesonnener Kräfte“ legen. Fehlt eigentlich nur noch der Schritt, für einen aktiven Wahlkampf zu plädieren. Schon wird uns die Teilhabe am parlamentarischen Spektakel als die Praxis verkauft, die er ja bei uns vermisst hat.
Fehlt eigentlich nur noch der Schritt, für einen aktiven Wahlkampf zu plädieren. Schon wird uns die Teilhabe am parlamentarischen Spektakel als die Praxis verkauft, die er ja bei uns vermisst hat.
Dann begeistert er sich beispielsweise für die staatskapitalistische Farce in Venezuela. Dort seien „zahlreiche Kooperationen zwischen popularen antisystemischen Bewegungen und staatlichen Institutionen“ die Speerspitze der sozialen Umwälzungen. Ganz anders beschreibt Sergio López in Kosmoporolet 1, wie dort sogenannte Basisorganisationen, die der Eingliederung der Massen in das autoritäre System dienten, direkt vom Staat initiiert wurden. Wie der genannte Artikel ausführt (siehe auch Kosmoprolet 2), ist Venezuela trotz seines Ölreichtums vielmehr ein gutes Beispiel
dafür, wie fragwürdig die Erfolge des Reformismus sind. Als Höhepunkt seines Beitrags hält Azzellini unserer vermeintlichen „Reinheit der Kritik“ die Kämpfe gegen Zwangsräumungen entgegen, die wir gar nicht kritisiert hatten – im Gegenteil, wir begrüßen sie.
Bezeichnenderweise werden – wie auch in den anderen Diskussionsbeiträgen – materielle Verbesserungen und reformistische Politik gleichgesetzt. Sollten wir Proletarisierten durch eine Reform etwas besser über die Runden kommen (so unwahrscheinlich das in Zeiten der Krise auch ist) oder wenigstens die ein oder andere Verschlechterung abwehren können, würden wir uns darüber doch nicht beschweren. Das wäre allerdings auch nichts anderes als eine indirekte Lohnerhöhung. Etwas völlig anderes ist der Versuch, durch Mitmischen im parlamentarischen Politikzirkus zu versuchen, solche Reformen durchzusetzen – und auch noch zu glauben, man sei der klassenlosen Gesellschaft damit auch nur eine Handbreit näher gekommen. Da können noch so viele „Diskurse verschoben“ werden, es wird nie mehr als ein bisschen Sozialdemokratie herauskommen. In der nächsten Krise werden solche Reformen zwangsläufig Austeritätsprogrammen zum Opfer fallen. Noch absurder ist die Vorstellung, man müsse nur genug Menschen für den Reformismus begeistern, um eine revolutionäre Bewegung entstehen zu lassen. Die Linkspartei hat es im letzten Wahlkampf mit einem Plakat selbst auf den Punkt gebracht: „Revolution? Nein!“ war da zu lesen, damit auch der Letzte versteht, um was es dieser Partei nicht geht. Möglicherweise sind jene Linke anfälliger dafür, mit solchen Parteien zu klüngeln, die sich unter den Fittichen der Rosa-Luxemburg-Stiftung oder universitärer Institute verdingen, während sie versuchen, den Verhältnissen „auf die Schliche zu kommen“ (Stützle).
Laut Alexander Gallas und Jörg Nowak (ak582) braucht es „breite Bündnisse“ mit Gewerkschaften und linken Parteien, um den Bewegungen zum Sieg zu verhelfen, und zwar „schon aus demokratiepolitischen Gründen“ und „machtpolitischen Erwägungen“. „Starke Parteien können sich in die Konfrontation mit den Regierungen begeben“ – es fällt uns schwer, uns das Handgemenge im Bundestag auszumalen, das zur Abschaffung der Lohnarbeit führen wird. Diese Bündnisse, fahren sie fort, seien strategisch wichtig, da die politische Orientierung der Besetzungsbewegungen „häufig diffus“ sei, was unter dem heilenden Einfluss starker sozialdemokratischer Parteien sicher besser wird. Nebenbei könnten „Bewegungslinke und Aktivisten“ sogar „den etablierten Kräften [...] andere Aktionsformen nahe bringen.“ Herzlichen Glückwunsch!
Es fällt uns schwer, uns das Handgemenge im Bundestag auszumalen, das zur Abschaffung der Lohnarbeit führen wird.
