Zwischen Arbeiterautonomie und Kommunisierung

23. August 2012

Eine Kritik an den »28 Thesen zur Klassengesellschaft«

Die folgende Kritik an den 28 Thesen zur Klassengesellschaft (Kosmoprolet 1) wurde von der französischen Gruppe Théorie Communiste (TC) verfasst, die in den vergangenen Jahren vermehrt internationales Echo gefunden hat, hierzulande jedoch weitgehend unbekannt ist.1 Zum besseren Verständnis der Kritik verweisen wir auf unsere Replik, die zunächst in die französische Diskussion um »Kommunisierung« einführt.

Grundsätzlich geht TC davon aus, dass weder »Arbeiterautonomie« noch »Selbstorganisation« zeitlos sind oder per se über das Kapitalverhältnis hinausweisen. Vielmehr kristallisierte sich die Perspektive der Kommunisierung – verstanden als Selbstabschaffung des Proletariats qua Abschaffung der bestehenden Produktionsweise – der Gruppe zufolge erst im Zuge einer tiefgreifenden Umstrukturierung ab den 1970er Jahren heraus, die das Verschwinden jeder positiven Arbeiteridentität zur Folge hatte. Die Kritik versucht vor allem nachzuweisen, dass wir diese historischen Verschiebungen nicht berücksichtigen und entgegen unserer expliziten Absicht ein geschichtlich unwandelbares revolutionäres Wesen des Proletariats unterstellen, zumindest aber den Charakter der kommunistischen Revolution nicht ausreichend historisieren. Anstatt herauszuarbeiten, wie Klassenidentität in der gegenwärtigen Phase zu einem äußeren Zwang geworden ist, mit dessen Infragestellung die aktuellen Kämpfe bereits über sich hinaus auf die Kommunisierung verweisen, bezögen wir demnach einen den Kämpfen äußerlichen »kommunistischen Standpunkt« und handelten uns somit allerlei Vermittlungsprobleme zwischen »Theorie« und »Praxis« ein.

Der Text ist im Zusammenhang der französischen Übersetzung der 28 Thesen entstanden, die 2009 als Broschüre im kanadischen Verlag La Sociale erschienen sind. Er wurde für den Abdruck stark gekürzt. Unter anderem wurden Anmerkungen zu unserer These, die sich mit dem historischen Wandel des Geschlechterverhältnisses befasst, gestrichen. Da diese, wie wir einräumen, den übrigen Thesen letztlich äußerlich geblieben ist, hätten auch die Anmerkungen zu ihr vom roten Faden der Debatte weggeführt. Auf den Zusammenhang von Kapital- und Geschlechterverhältnis wollen wir im nächsten Heft zurückkommen. Die vollständige französische Fassung der Kritik findet sich auf unserer Webseite.

Freundinnen und Freunde der klassenlosen Gesellschaft

 

Aus der Gesamtheit der 28 Thesen entsteht ein problematischer Zwiespalt zwischen den noch an den Operaismus angelehnten Theorien der Arbeiterautonomie und der Theorie der Revolution als »Selbstaufhebung des Proletariats«, die als Theorie der Kommunisierung bezeichnet werden kann. So wird die Kommunisierung einmal sehr abstrakt als »Selbstaufhebung« definiert und ein zweites Mal sehr konkret als »Selbstorganisation«, als Neuzusammensetzung der »Proletarisierten« zum historischen Subjekt, analog zu jenem in den Sternstunden des Klassenkampfes bis in die 1970er Jahre. Der Begriff der »Selbstaufhebung« wird wie in den 1970er Jahren verwendet, in denen er den Theorien der Selbstorganisation und des Rätekommunismus als Ausweg aus ihren Sackgassen galt.

In den Thesen zieht sich eine (wenngleich minoritäre) Radikalität des revolutionären Kommunismus, dessen Gehalt in früheren historischen Phasen nie wirklich bestimmt wird, durch die gesamte Geschichte. So gibt es zwar kein »revolutionäres Wesen« des Proletariats [These 9], aber eine wesenhafte kommunistische revolutionäre Praxis. Darin besteht die Inkohärenz des Textes. Was der Revolution als Aufrichtung des Proletariats zur herrschenden Klasse eigen ist – gegenüber dem Kapital als selbständige Klasse für sich zu existieren –, wird zum Charakteristikum jeglicher Revolution. Gleichzeitig und im Widerspruch hierzu wird der gegenwärtige Inhalt der Revolution als etwas dargestellt, das es schon immer so gegeben habe, wenn auch nur von Minderheiten vertreten. Das revolutionäre Wesen, das nur in tautologischer Weise abgelehnt wird, kehrt in Gestalt dessen, was Revolution und Kommunismus sein sollen, als historische Konstante zurück. Dann aber ist die Selbstaufhebung bloß die autonome Affirmation der Klasse.

