Die Legende besagt, dass eine einsame Kämpferin für das Klima eine Bewegung angestoßen hat, die sich von Schweden aus über Europa ausbreitete. An Gymnasien auf dem alten Kontinent schwänzten ab Dezember 2018 Schüler:innen regelmäßig die Schule, um auf die Straße zu gehen. Eine ganze Generation, die zuvor von politischen Würdenträger:innen der Lethargie bezichtigt worden war, schien plötzlich in Aufruhr. Der Klimawandel setzte sich auch fernab der UN-Klimagipfel auf der politischen Tagesordnung fest.
Die außerparlamentarische Linke in der Schweiz nahm dies freudig zur Kenntnis, manche Fraktion beteiligte sich eifrig an den Bündnissen und Manifestationen der Bewegung. Diese teilt die humanistischen Werte, ihre Forderungen sind universalistisch. Sie ist international vernetzt, ein Flügel ist zudem für die Diskussion radikalerer Perspektiven zugänglich. Den Kollaps des Ökosystems vor Augen, lässt sich die Bewegung nicht von der postulierten Alternativlosigkeit abschrecken, sondern fordert den Systemwandel: Es geht um nichts Geringeres als »eine bessere Welt«. Ein guter Ausgangspunkt, um über die klassenlose Gesellschaft zu diskutieren, möchte man meinen.
Erhebliche Teile der Klimabewegung sind aber in bürgerlich-demokratischen Idealen gefangen, auf den Staat ausgerichtet und auf den individuellen Konsum fixiert. Das dürfte nicht zuletzt auf ihre soziale Zusammensetzung zurückgehen. Ausgangspunkt der Proteste sind die Gymnasien, die in der Schweiz weitaus elitärer sind als in Deutschland. Die meisten Aktivist:innen stammen aus dem urbanen, bildungsbürgerlichen Milieu. Rat suchen sie bei Naturwissenschaftler:innen, Umweltingenieur:innen und Kampagnenprofis von NGOs.
Zugleich weisen bewegte Stimmen unermüdlich darauf hin, dass der Klimawandel eine soziale Dimension hat, dass seine Kosten nicht auf Arme und Marginalisierte abgewälzt werden dürfen, dass es den Systemwandel sicherlich brauche. Zumindest in der Schweizer Klimabewegung mit einigem Erfolg: So ist etwa das jüngste Manifest des vom Klimastreik initiierten »Strike for Future« explizit antikapitalistisch, die Distanz der Klimabewegung zur parlamentarischen Politik ist eher größer als kleiner geworden.
Doch bei näherer Betrachtung zerfällt die Klimabewegung in eine unübersichtliche Landschaft widerstreitender Positionen, auch wechseln Protagonist:innen ihre Ansichten im Takt der praktischen Erfahrungen. Wie bei jungen sozialen Bewegungen üblich, ist alles im Fluss. Eine Annäherung muss darum die subjektiven Forderungen mit den objektiven Zielen konfrontieren: Wie bricht die globale Klima- und Biodiversitätskrise über die Menschheit herein? Was sind ihre Ursachen? Wie ist der Zerstörung unserer Lebensgrundlagen Einhalt zu gebieten? Wie verhalten sich Fraktionen und praktische Ansätze der Klimabewegung zu diesen Zielen? Wohin drängen Widerstand und Widerspruch?
Der Keim des bewegten Widerspruchs
Seit den Klimastreik-Aktionen im Dezember 2018 haben die Bewegung und ihre medialen Begleiter bereits einige scharfe Abbiegungen genommen: Damals schwänzten in den größeren Schweizer Städten Tausende die Schule und gingen auf die Straße. Direkter Auslöser waren die UN-Klimakonferenz im polnischen Katowice und die Beratungen über ein »CO2 -Gesetz« im nationalen Parlament. Schnell gewann die Bewegung an Dynamik, schon einen Monat später war sie zu nationalen Aktionstagen in der Lage: Bis in die heißen Sommertage hinein wurde regelmäßig zu großen Demonstrationen mobilisiert. Die Medien berichteten wohlwollend und ließen Klimastreikende zu Wort kommen. »Wieso für eine Zukunft lernen, die es bald nicht mehr gibt?«, übertitelte etwa der Zürcher Unterländer ein Gespräch mit Bewegten, die von manchen besorgten Eltern, Lehrer:innen und Sozialarbeiter:innen gefördert wurden.
Während soziale Bewegungen anfangs nicht nur widersprüchlich, sondern meist auch gestaltlos sind, etablierte die Klimastreikbewegung schon sehr früh interne Strukturen und Kommunikationsstrategien. Mit gesellschaftlichem Rückenwind und semiprofessioneller Organisation entwickelte sie rasch Schlagkraft. Im September 2019 demonstrierten vor dem Bundeshaus schließlich über 100.000 Menschen »aus allen Bevölkerungsschichten«, wie Zeitungen lobten. Auch bei den nationalen Parlamentswahlen im darauffolgenden Monat zeigte sich, dass das Klimathema in der Bevölkerung auf Anklang stieß. Es schien mancher Beobachterin, als wandle sich die politische Landschaft grundlegend. Die beiden grünen Parteien konnten tatsächlich hohe Zugewinne verbuchen. Die Kräfteverhältnisse änderten sich aber wenig, da dies primär zu Lasten der Sozialdemokratie ging.