Ingo Stützle (ak584), der uns eine „famose Politik im Konjunktiv“ vorwirft, geht nicht so weit. Er will sich aber auch nicht für oder gegen unsere Kritik entscheiden: Im Konjunktiv meint er in einer Art Gedankenexperiment, dass wir mit unserer Kritik richtig liegen könnten. Einen Absatz lang hält er sich dann an einem falsch verstandenen Satz auf, denn wenn wir schreiben, dass die Abwehrkämpfe gegen Austerität „die unausweichliche Sanierung der schwer lädierten Ökonomie blockieren“, eben weil sie die ohnehin kaum vorhandenen Spielräume des Kapitals noch verringern, dann gilt noch lange nicht der Umkehrschluss, dass die Wirtschaft ohne Kämpfe plötzlich boomen würde. Anschließend grübelt er über unsere Feststellung, dass die Bewegungen ihren reformistischen Theoretikern in einem gewissen Sinn voraus sind.
Endlich kommt er auf die entscheidende strategische Frage, „welche Rolle Linke spielen sollten, die fehlenden Verbindungen herzustellen zwischen Abwehrkämpfen [...] einerseits und Reflexion über die Verhältnisse [...] andererseits.“ Darüber wollen wir gern mit ihm diskutieren, sonst hätten wir kaum unseren Text geschrieben. Seine Antwort: Gestützt auf die Schultern von Gramsci und Foucault will er um „Deutungsmacht“ ringen. Wir glauben kaum, dass damit die Verhältnisse zum Tanzen zu bringen sind. Wie ein Oberlehrer erklärt er uns als Begründung, dass es so etwas wie Ideologien gibt. Das ist ulkig, denn wir hatten ja gerade die Ideologie einer Linken kritisiert, die mit ihren reformistischen Rezepten und ihrer Begeisterung für Gramsci „das falsche Bewusstsein der Abwehrkämpfe gegen die Austerität“ verkörpert, also nicht zuletzt Stützle selbst, wozu er lieber schweigt. Uns ist die Existenz von Ideologien also durchaus bekannt. Daraus folgt aber noch lange nicht, dass sich durch das muntere Verschieben von Diskursen die Verhältnisse ändern könnten.
Gestützt auf die Schultern von Gramsci und Foucault will Stützle um „Deutungsmacht“ ringen. Wir glauben kaum, dass damit die Verhältnisse zum Tanzen zu bringen sind.
Wenn er von „organisierten Lernprozessen“ spricht, hoffen wir, dass er damit nicht auch meint, man solle den kämpfenden Prols wider besseres Wissen falsche Hoffnungen auf eine soziale Krisenlösung qua Umverteilung machen, die sich dann zwangsläufig blamieren. Er kritisiert an uns einen Bezug auf spontane Revolten (und somit das Gegenteil des uns von Azzellini unterstellten Verharrens im Elfenbeinturm), obwohl es doch gerade bei diesen zu massenhaften Lernprozessen kommt.
In der Art, wie Stützle die Frage nach der Strategie stellt, zeigt sich eine Vorstellung, die er mit den anderen Autoren teilt. Die Linke wird als Avantgarde verstanden, die von außen kommend das Licht (mal reformerisch, mal revolutionär) in die Bewegungen trägt oder womöglich in Ermangelung einer Bewegung diese erst einmal aus der Taufe heben will. Vielmehr sind wir selbst Proletarisierte, die gezwungen sind, der Lohnarbeit nachzugehen, auch wenn das nicht immer in der Fabrik ist. Als solche bemühen wir uns gemeinsam mit Genossinnen und Genossen in aller Welt um die Selbstabschaffung des Proletariats.
So haben wir vor einigen Jahren geschrieben: „Avantgarde sind schlicht die, die im richtigen Augenblick das Richtige tun und so die Möglichkeiten, die in den versteinerten Verhältnissen liegen, ans Tageslicht bringen. Für die versprengten Unzufriedenen, die sich in tristen Zeiten in kommunistischen Zirkeln zusammenfinden und gelegentlich lange Thesen verfassen, bedeutet dies [...], dass sie es ablehnen zu taktieren, um 'Glaubwürdigkeit' zu buhlen und sich bei irgendwem mittels 'realistischer' Programme anzubiedern, um ihre Trennung von der Masse der Lohnabhängigen zu überwinden: 'Die Anpassung ans falsche Bewusstsein hat dieses noch nie verändert' (Hans-Jürgen Krahl). [...] Entscheidend ist die Fähigkeit, die getrennten Kämpfe weltweit aufeinander zu beziehen, die darin gemachten Erfahrungen zu kommunizieren und in diesen Auseinandersetzungen die lähmenden von den vorwärtsweisenden Momenten zu scheiden, die egoistisch-lokalistisch und ständischen von denen, die auf Ausweitung und Kommunisierung zielen. Dies macht die freie Assoziation der Kommunistinnen und Kommunisten notwendig, die sie befähigt, vor Ort das richtige für das Ganze zu tun.“ (28 Thesen zur klassenlosen Gesellschaft).
Freundinnen und Freunde der klassenlosen Gesellschaft, November 2013