I. Das Wesen

Der Klassenkampf erscheint als doppelte Veranstaltung: Seine revolutionäre Seite entspricht einer Konstante, der Revolution in ihren »weiterreichende Momenten« [2], also der »Selbstaufhebung des Proletariats«. Die andere Seite unterliegt den unvorhersehbaren Konjunkturen und Entwicklungen der kapitalistischen Produktionsweise und äußert sich meist in »etatistischen Strömungen« und »Reformismus«. Außer dem Einfluss der Umstände und der Preisgabe der »revolutionären Prinzipien« wird zwischen beiden keinerlei notwendiger Zusammenhang hergestellt. Theoretisch läuft dies auf ein revolutionäres Wesen hinaus, historisch schiebt es den intensiven Momenten des Klassenkampfes einen Inhalt unter, der nicht der ihre war, und so wird die gegenwärtige Situation eine unentzifferbare Hieroglyphe. Weder die Aufständischen von 1848, die Kommunarden von 1871, die deutschen Arbeiter von 1919 noch die russischen Arbeiter von 1917 hatten die »Selbstaufhebung des Proletariats« zum Ziel, sondern die autonome Affirmation des Proletariats gegen das Kapital. Wenn die Thesen dies mit der »Selbstaufhebung« gleichsetzen und daraus eine Konstante der Revolution machen, verkennen sie, dass ein solches Ziel nur als die andere Seite des Machtgewinns der Klasse innerhalb der kapitalistischen Produktionsweise, die sich in den als etatistisch bezeichneten Strömungen ausdrückte, existierte. Es war der innere – konflikthafte und gewaltsame – Zusammenhang zwischen diesen beiden Seiten, der die etatistische Strömung zur Konterrevolution der Revolution werden ließ.

»Es war die Tragik des 20. Jahrhunderts, dass die Revolution ausgerechnet dort ausbrach, wo die Bedingungen für den Kommunismus die denkbar miserabelsten waren« [14]. Alles in dieser These redet einem historisch gleich bleibenden »revolutionären Wesen« das Wort, das sich mit den Bedingungen herumplagt, unter denen es zur Verwirklichung drängt. Die Revolution war also gut, unterlag jedoch Bedingungen, die aus ihr eine »Übergangsperiode« oder »Diktatur des Proletariats« machten. Sobald die autonome Affirmation der Klasse als konstanter Inhalt der Revolution verstanden wird, verschwindet das Problem, dass diese Revolution in einer notwendigen Beziehung zu ihrer Konterrevolution stand. Wenn die These den Inhalt der damaligen Revolution benennt – die Erhebung des Proletariats zur herrschenden Klasse und die Befreiung der Arbeit –, bestimmt sie dies lediglich als eine »Tragödie«, das heißt sie bemerkt einen Widerspruch gegenüber dem, was sie ist, und ihre Unfähigkeit zu werden, was sie sein sollte.

These 6, die sich der Russischen Revolution von 1917 widmet, erwähnt eine »kommunistische Strömung«, die sich »an die Übernahme von Produktion und Verteilung machte und darauf aufbauend eine überbetriebliche Koordination anstrebte«. Aber »keine dieser beiden Bewegungen [Arbeiterklasse und revolutionäre Bauern] war in der Lage, eine gesamtgesellschaftliche Reproduktion zu gewährleisten. Der bolschewistischen Partei als Staatsmacht fiel die Aufgabe zu, das wirtschaftliche Überleben in despotischer Form zu organisieren, und zwar gleichermaßen gegen Arbeiter und Bauern.« Mehr erfahren wir über diese Strömung und ihre Beziehung zur bolschewistischen Konterrevolution nicht. Stellen die Übernahme von Produktion und Verteilung und die überbetriebliche Koordination die »Selbstaufhebung« des Proletariats dar? Zwei in die Thesen eingeschobene Zitate und einige historische Anmerkungen erwecken den Eindruck, dass dies der Fall ist.