Trotz aller Sympathie stieg mit den Mobilisierungserfolgen in der Öffentlichkeit auch die Sorge. Das Gerücht der Radikalisierung hatte schon die Runde gemacht, seit zum ersten Mal ein Plakat gegen den Kapitalismus auf einer Demonstration gesichtet worden war. Als im Sommer 2019 einige Dutzend Aktivist:innen in Zürich und Basel Bankfilialen blockierten, reagierten Polizei und Staatsanwaltschaft mit Härte: Es setzte drakonische Strafen, die von einem medialen Donnerwetter begleitet wurden. Die rote Linie war überschritten. Als dann im September 2020 hunderte Menschen ein Klimacamp auf dem heiligen Boden vor dem Bundeshaus aufschlugen, gerieten Journalist:innen und Parlamentarier:innen in helle Aufregung. Zur integrativen Umarmung war längst die strenge väterliche Hand getreten, die auch mal auszuteilen weiß, wenn die Sprösslinge den Rahmen des gesellschaftlich Legitimen verlassen.
Danach wurde es erstmal leise. Der zweite Lockdown scheuchte die Menschen von der Straße, Massenaktionen wurden abgeblasen, die Klimafrage war trotz des dystopischen Feuerhimmels in Kalifornien in den Hintergrund getreten. »By 2020 we rise up!«, hatte die Klimabewegung noch angekündigt, bevor sie in Zoom-Konferenzen verbannt worden war. Die Boulevardzeitung Blick verriet kürzlich, welche »Geheimpläne« die »Klimajugend« dort ausgeheckt haben soll: »Mega-Blockade geplant, Arbeiterstreiks zentral, UBS und Credit Suisse im Visier«. Im Artikel drohte ein »Demo-Experte« mit dem Nachrichtendienst, eine Umweltpsychologin mahnte zugleich zum »Dialog mit der Bevölkerung«. Ob und wie die Bewegung wirklich aus dem Lockdown findet, wird die Zukunft weisen müssen; noch reichten die Demonstrationen und Aktionen nach dem Lockdown nicht an den Schwung der ersten Zeit heran. Der Widerspruch zwischen Integration und Repression, Konformismus und Rechtsbruch, institutioneller Politik und Selbstorganisation hat zudem erst zu keimen begonnen.
In den Diensten der Menschheit
Die Klimabewegung sieht ihr Anliegen als universell menschliches. Ihr Projekt gilt ihr als eines der gesamten Gesellschaft, das nach streng wissenschaftlichen Kriterien durchgeführt gehört. Die Aktivist:innen beschäftigen sich intensiv mit naturwissenschaftlicher Forschung, als fachkundig zählen Umweltwissenschaftler:innen. Im Januar 2021 veröffentlichte der Klimastreik Schweiz einen über 300 Seiten schweren »Climate Action Plan«, welcher in Zusammenarbeit mit Expert:innen erarbeitet worden war. Die Argumente im umfangreichen Papier sollen neben dem Bundesrat auch Parlament, Bürger:innen, Verbände und Unternehmen überzeugen. Detailliert wird dargelegt, welche Maßnahmen ergriffen werden müssen, um die Krise abzuwenden: vom Verbot von Verbrennungsmotoren oder Ölheizungen über den Umbau des Ernährungssystems und der Landwirtschaft bis hin zu Forderungen nach Arbeitszeitverkürzung und der Einschränkung des Privateigentums. Überlegungen darüber, wie diese Maßnahmen umgesetzt werden könnten, sucht man allerdings vergeblich.
Die Klimaaktivist:innen brillieren mit ihrem Wissen über die Beschaffenheit der Erdatmosphäre, über die CO2 -Konzentration und über verschiedene Kipppunkte. Die Gesellschaft aber, die diese Krise erst verursacht hat und in der sie nun gelöst werden soll, bleibt weitgehend eine Blackbox. Eine kritische Auseinandersetzung mit Staat, Wirtschaft oder der politischen Funktion der Wissenschaft findet sich kaum; auch wenig darüber, wie diese mit Interessen vermittelt sind. Stattdessen soll das bessere Argument im freien demokratischen Wettstreit obsiegen und sich in den staatlichen Institutionen niederschlagen. Was die Menschheit betreffe, müsse doch alle interessieren, was die ganze Gesellschaft bedrohe, müsse doch in einem kooperativen Kraftakt gestoppt werden, lautet die arglose Vorstellung. Und weil es im Kopf der Bewegung um fast alle geht, wird an radikale Kritik kaum gedacht, Solidarität mit anderen sozialen Bewegungen dosiert eingesetzt, werden Aktionen penibel auf gesellschaftliche Anschlussfähigkeit geprüft.
Das wurde bei der Besetzung des Bundesplatzes im Herbst 2020 besonders deutlich. Die Aktivist:innen bauten auf dem Bundesplatz ein Camp auf, um von Parlament und Regierung wirksame Maßnahmen zu fordern. Sie taten dies mit einer fast schon unerhörten Höflichkeit, ließen sich vor laufenden Kameras von rechten Politikern beleidigen und kamen nach der gewaltsamen nächtlichen Räumung zum Aufräumen zurück. Obwohl die Aktivist:innen alles unternahmen, um harmlos zu wirken, übertrumpften sich Journalist:innen und Beobachter:innen mit Auslassungen über eine angebliche gefährliche Radikalisierung und mahnten die Bewegung, die »Sympathien nicht zu verspielen«.
Besonders grell zeigen sich Dilemma und Selbstbetrug auf der internationalen Bühne. Die wissenschaftlichen Berichte, welche auf den UN-Klimakonferenzen verhandelt werden, bilden die Grundlage für die Forderungen der Bewegung. Auf den Demonstrationen vor den Tagungszentren wird eigentlich nur gefordert, was sich die Staaten offiziell selbst vorgenommen haben. Trotz dieses formellen Konsenses zwischen der Bewegung und ihren Adressat:innen und trotz unbestrittener Dringlichkeit geschieht kaum etwas. Das sorgt zwar für Unmut unter den Aktivist:innen, hat aber bisher nicht zum Bruch mit der offiziellen Politik geführt. So lautet eine populäre Parole, Erdöllobbyisten ins Gefängnis zu stecken, die sozialdemokratische Umweltministerin hingegen traf man zum konstruktiven Dialog. »In Davos ist es mir vor allem wichtig, das Thema Klimawandel bei den Wirtschafts- und Politführern aufs Tapet zu bringen«, sagte diese später zur Schweizer Illustrierten, während sie zum World Economic Forum (WEF) fuhr. Es passierte: nichts.
