Kosmoprolet #4

Zeitschrift

Kosmoprolet #4

August 2015
»Die Mauer, an der alles abprallt, ist die allseitige Abhängigkeit aller Einzelnen voneinander, und damit vom bestehenden System, das dieser Abhängigkeit, wie ungenügend und krisenhaft auch immer, die einzige bislang bekannte Form gibt. Gerät das System aus den Fugen, wagt niemand den Schritt ins Freie, sondern alle heften sich ans Gegebene. Kämpfe werden viel seltener niedergeschlagen, als sie vor dieser Mauer von sich aus kehrtmachen. Schon weil sie nicht wissen, was danach kommt, haben die Proletarier heute genauso viel Angst vorm Zusammenbruch wie die Herrschenden.«

Erschienen im September 2015 | 208 Seiten | 5 € / 6 CHF

Herausgegeben von den »Freundinnen und Freunden der klassenlosen Gesellschaft» (Berlin), »eiszeit« (Schweiz) und »la banda vaga« (Freiburg)

Editorial

»Die Mauer, an der alles abprallt, ist die allseitige Abhängigkeit aller Einzelnen voneinander, und damit vom bestehenden System, das dieser Abhängigkeit, wie ungenügend und krisenhaft auch immer, die einzige bislang bekannte Form gibt. Gerät das System aus den Fugen, wagt niemand den Schritt ins Freie, sondern alle heften sich ans Gegebene. Kämpfe werden viel seltener niedergeschlagen, als sie vor dieser Mauer von sich aus kehrtmachen. Schon weil sie nicht wissen, was danach kommt, haben die Proletarier heute genauso viel Angst vorm Zusammenbruch wie die Herrschenden.«

Abseits des Spülbeckens. Fragmentarisches über Geschlechter und Kapital

»Was sich auf dem Boden der bürgerlichen Gesellschaft nie ändern wird, ist, dass die Reproduktion der Menschen immer nur mitgeschleift wird als notwendige Voraussetzung zur Mehrwertproduktion. Daran werden auch alle vernünftigen Forderungen, die heute unter der Chiffre Care erhoben werden, ihr Grenze finden. Eine schöne Definition der Commune wäre es, dass sie diese Unterordnung beendet und als eines ihrer zentralen Ziele die Aufhebung der bereits porösen Geschlechterordnung formuliert. Die heutigen Auflösungstendenzen der Familie könnten in ihr zu einem glücklichen Ende getrieben werden, anstatt nur überforderte Alleinerziehende hervorzubringen.«

Reflexionen über das Surplus-Proletariat. Phänomene, Theorie, Folgen

»Die Existenz eines Überschusses an Arbeitskräften ist ein Schlüssel zur Kritik der Gegenwart. Sie findet in unterschiedlichsten Phänomenen einen Ausdruck: in den wachsenden Migrationsströmen von Menschen, die anders als die europäischen Auswanderer des 19. und frühen 20. Jahrhunderts an ihren Zielorten größtenteils unwillkommen sind; in Kriegen, die sich nicht mehr zwischen Nationalstaaten oder politischen Blöcken, sondern zwischen marodierenden Milizen und Gangs abspielen und im Extremfall in failed states münden; in neofundamentalistischen Bewegungen, die aus den Fugen geratenen Gesellschaften einen autoritär-moralischen Kitt verpassen und die Habenichtse auf das Jenseits vertrösten. Nicht zuletzt hat sie besonders in den letzten Jahren zu allerhand neuartigen, mit überlieferten Vorstellungen von Klassenkampf und Revolution kaum zu fassenden Unruhen geführt.«

Elend und Schulden. Zur Logik und Geschichte von Überschussbevölkerungen und überschüssigem Kapital

»Wir neigen nicht zu Katastrophismus, aber wir warnen davor, dass sich die Geschichte mitunter in unberechenbarer Weise beschleunigt. Wie auch immer: Die Katastrophe, die wir erwarten, ist keine Zukunftsmusik, sondern bloß die Fortsetzung der grauenvollen Entwicklung der Gegenwart. Schon jetzt haben wir Jahrzehnte wachsender Armut und Arbeitslosigkeit hinter uns. Wer meint, dass es in den noch industrialisierten Ländern halb so schlimm sei, dass die Leute ruhig bleiben werden - kurz: dass das Proletariat gleichgültig gegenüber seinem Elend geworden sei -, dessen Einschätzung wird in den kommenden Jahren, wenn der Verschuldungsgrad sinkt und die Haushaltseinkommen ihren Abwärtstrend fortsetzen, auf den Prüfstand kommen.«

Moloch und Heilsbringer. Zur Geschichte und Kritik des Sozialstaats

»In der aktuellen ökonomischen Misere kann der Sozialstaat kaum in gekanntem Ausmaß erhalten werden; er bleibt aber weiterhin Bezugspunkt der Lohnabhängigen. Durch ihn hoffen sie, ein anständiges Leben führen zu können, während die harte ökonomische Realität gerade das Gegenteil durchsetzt. Dagegen nutz keine noch so radikale Agitation gegen den Sozialstaat, dieses Problem kann erst eine Bewegung lösen, die mit den ganzen kapitalistischen Formen bricht. In diesem Widerspruch rücken die Frage ums Ganze und die Verteidigung des alltäglichen Lebens eng zusammen.«/p>

Israel, Palästina und der Universalismus

»Auch wenn Antideutschtum und Befreiungsnationalismus in der deutschsprachigen Linken zurücktreten, so kann sich die Linke mehrheitlich nicht zu einer internationalistischen und universalistischen Position durchringen, die den möglichen wie verhinderten Klassenkampf in den Mittelpunkt stellt und sich gegen das kriegerische Morden im Nahen Osten deutlich ausspricht.«

Leiharbeit. Ende der Identifikation mit der Ausbeutung oder doch nur Waffe des Kapitals?

»Die ›Normalarbeitsverhältnisse‹ waren historisch wie geographisch eine Ausnahme, Kämpfe der Arbeiter_innen waren und sind dies nicht. Deshalb braucht es eine Aktualisierung der Gesellschaftsanalyse und damit einhergehende Untersuchungen, eben unter anderem im Bereich der Leiharbeit. Dabei darf es sich aber nicht um eine ›objektive‹ Studie von außen handeln, sondern muss als Ziel neben der Aufdeckung möglicher Ansatzpunkte für Widerstand auch die Perspektive eines gemeinsamen Kampfes bieten.«

Zwischen Eigentor und Aufstand. Ultras in den gegenwärtigen Revolten

»Die Wut der Ultras wird sich nicht in Luft auflösen und ihre zu beobachtende Beteiligung an den gegenwärtigen Unruhen ist vielleicht bereits ein Indiz dafür, dass hinter der meist spielerisch ausgetragenen Rebellion auf den Zuschauerrängen mehr stecken könnte, als es der zelebrierte Gemeinschaftskult testosterongesteuerter Männer im ersten Moment vermuten lässt.«