Das erste ist von Henk Canne-Meijer und findet sich in These 15, die als Beschreibung der »Bewegung der Kommunisierung« präsentiert wird: »Solange die Massenbewegungen noch klein sind und noch an der Oberfläche bleiben, solange tritt die Tendenz zur Beherrschung aller gesellschaftlichen Kräfte nicht so deutlich in Erscheinung. Aber werden diese Bewegungen größer, dann werden auch stets neue Funktionen in den Bereich der kämpfenden Massen gezogen, ihr Wirkungsbereich dehnt sich aus. Und in dieser kämpfenden Masse vollziehen sich dann vollkommen neue Beziehungen zwischen den Menschen und dem Produktionsprozess. Es entwickelt sich eine neue �Ordnung‹. Das sind die wesentlichen Kennzeichen der selbständigen Klassenbewegungen, und sie sind denn auch der Schrecken der Bourgeoisie.«

Lassen wir beiseite, dass, anders als hier behauptet, nichts von dem einem »Drehbuch für den Pariser Mai 1968« entspricht.2 Der Inhalt des Zitats geht nicht weiter als jede beliebige revolutionär- syndikalistische Zukunftsvision. Der selbe Canne-Meijer wirkt im selben Moment bei der Erstellung der Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung mit, die in den Thesen als »Selbstverwaltung der Warenproduktion« bezeichnet werden. Die Deutung des Zitats, das nichts anderes ausdrückt als die Bewegung der Revolution als Affirmation der Klasse, erstaunt. Canne-Meijer wäre also schon ein Theoretiker der Kommunisierung… indem er Arbeitsstunden ausrechnet und seine kleinen Zettel druckt. Die »Selbstaufhebung des Proletariats« wird in den Thesen nicht nur als Revolution, die seit jeher gleich geblieben sei, beschrieben, sie ist sogar nichts anderes als die Affirmation des Proletariats, das seine Autonomie bewahrt.

Das zweite Zitat stammt von Werner Imhof: »Die Lohnabhängigen können sich überhaupt nur zur Klasse ›für sich‹ vereinigen, um sich als Klasse aufzuheben, durch die vollständige Negation des trennenden Privateigentums, durch das Interesse, sich nicht nur der betrieblichen Produktionsmittel zu bemächtigen, sondern des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses in seiner Gesamtheit (und das heißt notwendig: auch im internationalen Maßstab).« [13] »Sich als Klasse aufzuheben« bedeutet hier nichts anderes als Vergesellschaftung der Arbeit und der Produktionsmittel sowie Abschaffung des Privateigentums, das heißt das A und O der Affirmation des Proletariats und seiner Vereinigung. Weder in diesem noch in dem anderen Zitat wird irgendwo die Ebene der Produktionsorganisation und der Fragen von Verwaltung und Eigentum überschritten.

1968 fassten die »revolutionären Minderheiten« die Selbstaufhebung »genauer […] als ihre Vorgänger« [16] um 1917. Demnach entsprach die Revolution bereits 1917 der Selbstaufhebung, was eben zu beweisen wäre. Doch wie kam es dann, dass die Kämpfe der Proletarier sie »nicht über die Klassengesellschaft hinaus, sondern immer tiefer in sie hineingeführt« [9] haben? Entgegen der allgemeinen Behauptung in These 9 – »Das Proletariat hat kein revolutionäres Wesen«; »wie die Proletarier kämpfen, so sind sie« –, beinhaltet jeder dargestellte Kampf die »Selbstabschaffung«. So ist die Revolution ihrer Substanz nach stets identisch, das Proletariat folglich wesenhaft revolutionär, gelangt aber aus verschiedenen Gründen nie erfolgreich zum Durchbruch.