Das Kapital und sein Klima
Dass der Klimawandel menschengemacht ist, lässt sich nicht mehr bestreiten. Die schleichende Katastrophe ist aber nicht dem Menschen als Gattungswesen anzulasten, sondern den gesellschaftlichen Verhältnissen, unter denen er produziert und konsumiert: dem Kapitalismus. Dessen dominante technologische Form ist die industrielle Produktion, die sich vor etwas über 200 Jahren durchzusetzen begann. Seither ist die globale Durchschnittstemperatur stärker gestiegen als in den 11.500 Jahren davor. Das hat seinen Grund darin, dass diese Produktionsweise historisch auf der Verbrennung fossiler Energieträger beruht. Der globale CO2- Ausstoß steigt im Takt des Wirtschaftswachstums, die Emissionen schrumpften in der Vergangenheit ausschließlich während schweren Wirtschaftskrisen. Alle bisherigen Versuche, dies zu »entkoppeln«, sind trotz umfassender technologischer Maßnahmen – etwa in der Energiegewinnung – gescheitert. Im Dezember 2020 stieß die Energiewirtschaft global bereits wieder mehr Kohlendioxid aus als vor der Corona-Krise, wie die Internationale Energieagentur (IEA) meldete. Das Problem ist tief in den Kapitalismus eingeschrieben. Es lässt sich nicht wie das Ozonloch mit einigen Umweltbestimmungen zurechtrücken, nach denen man einfach auf Ersatzstoffe ausweichen kann.
Auch wenn einige verzweifelt danach suchen, gibt es nicht den Verursacher oder die Verantwortliche, die man einfach zur Rechenschaft ziehen könnte. Der Kapitalismus muss wachsen, sonst gerät er in die Krise. Da der Profit Zweck aller kapitalistischer Produktion ist und die Konkurrenz den Unternehmen Wachstum auferlegt, sind Firmen gezwungen, ihre Produktion immer weiter auszuweiten und ihre Effizienz zu steigern. Damit wird auch die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen intensiviert, deren Zerstörung und Regenerierung in der betriebswirtschaftlichen Rechnung aber keine Rolle spielen. Die Schäden an der natürlichen Umwelt hat die Allgemeinheit zu tragen; in der Volkswirtschaftslehre hat man ihnen den sprechenden Begriff »externe Kosten« zugedacht.
Diesen Kosten hat die marktfromme Abspaltung der Grünen, die Grünliberale Partei (GLP), einige dürre Sätze in ihren offiziellen Leitlinien gewidmet, wo abstrakt von Marktversagen und Anreizsystemen die Rede ist. Die Wahlerfolge der GLP zeigen, dass die Ideologie kapitalistischer Konkurrenz und ökologische Vorstellungen politisch zwangsverheiratet werden können. Die Partei schreibt in den Leitlinien: »Wir stehen für einen starken, aber schlanken Staat ein, der sich auf seine Kernaufgaben konzentriert, auf Eigenverantwortung basiert und seine Dienstleistungen wie ein modernes Unternehmen organisiert.« Dafür erwarte man von »Unternehmen und Wirtschaftsführenden (...) ethisch verantwortliches Handeln gegenüber Mensch und Umwelt«. Von jenen Körperschaften und Personen also, die sich die Effizienzsteigerung in der Konkurrenz gegenseitig aufzwingen und an hohen Profiten zur Akkumulation interessiert sein müssen. Die Privatwirtschaft kann dieses Problem nicht selbst lösen, im Gegenteil sind die besonders Rücksichtlosen im Konkurrenzkampf zumeist im Vorteil. Deshalb richtet sich die Klimabewegung vor allem an den Staat. Mittels Gesetzen, Steuern und Subventionen soll dieser der Produktion von Treibhausgasen, der Zerstörung der Biodiversität und dem Raubbau an der Natur Einhalt gebieten. Damit verteuerten sich zunächst einmal die klimaschädlichen Produkte und Dienstleistungen, worunter ohne sozialen Ausgleich besonders die Armen litten. Dies wissen viele Klimabewegte und propagieren darum »Klimagerechtigkeit«: das Verursacherprinzip bei der Abrechnung der Emissionen.
Green New Deal: Für die Armen und das Kapital
In seinem Aktionsplan fordert der Schweizer Klimastreik eine Variante des »Green New Deal«, wie er auch von Linken in den USA und Europa formuliert wurde. Dieser soll das Klima, den Kapitalismus und die Armen gleichzeitig retten. Der Staat verteuert oder verbietet dabei nicht nur die fossilen Energien, sondern investiert in erneuerbare und nachhaltige Wirtschaftszweige. Und er subventioniert den wirtschaftlichen Umbau, was Arbeitsplätze schaffen soll. Zugleich werden Löhne und Sozialleistungen erhöht, um die Nachfrage anzukurbeln – natürlich besonders nach Elektroautos, Solarpanels und Biogemüse. Auf einschlägigen Investmentplattformen wird bereits geraten, sein Portfolio auch ins Grüne zu diversifizieren.
