Gedanken zu postkapitalistischen Entwürfen der Gesellschaft von Florenz Bransche, Anarchosyndikalistische Aktion
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Der offensichtliche Mangel an utopischer Fantasie und die Verbreitung von nicht stichhaltigen, dürftigen Alternativen zur bestehenden Gesellschaft zwingen zum Nachdenken über die Gesellschaft, die aufgebaut werden soll, wenn der Kapitalismus begraben wird.
Die Freundinnen und Freunde der klassenlosen Gesellschaft haben einen beachtenswerten Beitrag zur „Verständigung über die Grundzüge der klassenlosen Gesellschaft“ zur Diskussion gestellt, um der Dürftigkeit entgegen zu wirken und weil sie der Meinung sind, dass schon heute über das Kommende gesprochen und gestritten werden muss, auch weil die aufflackernden Kämpfe der letzten Jahre keine klare Orientierung in dieser Hinsicht zeigten oder entwickeln konnten.
Ihr Versuch zeichnet sich dadurch aus, dass er die radikale oppositionelle Tradition nicht missachtet und die Erfahrungen aus den Kämpfen der arbeitenden Klasse sowie Gedanken von verschiedenen, dem Kapitalismus abgeneigten Denker*innen wie Charles Fourier, Marx, Kropotkin, Emma Goldman, Alexandra Kolontai, Anton Pannekoek, den Operaisten und Anderen aufnimmt. Und der Versuch hält an der Notwendigkeit eines Bruches mit dem Kapitalismus durch ausgedehnte Massenaktionen fest, ohne sich über die Dauer eines Umwälzungsprozesses Illussionen zu machen. Ihre Überlegungen sind also Modellen von einem graduellen „Hineinwachsen“ in die klassenlose Gesellschaft entgegengesetzt, welche die Befreiung auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschieben.
Dabei werden mehr die kommenden Schwierigkeiten und Hindernisse beleuchtet, als dass feste Postulate aufgestellt werden. Wobei die Freund*innen der Mühe, grundsätzliche Einsichten zu formulieren, nicht ausweichen. Die gewaltige Größe der Herausforderung, eine andere Gesellschaft zu schaffen, wird in diesem Beitrag deutlich. Dazutretende Probleme, die mit einem nicht unwahrscheinlichen Bürgerkrieg gegen die Konterrevolution verknüpft sind, wurden jedoch vernachlässigt.
Um eine vollständige Darstellung des umfangreichen Textes kann es nicht gehen, es soll hier und da etwas herausgegriffen werden, was vielleicht einen Eindruck vom Niveau der Reflexionen vermitteln kann.
Ökonomische Antizipationen
Hier macht sich keine Kurzsichtigkeit bemerkbar, vielmehr ein scharfer, an Marx geschulter Blick. Es wird um die Abschaffung des Kapitals gehen, das setzt seine Erkenntnis voraus. Warenproduktion, Profit und Lohnarbeit kann es nicht mehr geben, ebenso Geld, wenn die Wirtschaft nach vernünftigen Plänen der Produzierenden, die sich an veränderbaren Bedürfnissen orientieren, ausgerichtet wird. Damit wird sich dann die Frage stellen, wie oder mit welchem Organisationsprinzip das gesamte Arbeitsprodukt der Gesellschaft gerechter verteilt werden kann. In dieser Hinsicht untersuchen die Freund*innen ein Modell, welches dem mit Arbeitszeitnachweisen begegnen will.
Kurzgefasst: Alle notieren penibel wie viel Arbeitszeit sie an einem Tag verausgabt haben, deutlich weniger als gegenwärtig, und bekommen dafür eine Anzahl von Gütern, in denen genau diese Summe Zeit steckt. Das wäre ein gerechter Tausch, keine Ausbeutung mehr.
Dabei fiel den Autor*innen jedoch auf, dass es unmöglich ist, exakt zu bestimmen, wie viel Arbeitszeit in einem Arbeitsprodukt steckt, weil bereits in Werkzeugen und Arbeitsmaterial, die für die Herstellung verwendet wurden, komplexe Arbeitsprozesse geronnen sind. Es werden daran anknüpfend berechtigte Fragen formuliert:
Soll es in der befreiten Gesellschaft so pedantisch zugehen? Wären Kontrollen nötig, um Schummeleien zu verhindern? Setzt diese Methode eine Trennung zwischen Arbeit und anderen Tätigkeiten voraus, d.h. wie wird mit Haushaltsführung, Erziehung und Pflege umgegangen? Muss nicht ein Teil des Arbeitsproduktes für die Instandhaltung der Produktionsmittel und für Kranke, Kinder, Alte und Schwache, die nicht arbeiten können, abgezweigt werden? Ob die Methode mit den Zeitnachweisen zu verwerfen ist, lassen die Freunde halbwegs offen, es wurde auch bereits Kritik zur Sache geäußert und es wäre zu begrüßen, wenn noch mehr Zukunfts-Zugewandte in diese Dinge eindringen würden.