Warum »scheiterte« die Russische Revolution? Die Thesen vergegenwärtigen ihren verwaltungstechnischen Aspekt in der Aufstiegsphase von Februar bis Oktober 1917 ebenso wie den der Übernahme der Fabriken. Die Tatsachen werden nicht geleugnet, aber als »kommunistische Strömung« mit dem Inhalt der »Selbstaufhebung des Proletariats« gefasst. Damit wird alles unverständlich. Man muss sich von diesem Essentialismus der Revolution und des Kommunismus freimachen, um die grundlegende Verbindung zwischen der Revolution und der bolschewistischen Konterrevolution zu erkennen. Diese speiste sich auf natürliche Weise (was nicht heißen soll: ohne Auseinandersetzungen) aus dem Verlauf der Arbeiterrevolution. Sie ist, wie Trotzki formulierte, »die Machtübernahme des Proletariats in seiner Gesamtheit« zusammen mit der »im Sinne einer geplanten Regelung der nationalen Ökonomie eingesetzten Arbeitermacht«3. Wenn die Revolution die Kontrolle und die Leitung der Fabriken, die Organisation der Beziehungen zwischen ihnen, der Zirkulation und des Austausches der Arbeitsprodukte beinhaltet, kann sie dem Staat, dem Wert, dem Plan und der erneuerten zentralen kapitalistischen Führung nur ihre Basisdemokratie der Sowjets entgegenstellen, das heißt: nichts, nur eine reine Form und den Widerstand gegen die von neuem aufgezwungene Arbeit.

Weil die Thesen die Revolution nicht in ihrer Historizität und in ihrem Wesen als Arbeiteraffirmation erfassen, wird die bolschewistische Konterrevolution zu einem zufälligen Ereignis: »im Falle einer proletarischen Revolution in Westeuropa« wären die Bolschewiki womöglich »im Lager der Revolutionäre« geblieben. Falsch. Seit Brest-Litowsk setzten die Bolschewiki alles daran, dass es in Europa nicht zur Revolution kommt, wie sich jeder Fibel der Linksradikalen entnehmen lässt. Wir erfahren nur, dass »die inneren und äußeren Bedingungen« den Sieg der Bolschewiki zuließen [6]. Aber warum, und in welchem Verhältnis standen die Bolschewiken zur »kommunistischen Strömung« in der Russischen Revolution? Hier dient das Ausbleiben der Revolution im Westen dazu, sich nicht nur um die Analyse der Russischen Revolution und ihrer Verbindung mit der bolschewistischen Konterrevolution herumzustehlen, sondern auch um die Frage nach dem Verhältnis der Bolschewiki zur Revolution im Westen.

Wie hätten die Bolschewiken als »Etatisten« überhaupt im »Lager der Revolutionäre« bleiben können? Von welchem »Lager« ist hier die Rede, von dem der Macht der Arbeiterräte? Dieses bildete zu der Zeit nämlich das »Lager der Revolutionäre«, zumindest wenn man nicht davon ausgeht, dass die wahre Revolution immer schon die »Selbstaufhebung des Proletariats« gewesen ist. In den Thesen scheint der Unterschied zwischen der »Selbstaufhebung des Proletariats« und seiner Affirmation nichts weiter zu sein als der von Autonomie und Repräsentation. Agieren die Proletarier selbst, handelt es sich um »Selbstaufhebung« (oder fast, je nach den Bedingungen); überlassen sie sich der Repräsentation, ist es Affirmation. Wiederum findet sich ein gleichbleibendes Wesen der Revolution und des Kommunismus, was notwendigerweise die Problematik der Bedingungen, die die Erscheinungsform dieses Wesens prägen, nach sich zieht. Diese Problematik begegnet uns in Form der Entwicklung der Produktivkräfte und ihres Widerspruchs zu den Produktionsverhältnissen.