So ein Umbau ist schon im Normalmodus des Kapitalismus höchst ehrgeizig. Wir stecken aber mitten in einer wirtschaftlichen Ausnahmesituation. Die ökonomisch mächtigen Nationen reagierten in der Pandemie mit einer Geld- und Fiskalpolitik, die selbst die riesigen Programme nach 2008 weit in den Schatten stellen. Notenbanken und Staaten pumpten bereits Billionen in die Märkte, um einen Crash zu verhindern oder zumindest aufzuschieben. Sie haben insbesondere ein Interesse, dass ihnen national wichtige Wirtschaftszweige erhalten bleiben. Nicht nur in der Klimabewegung wurde Empörung laut, als der Fluggesellschaft Swiss Milliarden in die Tasche gestopft wurden. Mit dem vielen Geld sollte in einer unübersichtlichen Situation verhindert werden, dass die Lage ganz eskaliert. Diese war schon vor der Covid-Pandemie ungünstig, wie die globalen Wachstumszahlen des Internationalen Währungsfonds (IWF) belegen. Sie wird sich in den nächsten Jahren kaum verbessern – es sei denn, es kommt zu einer umfangreichen Vernichtung von Kapital mit allen brutalen Folgen.
Unter diesen Bedingungen droht sich die internationale Konkurrenz, in der sich die nationalen Standorte behaupten müssen, zuzuspitzen. Das sind schlechte Voraussetzungen für die Bändigung steuerzahlender Klimaschädlinge im Wirtschaftsstandort, aber auch für den Abschluss globaler Klimaabkommen. Angesichts dessen ist es kaum vorstellbar, dass Staaten mit voller Absicht alleine schon die Ölindustrie, einen der global größten Wirtschaftszweige, stilllegen und dabei die immensen Umstellungskosten tragen können. Ob der Übergang überhaupt zu finanzieren wäre, ist ohnehin fraglich. Die von Vertreter:innen der Modern Monetary Theory (MMT) vorgebrachte Auffassung, dass die Zentralbanken das notwendige Geld einfach drucken könnten, ist nicht nur ausschließlich für die stärksten Währungen denkbar, sie krankt an einem generellen Konstruktionsfehler: Zentralbanken können zwar fast beliebig Geld ausgeben, aber weder bestimmen, wie sich dieses Geld in der Wirtschaft verhält, noch wie sich die Profite entwickeln.
Eine Umweltministerin wird sich unter diesen Umständen zwei Mal überlegen, ob sie den heimischen Standort mit Umweltbestimmungen und dem Umbau wirtschaftlicher Strukturen gefährden soll. Und selbst wenn die Umgestaltung gelänge: Der Zwang zum Wachstum und der möglichst effizienten Ausbeutung natürlicher Ressourcen würde fortbestehen. Statt Erdöl würde man seltene Erden aus dem Boden holen, um elektrisch betriebenen Individualfahrzeugen die Power für die Autobahnen zu liefern. Auch die Herstellungsenergie eines 1100 PS starken Teslas muss erzeugt werden, sei es als graue Energie der Produktionsstätten, als Solarpanels auf dem Dach der Giga-Factories oder als Diesel für die Minenmaschinen: Der Großteil davon wird noch für lange Zeit aus fossilen Quellen kommen müssen. Diese Energie müsste stattdessen in die ökologische Transformation investiert werden, die mit dem ressourcenintensiven Unsinn Schluss macht, den uns Elon Musk und seinesgleichen schmackhaft machen wollen.
Das finanzstarke Interesse an fossiler Energie
Der universelle Anspruch der Klimabewegung stößt nicht nur auf diese systematischen Widerstände, sondern kollidiert auch mit mächtigen Interessen: mit denen des fossilen Kapitals. Allein der Wert der weltweiten Ölvorkommen wird auf 50 Billionen Dollar geschätzt, ohne Raffinerien, Pipelines, Transportvehikel oder Kraftwerke einzukalkulieren. Das ist deutlich über die Hälfte der jährlichen Wirtschaftsleistung der Welt. Unter den global zehn umsatzstärksten Unternehmen finden sich sechs Öl- und Gaskonzerne sowie zwei Automobilhersteller. Ein Ausstieg aus dem fossilen Kapitalismus würde diesen gigantischen Wirtschaftszweig stilllegen und Unmengen an Kapital und Jobs vernichten. Er würde den Ruin ganzer Rentierstaaten bedeuten, deren Wirtschaft auf die Förderung und Raffinierung von Rohöl ausgerichtet ist. Mit der Kohle- und Erdgasförderung sowie mit emissionsreicher Industrieproduktion sieht es ähnlich aus.
Diese Staaten und Industrien werden alles tun, damit ihr Geschäft nicht erschwert, verteuert oder gar verboten wird. Ihre Ressourcen dafür sind unerschöpflich, ihre Wege vielfältig: Werbekampagnen, Verwaltungsratsmandate, Wahlkampfspenden, diskrete Treffen in Regierungsgebäuden, Bestechungsgelder. Die Interessenbindungen der Schweizer Parlamentarier:innen werden jährlich offengelegt. Die Öl- und Gasindustrie hat vier Politiker dort sitzen, der emissionsreiche Individualverkehr über sieben Mal mehr. Jedes Mitglied der beiden Kammern darf zudem zwei Personen permanent den Zutritt zu den nicht öffentlichen Bereichen des Bundeshauses verschaffen sowie Tagespässe ausstellen – letzteres praktisch unkontrolliert. Die Schaffung eines Lobbyregisters wurde im Parlament bereits drei Mal abgelehnt. Eine Regelung zur Transparenz der Parteien- und Wahlfinanzierung fehlt in der Schweiz bis heute. Diese Autobahnen zwischen Geld und Politik wie auch die verschlungenen Pfade zwischen beiden stehen zwar allen offen, wie das in Demokratien üblich ist. Bloß: Das große Geld entspringt dem großen Geschäft und nicht grünen NGO-Projekten oder gar den Kampagnen der Klimabewegung.
