«Ohne Analyse keine Praxis»

01. September 2005
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Im folgenden ein Interview mit der Gruppe Eiszeit, welches im Vorwärts vom 2. September 2005 erschien.

Die seit einem Jahr existierende Gruppe Eiszeit versucht mit Veranstaltungen zu Theorieansätzen der linksradikalen Geschichte eine eigene Analyse zu entwickeln und Auseinandersetzungen anzustossen. Ein Gespräch.

Ihr legt sehr Wert auf theoretische Auseinandersetzung. Wieso?

Wir wollen, dass Theorie und Praxis nicht auseinander gerissen werden. Es geht um die Frage, welche Praxis in der heutigen Zeit möglich und sinnvoll sein kann. Bei vielen Gruppen der radikalen Linken hat man das Gefühl, es werde eine Praxis gepflegt, deren theoretische Grundlagen nicht mehr überprüft werden oder ganz fehlen. Ohne Analyse gibt es aber auch keine Praxis, die das bestehende System dort trifft, wo es wirklich weh tut.

Bis jetzt seid ihr bloss durch Veranstaltungen in Erscheinung getreten…

Zum einen ist das nicht ganz richtig: Wir waren Teil des revolutionären 1.-Mai-Aktionsbündnis in Zürich. Zum anderen sehen wir Veranstaltungen auch als Teil einer Praxis. Es ist eine Form, wie man radikale Inhalte vermitteln kann. Um das geht’s ja. Auch eine Demo macht man nicht um der Demo willen. Es geht letztlich darum, Inhalte zu vermitteln und öffentlich wahrnehmbar zu sein.

Stehen wir als Linke an einem Punkt, wo man die Theorie wieder neu formulieren muss?

Man muss die eigenen theoretischen Grundlagen ganz grundsätzlich immer wieder neu überdenken. Seit zwei, drei Jahren erleben wir zudem, wie sich die Anti-Globalisierungs-Bewegung auflöst. Am Rande dieser Bewegung gab und gibt es interessante Gruppen und Einzelpersonen, die sich nach revolutionären Ansätzen umsehen. Ich glaube, dass es ein Bedürfnis ist, eine Auseinandersetzung zu führen. Seit ich mich erinnern kann, hat es in der Schweiz selten eine Diskussion zwischen den verschiedenen radikalen Gruppen gegeben.

Wie seht ihr denn den aktuellen Zustand der radikalen Linken?

Die radikale Linke ist unglaublich zerstritten…

… und wer gehört da dazu?

Eigentlich ist «radikale Linke» ein sehr schwammiger Begriff. Man kann da von der PdA über einen Teil der HausbesetzerInnen bis zum Aufbau wohl erstmal alle dazu zählen. Dann muss man aber anfangen zu differenzieren und die einzelnen Positionen anschauen. Mehr als das Label interessieren uns die Inhalte. Genau darüber führen die einzelnen Gruppen aber kaum Auseinandersetzungen miteinander. Das ist ein Zustand, der darauf schliessen lässt, dass sich viele Leute in ihren Positionen eingerichtet haben. Wir glauben, dies ist ein Punkt, weshalb die radikale Linke im Moment sehr schwach ist.

Ist sie so schwach oder ist sie einfach nicht handlungsfähig? Ich glaube, so schwach wie sie sich gibt, ist sie nicht. Was ihr fehlt, sind die Auseinandersetzung und die gemeinsamen Bezüge, auf die sie sich einlässt. Das Problem ist, dass sie selber nicht mehr glaubt, dass sie wahrnehmbar sein kann.

Man muss versuchen, eine subversive Praxis zu entwickeln. Also nicht nur die negativen Entwicklungen zu bremsen, sondern vorwärts zu gehen und grundlegend aus dieser Perspektive heraus zu handeln.

Wo seht ihr denn die Stärken und Schwächen der radikalen Linken?

Ein Problem ist, dass sich ein Grossteil der radikalen Linken auf gegenkulturelle Sachen beschränkt und die Bruchstellen, die es in der kapitalistischen Gesellschaft gibt, nicht wahrnimmt. Gerade im Bezug auf die Arbeiterklasse. Wir sind eine marxistische Gruppe. Aus dieser Perspektive ist klar, dass der Antagonismus zwischen Kapital und Arbeit zentral ist und dass wir uns auf diesen beziehen und auch hier zu intervenieren versuchen. Es ist ein zentraler Fehler, dass sich viele Leute nicht damit auseinandersetzen, sondern es sich in ihren gegenkulturellen Nischen gemütlich machen. Wenn man einen kollektiven Prozess sucht, den Kapitalismus analysiert und in der Analyse feststellt, dass der Kapitalismus ganz grundlegend beschissen ist für die Menschen – für einige mehr, für andere weniger –, dann kann man sich nicht mehr so einfach zurückziehen. Deshalb ist es wichtig, dass man sich theoretisch auseinandersetzt und nicht nur einfach gegen das besonders Schlimme anrennt.