Außerdem wenden Sie sich auch der Arbeitsteilung und den sogenannten bullshit-jobs zu. Der Hinweis darauf, dass bestimmte Tätigkeiten wie die von Versicherungsvertreter*innen, Bankangestellten, Wohnungsmakler*innen, Anwält*innen, Bombendrehern, Ministerinnen etc. in einer anderen Gesellschaft wegfallen würden, andere automatisiert werden könnten, also mehr Hände für die unangenehmen Tätigkeiten wie die Reinigung der Kanalisation, deren Lästigkeit noch durch Rotation und kurze Ausübung verringert werden kann, frei wären, ist ebenso wichtig wie die Erinnerung an die Borniertheit der heutigen Arbeitsteilung. Die Trennung zwischen geistiger und körperlicher Arbeit, zwischen leitenden und ausführenden Tätigkeiten und die Verengung der Aktivität auf ein umgrenztes Arbeitsgebiet, die Pest der Fachidiotie, muss verschwinden. Das wiederum wird sich in einer anderen Erziehung bemerkbar machen müssen.
Gegenüber den Technikoptimist*innen und Schwärmer*innen, die da meinen, es käme alles von selbst und damit die moderne Technik als Allheilmittel ansehen, wird nüchtern klargemacht, dass diese Technik kein weißes Hemd trägt, sondern von Herrschaft und Ausbeutungsinteressen durchtränkt ist und ihre Anwendungsgrenzen hat. Andererseits wird eine Grenze gegen Technikpessimist*innen gezogen, die in gegenwärtigen Apparaten nur Kontrolle sehen und wieder in den Ur-Wald möchten. Ihnen gegenüber wird die Zweckentfremdung und das Potential der kapitalistischen Technik hervorgehoben.
Was wird mit dem Staat?
Der leninistischen Theorie von der Eroberung der Staatsmacht wird von den Freund*innen eine klare Absage erteilt und auch das Marxsche 2-Phasenmodell, bei dem das Absterben des Staates zweitrangig ist, wird zurückgewiesen und auf historische Umstände zurückgeführt. Die Gesellschaft muss den bürgerlichen Staat, d.h. diejenigen Funktionen, die nicht hinfällig sind, wieder in sich zurücknehmen. Die Herrschaft über Menschen soll durch die Verwaltung von Dingen abgelöst werden. Gleichzeitig muss die arbeitende Klasse die Machtmittel des Staates, in unruhigen Zeiten das stehende Heer plus Geheimdienste, zersetzen, sabotieren und lähmen, um der drohenden Konterrevolution entgegenzuwirken.
Die Rücknahme der Staatsfunktionen und den Umbau der Gesellschaft stellen sich die Freund*innen nur durch einen von Rückschlägen bedrohten Prozess realisierbar vor. Eine Bewegung der Besetzungen, die sich mit einer Verbindung von Räten oder Basisversammlungen, die sämtliche Entscheidungen treffen und sich auf Produktionsstandorte und territoriale Gebiete stützen, soll das Ganze durchführen. Gewalt muss angewendet werden, falls diese Besetzungen bedroht werden. Staatsabschaffung konkretisieren sie weiter: Das bürgerliche und öffentliche Recht und die bürgerlichen Bestrafungsinstitutionen wie Gefängnisse werden geschreddert und geschliffen. Ohne Eigentumsdelikte wird sich die Kriminalität gewaltig reduzieren, d.h. aber nicht das dann keine Konflikte mehr aufkommen.
Neue Wege der Konfliktbewältigung müssen entwickelt werden – rachsüchtige Strafe ist keine Option. Damit einer solchen Bewegung nicht schnell das Wasser abgegraben wird, muss sie sich ausdehnen, internationalen Charakter annehmen. Allein schon aus dem Grund, weil die Natur nicht überall gleich ist und verschiedene Regionen, Verschiedenes ermöglichen. Die Commune soll schließlich nicht nur mitteleuropäische Kartoffeln verspeisen, jedenfalls nicht für längere Zeit.
Vielleicht sind die Überlegungen der Freund*innen im Bezug auf den bestehenden Staat noch zu defensiv gedacht, es ist denkbar, dass Regierung und Staatsbürokratie, auch die Mafia, offensiver unschädlich gemacht werden müssen, man sie nicht machen lassen darf, solange es auf den Straßen und Plätzen ruhig zugeht. Aber daraus kann den Autor*innen kein Strick gedreht werden, alle Details können von Einzelnen nicht bedacht werden und es ist eine kollektive Aufgabe, diese Probleme zu lösen und zu durchdenken. Dieser Beitrag ist jedenfalls eine Bereicherung der sich hoffentlich wieder entzündenden Diskussion um die Utopie.
Im Original auf direkteaktion.org
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