Die taktische Lüge der Rechten
Ein finanzielles Interesse an der Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen gilt als unschicklich. Die Argumentation, dass die Polkappen zwar wertvoll seien, aber das schwarze Gold eben den Geldbeutel fülle, käme in der demokratischen Diskussion nicht gut an. Die Liberalen taktieren darum, wiegeln ab und flechten hier und da eine Unwahrheit ein. Die Rechte hat sich hingegen auf eine denkbar einfache Strategie festgelegt: Die Klimakrise wird einfach geleugnet. Der Temperaturanstieg der letzten zweihundert Jahre sei nichts Besonderes, die bereits zu beobachtenden Folgen seien lediglich Wetterphänomene. Und falls wir uns doch einer schleichenden Katastrophe gegenübersehen sollten, habe die menschliche Aktivität kaum einen Einfluss darauf.
Für die rechte Schweizerische Volkspartei (SVP) geht die weitaus größere Gefahr für Mensch und Heimat von der Klimabewegung aus. Auf der Titelseite ihrer Gratis-Zeitung, die an alle Schweizer Haushalte ausgeliefert wird, ließ sie kürzlich hinter der grünen Maske der Klimabewegung die rote Fratze des Sozialismus hervorschauen. Ein prominenter Exponent, Weltwoche-General Roger Köppel, empörte sich über die Bewegten auf der Straße auch schon als »Kindersoldaten«. In diesem Krieg des irrwitzigen, präventiven Antikommunismus kämpfen rechte Staatsoberhäupter und Politiker:innen auf der ganzen Welt an gemeinsamer Front. Darin scheint die psychische Dimension der ökologischen Krise auf: Die schlichte Leugnung ist immer auch ein Lösungsversuch des in Not geratenen Denkens. Die verfolgende Angst bedroht auch rechte Demagog:innen und stellt ihre eigene Existenz in Frage. Wird sie zunächst durch Verleugnung zum Verschwinden gebracht, kehrt sie in Gestalt bizarrer Phantasmen und tradierter Bilder der Bedrohung zurück und wird so erst handhabbar.
Psychische Not und materielles Interesse fallen bei den Rechten zusammen. Die Leugnung des menschengemachten Klimawandels ist nicht etwa Unwissen oder Dummheit geschuldet, Fraktionen der Rechten sind eng mit dem fossilen Kapital verbandelt. Albert Rösti, Nationalrat und ehemaliger SVP-Parteichef, ist Präsident des Brennstoffverbandes Swissoil. Walter Frey, langjähriger Financier der Partei, verdient seine Milliarden als Autoimporteur. Die meisten Investmentportfolios und Beteiligungen der Milliardär:innen und Multimillionär:innen in den rechten Parteien sind hingegen nicht einsehbar, das Extraktions- und Emissions-Business bietet aber große Geldtöpfe. Wer daraus schöpft, hat wenig Interesse an wirksamen Klimaschutzmaßnahmen. Vom interessierten Unwissen zur Lüge ist es da nur ein folgerichtiger Schritt, schließlich dürften die Fakten mittlerweile auch den letzten Hinterbänkler:innen im Parlament bekannt sein. Rösti ließ sich nach dem desaströsen Wahlresultat der SVP im Herbst 2019 vom Blick interviewen, und sagte noch als Parteipräsident: »Ich hätte schon Anfang Jahr unsere klaren Gegenpositionen zum grünen Raubzug auf das Portemonnaie des Mittelstands markieren müssen.« Mein Geldbeutel soll auch dir heilig sein, lautet der Solidaritätsgedanke unter rechten Eidgenoss:innen. Das ist ihre partikulare Perspektive im universellen Klimadesaster.
Ökologische Dystopie und rechter Pragmatismus
Die Rechte galoppiert nicht blindlings der Apokalypse entgegen, sondern hegt Vorstellungen davon, wie Staat und Gesellschaft die Klimakrise verwalten sollen. Die Verteilungskämpfe um schwindende Ressourcen werden sich verschärfen, das weiß selbst Rösti, der mit seiner Partei die Vorteile der eigenen Herde schützen möchte. Wie bereits in der Covid-Pandemie lautet der Schlachtruf der Rechten, die bis weit in die liberale Welt reicht: survival of the fittest. In der Klimakrise wird das als nationales Credo ausgegeben. Die Nation soll für das anstehende Hauen und Stechen zur Trutzburg partikularer Interessen gemacht werden, die als jene des Mittelstandes gepriesen werden, zu dem sich der größte Teil der Schweizer Stimmbürger:innen zählen dürfte. Für diesen mögen einige Brosamen abfallen, die Leidtragenden im Innern sollen zuerst die Armen und Marginalisierten sein. Nach außen hin soll der Arbeitsmarkt vor unverwertbarer Migration abgeschirmt werden. Da die Klimakrise besonders den globalen Süden trifft, werden sich künftig mehr Menschen aufmachen, um vor Hunger und Elend zu fliehen. Wenn sich die Geschichte gleichmäßig fortschreibt, sind die Brutalität und Kämpfe an der europäischen Außengrenze erst ein Vorschein der unermesslichen Tragödie. Das liefert den Rechten wiederum das Schreckensszenario, um die hiesigen Lohnabhängigen nationalistisch gegen große Teile ihrer Klasse aufzustacheln.
Der Kampf der Rechten gegen die Klimabewegung und die Lügen über den Klimawandel begründen sich in Interesse und politischem Programm. Man wird der SVP und ihren eingeschworenen Anhänger:innen nicht mit Aufklärung und Argumenten beikommen. Hier rächt es sich ganz besonders, wenn man glaubt, im Kampf gegen die Klimaerwärmung habe man objektive Vernunft und neutrale Wissenschaft auf seiner Seite, in die letztlich alle Einsicht gewinnen könnten. Im dystopischen Szenario, das die Klimabewegung verhindern will, erkennen die Rechten eine zweckmäßige Perspektive, nach der sie ihre politische Strategie ausrichten. Die menschengemachte Klimakrise mag ein wissenschaftlich belegter Fakt sein, gesellschaftlicher Umgang und Folgen gehorchen aber Ideologie und Interessen. Das ist der Grund, warum die Rechte die Klimabewegung in ihren auflagestarken Zeitungen so energisch beschimpft.