»Vom Widerspruch zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen auszugehen, ist nicht ohne Grund in Verruf geraten.« [17] Nach der berechtigten Kritik an der Entwicklung der Produktivkräfte als Königsweg zum Sozialismus wird eben dieser Entwicklung bescheinigt, dass sie »unter anderen Verhältnissen den Produzentinnen entgegenkommen könnte, statt sie zu unterjochen«. Entscheidend ist hier, dass sie als Akkumulation nutzbarer Bedingungen begriffen wird und nicht als eine Stufe des Widerspruchs zwischen Proletariat und Kapital. Diese einfache Reflexion, die nicht von einer Kritik des Begriffs der Produktivkräfte begleitet wird, führt geradewegs zu dem Zitat, mit dem die These endet: »So bemerkte 1969 ein Comitato Operaio di Porto Marghera, ›dass die Menge der akkumulierten Wissenschaft so groß ist, dass die Arbeit sofort auf ein beiläufiges Faktum des menschlichen Lebens reduziert werden könnte, statt sie als ›Grund der menschlichen Existenz‹ zu deklarieren‹.« Die Produktion wird als Notwendigkeit vorgestellt, sicherlich lästig, aber dennoch neutral und objektiv, ausgeführt durch eine ebenso neutrale und objektive Tätigkeit, die Arbeit. Diesen Fluch gilt es lediglich zu verringern. Doch stellt die Arbeit, ganz wie die Produktivkräfte, ein soziales Verhältnis dar. Es geht nicht darum, es zu verringern, sondern es abzuschaffen. Wenn es Hoffnung auf »Müßiggang« geben soll, dann auf Basis der Entwicklung der »Produktivität« [21]. Ist das so zu verstehen, dass es für die Gewährleistung jenes, des Müßiggangs, diese zu erhalten gilt: die Produktivität?

Selbst wenn dies mittels einer Auswahl und Nutzung der Produktivkräfte zu »unseren Gunsten« von statten ginge, bleibt das Proletariat dabei eben jenes unwürdige »Anhängsel der kapitalistischen Entwicklung«, das in These 16 als Merkmal der »alten Arbeiterbewegung« denunziert wird. Die selbe These behauptet, die »kapitalistische Vergesellschaftung« könne »nun unmittelbar in den Kommunismus umschlagen« [Herv. TC]. In dem dieser überraschenden Behauptung folgenden Zitat beschreibt Marx jedoch einen prozessierenden Widerspruch und nicht die Tendenz hin zu einer direkten Transformation.

Das Proletariat bleibt so sehr »unwürdiges Anhängsel«, dass seine Handlungsmöglichkeiten und die Aussichten auf ein adäquates Zutagetreten des gleich bleibenden Wesens der Revolution von dieser Entwicklung abhängen, wie die Russische Revolution mit ihren »miserablen Bedingungen« oder allgemeiner die »Ära der Arbeiterbewegung« zeigen, in der keine Möglichkeit bestand, die Zentralität der Arbeit »wirklich überwinden zu können« [3; Herv. TC]. Hier verbindet sich die Revolution als historische Konstante mit der Problematik der Bedingungen, die ihr Zutagetreten erleichtern oder erschweren.

Der »in Verruf geratene« Widerspruch zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen »verschärft« sich sogar noch in These18 dahingehend, dass »der Anachronismus des Kapitals […] handgreiflich« wird. Mit Debord wird die Arbeit, einer historischen Linie vom Nutzen zur Schädlichkeit folgend, anhand ihrer Produkte beurteilt. Eine solche (moralische) Betrachtung ist rein objektivistisch und verortet die Arbeit nicht als Tätigkeit innerhalb eines bestimmten gesellschaftlichen Verhältnisses.

Nicht die Entwicklung der Produktivkräfte rückt die Gegenwart in die Nähe der Revolution, sondern die Geschichte des Widerspruches, der diese Bewegung hervorbringt.

In den Grundrissen liefert Marx die Grundpfeiler einer Kritik an der objektivistischen Konzeption dieses Widerspruchs: »Das Kapital ist selbst der prozessierende Widerspruch [dadurch], daß es die Arbeitszeit auf ein Minimum zu reduzieren strebt, während es andrerseits die Arbeitszeit als einziges Maß und Quelle des Reichtums setzt. Es vermindert die Arbeitszeit daher in der Form der notwendigen, um sie zu vermehren in der Form der überflüssigen«.4 Die Produktionsverhältnisse bilden selbst die Schranke für das Wachstum der Produktivkräfte. Dieser Widerspruch verwandelt sich in einen inneren Widerspruch der Produktionsverhältnisse, einen Widerspruch, dessen Inhalt, Form und Verlauf in der Ausbeutung besteht (und in unmittelbarer Form im Klassenkampf, wobei dieser weder eine Folge dieses »Widerspruchs« darstellt noch durch ihn geformt ist).