Gesellschaft und Weltuntergang
Die Klimabewegung zeichnet häufig das dystopische Bild einer Katastrophe, die unversehens über die Welt hereinbricht: Wenn die planetaren Grenzen erreicht seien, stürze die Menschheit plötzlich in jenen Abgrund, vor dem sie seit Jahren stehe. Dieses Schreckensbild, illustriert an ausgemergelten Eisbären, verbrannten Bäumen oder überschwemmten Siedlungen, soll Bevölkerung und Politik wachrütteln. Eine der international bekannteren Gruppen trägt die Idee bereits im Namen: »Extinction Rebellion« mobilisiert zum »Aufstand gegen das Aussterben«. Auch der Klimastreik Schweiz schreibt auf seiner Website: »Wenn Monsterstürme, mörderische Hitzewellen, Dürreperioden und sterbende Ökosysteme sowie die daraus resultierenden Hungersnöte, Massenmigration und Ressourcenkriege auch das ›sichere Europa‹ erreichen, wird es zu spät sein.« Seien klar definierte Kipppunkte erst einmal überschritten, gebe es »kein Zurück mehr«. Die Lage ist dramatisch, das ist unbestritten; die Frage ist aber, was im Szenario des unvermittelten Weltuntergangs noch mitschwingt.
Das apokalyptische Denken macht die Bewegung potenziell anfällig für Autoritarismus. Eine der drei Kernforderungen des Klimastreiks ist die Ausrufung des staatlichen »Klimanotstandes«; alles politische Handeln soll der Klimafrage untergeordnet werden. Dabei werden Bezüge zur Kriegswirtschaft im Zweiten Weltkrieg wie auch zu den staatlichen Pandemie-Maßnahmen hergestellt. Dass Staaten aber keine hehren Ziele verfolgen, sondern ihre Nationalökonomie schützen wollen und dazu auch mit Menschenleben kalkulieren, gerät hierbei gerne in Vergessenheit. In der rot angemalten Version der autoritären Lösung gilt es einen Kriegskommunismus sowjetischer Prägung einzuführen, wie etwa der Autor Andreas Malm fordert. Der staatliche Zwang zum grünen Wirtschaften kann jedoch eine selbsttätige Gesellschaft, die nicht nur CO2-neutral, sondern auch lebenswert ist, nicht ersetzen.
»Monsterstürme, mörderische Hitzewellen, Dürreperioden und sterbende Ökosysteme«, wie sie der Klimastreik anführt, sind vielerorts Realität. Es ist aber kein Naturgesetz, dass daraus »Hungersnöte, Massenmigration und Ressourcenkriege« folgen. Gesellschaftliche Verhältnisse aus dem globalen Ökosystem abzuleiten, negiert die Gestaltungsmacht und verstellt emanzipatorische Strategien. Dabei zeigt ein Blick auf Gemeinschaften, die von Naturkatastrophen und Kriegen betroffen sind, dass sich gegenseitige Hilfe, Solidarität und Widerstand rasch verbreiten und Leid lindern können. Unabhängig davon, ob man in solchen »Disaster Communities« bereits die Keimzelle einer solidarischen Gesellschaft erkennen will, stehen sie doch beispielhaft dafür, dass Krisen offene Prozesse sind: Katastrophale Verhältnisse müssen nicht zwangsläufig in einen Krieg münden, in dem alle gegen alle kämpfen. Das ist eine Erzählung der Rechten, die dem autoritären Staat das Wort reden will.
Der ökologische Autoritarismus
Ein autoritärer Kurs droht nicht nur von Klimaleugner:innen auf der einen und Weltuntergangsprophet:innen auf der anderen Seite. Ein »grüner« Kapitalismus, der im globalen Norden CO2-neutral und dennoch wirtschaftlich potent und konsumfreudig ist, während die emissionsintensive Produktion in Niedriglohnländer ausgelagert wird, ist Schrecken genug. Er deutet sich in manchen Diskussionen bereits an, wenn etwa in Debatten um den CO2-Ausstoß in der Schweiz von mancher Seite lediglich die Emissionen im Inland thematisiert werden. Zudem erfreuen sich ökologische Sanktionen, die insbesondere die Armen zu tragen haben, einiger Beliebtheit. Wenn mit bewegter Stimme Billig-Airlines angeprangert werden, sollte man fragen: Wer fordert da eigentlich, dass der Flugverkehr über den Geldbeutel begrenzt wird? Man könnte auch die Privatjets vom Himmel holen und jedem Menschen ein festes Kontingent an Gratisreisen zusprechen.
Wie soziale Frage und ökologische Transformation aufeinanderprallen, konnte man in einigen Ländern bereits in aller Drastik beobachten. In Frankreich brannten ab Herbst 2018 aufgrund einer geplanten »Ökosteuer« auf Benzin monatelang die Straßen. An der Bewegung der Gilets Jaunes beteiligten sich vor allem arme Proletarisierte, die sich keine Wohnungen in den Zentren leisten können und die für Arbeit und Erledigungen auf ihre oft billigen, emissionsreichen Autos angewiesen sind. Ein französisches Klimabündnis reagierte auf die Bewegung und rief unter der Parole »Soziale Gerechtigkeit und Klima – gleicher Kampf!« zur Demonstration auf.
Eine Klimabewegung, die die Klassenfrage – modisch oft als »soziale Dimension« bezeichnet – nicht konsequent ins Zentrum stellt, sondern Gesetze begrüßt, die die Armen treffen, wird früher oder später zusehen müssen, wie ihre Klimamaßnahmen auf der Straße durchgeprügelt werden. Manch eine:r mag dann bereits als Mitglied einer grünen Regierungspartei aus dem Bundeshaus zuschauen.
Massenaufstände gegen Benzinpreiserhöhungen wie in Frankreich, Iran oder Ecuador sind in der Schweiz in absehbarer Zeit nicht zu erwarten. Die soziale Frage kann aber an vielen ökologischen Maßnahmen eskalieren. Der Universalismus der Klimabewegung ist nicht per se emanzipatorisch; die Perspektive wird auch an ihren Bündnispartner:innen kenntlich. Zwar zeigen sich unzählige Protagonist:innen von der großen Politik und ihren Exponent:innen enttäuscht, aber vor der naheliegenden Konsequenz schrecken sie meist zurück: der Hinwendung zu jenen, die bei der Rettung des Klimas auf finanzielle Interessen und kapitalistische Zwänge keine Rücksicht nehmen.
Klimastreik und Streikbegriff
Angesichts zäher politischer Prozesse stellt sich die Klimabewegung die Frage, wie sie den Druck erhöhen kann. Im Label »Klimastreik« ist eine Richtung dafür bereits angedeutet, aber ein »Streik« von Schüler:innen schädigt den nationalen Standort kaum und setzt damit auch die Regulierungsbefugten wenig unter Druck. Das Projekt »Strike for Future« will das ändern und organisierte im Frühling 2021 einen »bunten Aktions- und Streiktag«, weitere Mobilisierungen sind in Planung. Das erklärte Ziel ist es, die Klimabewegungen auf die Lohnabhängigen auszuweiten. Die Gewerkschaften UNIA, VPOD und SEV unterstützen das Projekt und waren auch bei den Demonstrationen präsent. Allerdings ist im Erklärungsdokument des Projekts ebenfalls von »solidarischen und ökologischen« kleineren und mittleren Unternehmen die Rede, die beteiligt sind.
Als wichtiges Vorbild des Projekts dient der Frauenstreik, an dem 2019 rund eine halbe Million Frauen teilnahmen. Dabei bleibt der Begriff »Streik« zunächst eine undeutliche Absichtserklärung. Ein Großteil der Beteiligten am Frauenstreik legte denn auch nicht seine Lohnarbeit gegen den Willen der Bosse nieder. Dies festzustellen ist so banal wie unvollständig; zu fragen ist, was die Wahl des Begriffs ausdrückt, welchen diskursiven Raum er öffnen kann und in welche Richtung er zielt.
Der Streikbegriff hat zwangsläufig eine Klassendimension; traditionell dient ein Streik der Schädigung des Gegners im Arbeitskampf. Würde in der Schweiz tatsächlich für das Klima die Arbeit niedergelegt, wäre damit der rechtliche Rahmen verletzt: Politische Streiks sind verboten. Sie haben sich in der Vergangenheit als wirkungsvolle Mittel zur Durchsetzung umfassender proletarischer Interessen herausgestellt. Wenn Medien und Politiker:innen schon bei der symbolischen Besetzung des Bundesplatzes wie im Herbst 2020 den Umsturz wittern, dürften bei einer auch nur kleinteiligen Arbeitsniederlegung, die die Regeln verletzt, alle bürgerlichen Alarmglocken läuten. Es spricht also erstmal alles für dieses Ansinnen.
Klimaerwärmung im proletarischen Alltag
Die Umsetzung dürfte sich indessen schwierig gestalten. Hierzulande ist der Streik kaum in Gebrauch, die Schweiz wetteifert mit Österreich seit Jahren um die zweifelhafte Ehre, die wenigsten Streiktage in Europa zu zählen. Lediglich einzelne Bewegte arbeiten in großen Betrieben oder wichtigen Sektoren, in denen ein Streik wirtschaftlichen Schaden anrichten oder das öffentliche Leben lahmlegen könnte. Zudem gibt es kaum eine Verankerung oder Vernetzung in diesem Bereich.
Keine noch so dynamische Kampagne kann aber die selbsttätige Organisierung am Arbeitsplatz ersetzen. Auch die an der Sozialpartnerschaft orientierten Gewerkschaften sind dazu wenig tauglich und stehen einer Streikbewegung im schlechtesten Fall sogar im Weg – spätestens, wenn sie das enge juristische Korsett zu sprengen droht. Im Zuge des Frauenstreiks haben sich aber vielerorts Frauen an ihrem Arbeitsplatz organisiert, verschiedene Basisgruppen sind bis heute aktiv. Auch im Zuge des »Strike for Future« wird dies angestrebt: Die Plattform »Workers for Future« versucht, betriebliche Basisgruppen, Gewerkschaften und einzelne Arbeiter:innen zu vernetzen und bei der Organisierung zu unterstützen. Sie betont innerhalb der Klimabewegung die Klassendimension der Klimakrise und bot einen Vorschein auf die bestmögliche Entwicklung: Aktivist:innen solidarisierten sich kürzlich mit einem Protest von Angestellten der Fluggesellschaft Swiss; wohl wissend, dass diese nicht für deren CO2-Emissionen verantwortlich sind.
An einer Manifestation auf dem Bundesplatz hielt eine Aktivistin ein Schild hoch, auf dem zu lesen war: »Ich gehe zum Strike for Future, weil ich bei 40 Grad nicht draussen arbeiten kann.« Allerdings hat ein Streik für den Klimaschutz wenig Bezug zu den aktuellen proletarischen Arbeits- und Lebensverhältnissen, auch kann der einzelne Boss wenig am Wandel des Klimas ändern. Während beim Frauenstreik das Thema Sexismus über direkte Missstände am Arbeitsplatz artikuliert und entsprechende Maßnahmen eingefordert werden konnten, benennt der Klimastreik keine proletarischen Alltagsprobleme. Im Gegenteil wurden der Klimabewegung in öffentlichen Debatten immer wieder die kurzfristigen Interessen von Arbeiter:innen entgegengehalten. Kapitalist:innen und Politiker:innen wissen den Widerspruch zu befeuern, wenn sie Maßnahmen für Klimaschutz zur Bedrohung für Arbeitsplätze in der Industrie hochkochen – ohne die Alternativen zu erwähnen.