Der Widerspruch zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen ist nichts weiter als die Form, in der der innere Widerspruch der Verwertung des Kapitals (als prozessierender) erscheint; er ist in der Entwicklung der Produktivkräfte ebenso gegeben wie in den Produktionsverhältnissen. Die Produktivkräfte sind die materielle Form der Produktionsverhältnisse; als von der individuellen Arbeit getrennte gesellschaftliche Arbeit stellen sie eine widersprüchliche Macht dar, die zur Explosion der kapitalistischen Produktion führen kann. Dieser berüchtigte Widerspruch lässt sich als jener zwischen dem Vermögen der Arbeit, das Kapital zu verwerten, und der Infragestellung dieses Vermögens durch seinen Einsatz selbst, zusammenfassen.

In den Thesen fungiert der Widerspruch zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen nicht nur als formgebende Bedingung des konstanten Wesens der Revolution und des Kommunismus, er bestimmt auch beide. »Man sollte die Revolution allerdings nicht mit dem falschen Versprechen belasten, sie werde das Reich der Notwendigkeit in nichts als Spiel und Wohlgefallen auflösen; ebenso wenig wird es in seinem heutigen abstrakten Gegensatz zu einem von der Gestaltung der Welt entleerten Reich der Freiheit verharren« [13]. Ein prächtiger Drahtseilakt, doch die beiden Aussagen bleiben unverbunden und offenbaren nur Verlegenheit.

Verbinden wir dieses Zitat mit dem von den Arbeitern von Porto Marghera, dann folgt daraus, dass die »Notwendigkeit« die Klassengesellschaft hervorbringt und nicht umgekehrt. Dagegen muss betont werden, dass nicht die Möglichkeit des Überflusses zum Kommunismus befähigt, sondern dass die Produktion des Kommunismus – nicht quantitativ, sondern gesellschaftlich – den Überfluss bestimmt, indem sie die Produktion der Beziehungen zwischen Individuen als Individuen in Mittel und Zweck aller Tätigkeit verwandelt. Indem er die Kategorien des Habens überwindet, gibt der Kommunismus dem Reichtum einen völlig anderen Inhalt, der nicht länger gemessen werden kann. Es ist die Spaltung der Gesellschaft in Klassen, die den historischen (nicht natürlichen) Begriff der Notwendigkeit, des Mangels und selbst des Überflusses erzeugt, und zwar im Verhältnis zu einer bestimmten geschichtlichen Epoche und nicht zu menschlichen Bedürfnissen schlechthin, die als solche (genau wie ihre Befriedigung) undefinierbar sind.

Die Tätigkeit des Menschen als gegenständlichem Wesen ist nur in dem Maß als Arbeit bestimmt, in dem gesellschaftliche und individuelle Tätigkeit nicht in den von den Individuen zwischen sich hergestellten Beziehungen zusammenfallen. Die Abschaffung der Arbeit ist die Abschaffung eines gesellschaftlichen Verhältnisses; sagt man, dass die Menschen in einer »kommunistischen Gesellschaft« weiterhin Stoffwechsel mit der Natur vollziehen und somit weiterhin Arbeit besteht, dann ist der Begriff der Arbeit so wahr wie hinfällig: Dass die Menschen weiterhin atmen, verrät uns weder etwas über den Kommunismus noch über den Kapitalismus. Ein solcher Begriff der Arbeit widerspricht sich zudem selbst, da er alle denkbaren Tätigkeiten einbezieht, auch die sogenannten »höheren«, die durch die freie Zeit mancher ermöglicht werden und die er selbst als »Nicht-Arbeit« (Marx) fasst. Auch wenn die Abschaffung der Arbeit nicht im Zentrum revolutionären Handelns steht (da dies die widersprüchlichen gesellschaftlichen Verhältnisse wieder in die Form eines bestimmen Typs von Tätigkeit gießen, sie also naturalisieren und auf eine Frage des Verhältnisses Individuum – Natur – Gesellschaft reduzieren würde), bedeuten die Abschaffung des Kapitals und die Produktion des Kommunismus doch die Abschaffung der Arbeit, wenngleich dies nicht aus einer Problematik und inneren Dynamik der »Tätigkeit Arbeit« entspringt. Vielleicht werden die produktiven Tätigkeiten nicht in ihrer Gesamtheit »von heute auf morgen« leidenschaftlich, gewiss aber ist der Kommunismus nicht als Nebeneinander zweier unterschiedlicher Sphären vorstellbar. Es ist unmöglich, dass manche Tätigkeiten als leidenschaftslose weiter bestehen, während andere diesen Charakter abgestreift haben werden.