Dem muss man mit der Forderung nach kostenlosem öffentlichem Verkehr oder dem Umbau ungesunder und emissionsreicher Industrien und Arbeitsplätze begegnen. In sein Manifest zum Aktionstag im Frühling 2021 hat der Klimastreik Schweiz dies aufgenommen und gesunde, gut bezahlte und nachhaltige Arbeitsplätze, eine Verkürzung der Arbeitszeit, den Abbau umweltbelastender Industrien sowie proletarische Entscheidungsmacht über die Arbeitsprozesse gefordert. Wie dies realisiert werden soll, ist der Erklärung allerdings nicht zu entnehmen. Eine konsequente Umsetzung würde mit den Eigentumsverhältnissen kollidieren und die Frage ums Ganze auf die Tagesordnung setzen. In einer solchen Perspektive, die über den gesamten Schlamassel hinausweist, fallen dann Klimaschutz und proletarische Interessen naturwüchsig zusammen: Denn der Kapitalismus ist ebenso für die klimatische wie für die proletarische Misere verantwortlich, weil er »die Springquellen alles Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter«, wie Karl Marx an einer Stelle im Kapital (Erster Band, MEW 23, 531) schrieb. Der Streik für das Klima wird aus proletarischer Warte besonders interessant, wenn er radikal begründet wird.
In der politischen Praxis sollte die eigene soziale Realität Thema sein. In langer Frist ist die Zentrifugalkraft von Bildung, Beruf und Geld groß, kann aber über die Reflexion zumindest ins Bewusstsein geholt werden. Viel wäre schon gewonnen, wenn man etwa die Universität – die viele Bewegte beheimaten wird – als jenes Durchgangsstadium betrachtet, das sie ist: Am Ende wird das dort erzeugte Menschenmaterial im Arbeitsmarkt verteilt, teilweise zu guten Konditionen, teilweise lebenslang prekär. Die Klimafrage zu einer Frage um das ganze System zu machen, heißt auch, die eigene Rolle darin zu reflektieren, während man sich für die proletarisch-universelle Emanzipation organisiert.
Klassenlose Gesellschaft oder ökologisches Desaster
»System Change not Climate Change« lautet eine zentrale Parole der Klimabewegung. Im Gründungsdokument des Klimastreiks Schweiz findet sich eine entsprechende Klausel: »Falls unseren Forderungen im aktuellen System nicht nachgekommen werden kann, braucht es einen Systemwandel«. Die Konjunktion »falls« kann man mittlerweile getrost durch ein bestimmtes »weil« ersetzen. In einem Video von Ende 2020 unterstreicht dies auch Greta Thunberg. Sie erklärt dort, dass man nach der Lektüre der wissenschaftlichen Literatur nur zu einem Schluss kommen könne: »Die ökologische Krise kann ohne Systemwandel nicht gelöst werden«. Der Strike for Future schreibt in seinem Manifest ebenfalls explizit: »Die ökonomischen, ökologischen und sozialen Krisen, die das kapitalistische System erzeugt, können nicht innerhalb des Systems gelöst werden«. Das alles wirkt derweil noch recht schemenhaft. Die Frage, was den Kapitalismus auszeichnet und wie ein Systemwandel aussehen müsste, dürfte die Klimabewegung in nicht allzu ferner Zukunft noch beschäftigen.
Für die Abwendung der Klimakatastrophe ist entscheidend, unser Verhältnis zur Natur bewusst zu gestalten. Im Kapitalismus unterliegt es systematischen Zwängen, die die rasende Ausbeutung aller Naturressourcen bewirken. »Die Freiheit in diesem Gebiet kann nur darin bestehen, dass der vergesellschaftete Mensch, die assoziierten Produzenten, diesen ihren Stoffwechsel mit der Natur rational regeln, unter ihre gemeinschaftliche Kontrolle bringen, statt von ihm als von einer blinden Macht beherrscht zu werden.« (Marx, Das Kapital. Dritter Band, MEW 25, 828) Dazu müssen die Produktionsmittel vergesellschaftet und den Zwängen des Kapitals sowie der Willkür der Kapitalist:innen entzogen werden. Objektiv ist das Schreckgespenst der Rechten real: Was die Klimabewegung unter »Klimagerechtigkeit« fasst, ist in einer Gesellschaft, die auf Ausbeutung, Geld und Kapital beruht, nicht denkbar: Ihre Umsetzung muss in die klassenlose Gesellschaft, den Kommunismus, münden.
Doch nicht nur muss sich die Idee der klassenlosen Gesellschaft in der Klimabewegung verbreiten, genauso müssen sich Kommunist:innen verstärkt mit ökologischen Aspekten befassen. Die kommunistische Bewegung war lange Zeit von einem Technikoptimismus geprägt, den die Verheerungen von zweihundert Jahren industriellem Kapitalismus längst zur verstaubten Absurdität gemacht haben. Stattdessen wäre zu diskutieren, in welcher Weise die industrielle Form an den kapitalistischen Inhalt gebunden ist: die möglichst intensive Ausbeutung zur Erzeugung von Mehrwert. Zugleich wäre zu klären, welche Maschinen und Prozesse uns von Mühsal und Entbehrung befreien können, ohne unsere Lebensgrundlagen zu zerstören.
Es ist das Kapital, das im Widerspruch zu intakten Naturprozessen steht, nicht die menschlichen Bedürfnisse. Die vernünftige Gestaltung unseres Stoffwechsels mit der Natur würde auch unsere Wahrnehmung der äußeren Natur und unsere Position auf dem Planeten umwälzen. Man sollte sich nicht in kleinräumige Utopien grüner Bürger:innen flüchten, aber die Ökobilanz der Weltcommune wird die Zukunft der Menschheit dereinst mitentscheiden.