Es stimmt, dass sich nicht alle Probleme »von heute auf morgen« lösen lassen werden. Doch dass der Kommunismus zu Beginn Probleme lösen muss, die ihm vom Kapitalismus hinterlassen wurden (ungleiche Entwicklung, qualitative Veränderung der Produktionsmittel, Abbau gefährlicher Apparate, Zerstreuung der Bevölkerung, Beseitigung der in den Raum eingeschriebenen materiellen Ausformungen des Gegensatzes von Stadt und Land, »Wiederaufwertung« der alten agrarischen oder »natürlichen« Gebiete), ist keine Begründung für eine Übergangsphase, in denen der Kommunismus noch nicht als das »funktionieren« würde, was er wesentlich ist, und die solange andauere, bis ein bestimmtes Niveau an Entwicklung, das vollkommen unbestimmbar ist, erreicht sein mag.

In der kapitalistischen Produktionsweise muss das grundlegende gesellschaftliche Verhältnis, das das Kapital darstellt, in Form einer Objektivität reproduziert werden, der die ihr unterworfene Subjektivität der Tätigkeit gegenüber steht, die den anderen Bestandteil der Produktionsweise und des Produktionsprozesses ausmacht. Abschaffung der Klassen bedeutet ebenso Abschaffung der Tätigkeit als Subjektivität wie auch ihres Produktes in Form einer ihr gegenüberstehenden Objektivität. Der durch die kommunistische Revolution geschaffene Überfluss ist nicht vom Schlage des Habens, sondern des Zusammenseins, der Gemeinschaft. In der Bewegung der Revolution selbst entspinnt sich die Entobjektivierung der Welt.

Die Ambivalenz des Kommunismusbegriffs in den Thesen entspringt der Konzeption der »fortschrittlichen« Entwicklung der Produktivkräfte. Es ist die eigenmächtige Entwicklung der Produktivkräfte, die den Kommunismus ermöglichen soll. Die Revolution ist dergestalt kein wirklicher Bruch mit dieser Entwicklung, verstanden als eine Bestimmung des Klassenkampfs, als Kräfteverhältnis, sondern nur eine andere Anwendung der Produktivkräfte.

Vom gleich bleibenden Wesen der durch die Entwicklung der Produktivkräfte geformten Revolution gelangen wir zum revolutionären Wesen des Proletariats. Zwar heißt es: »Das Proletariat hat kein revolutionäres Wesen« [9], doch ist dies eher die Leugnung dessen, was aus dem gesamten Text hervorgeht, als eine Aussage, aus der alle Konsequenzen gezogen werden. »Das Proletariat hat kein revolutionäres Wesen« – »Wie die Proletarier kämpfen, so sind sie« – »Ihre Kämpfe haben sie bis heute nicht über die Klassengesellschaft hinaus, sondern immer tiefer in sie hineingeführt« – »Ebenso wenig erlischt mit dieser Integration die Möglichkeit der Revolution« – »Der materialistische Geschichtsbegriff geht davon aus, daß es anders hätte kommen, die Klassenkämpfe einen anderen Ausgang hätten nehmen können.« [9]

Das Proletariat ist, was es tut, aber es hätte auch anderes tun können. Schlussfolgerung eins: Das Proletariat könnte etwas anderes sein, als es ist, wenn seine Kämpfe anderer Art gewesen wären, dorthin weist der Satz »Wie die Proletarier kämpfen, so sind sie«: Dem Proletariat hätte eine andere Definition zukommen können. Schlussfolgerung zwei: Das Proletariat ist also nicht, was es tut, da es in jedem Moment auch etwas anderes sein könnte, als das, was es tut. Schlussfolgerung drei: Das Proletariat hätte auch anderes sein können. Aber wenn das Proletariat etwas anderes gewesen wäre, könnten wir erstens nicht sagen, was, und es zweitens nicht Proletariat nennen.

Die Entwicklung des Kapitals ist nichts anderes als der Widerspruch zwischen Proletariat und Kapital, zwischen denen keine »Verbindung« besteht, weder eine starre noch eine flüssige. Es gibt nichts zu vermitteln zwischen Determinismus und Freiheit, Notwendigkeit und Möglichkeit, Unveränderlichem und Zeitweiligem, der ein wenig determinierten Freiheit und einem etwas freieren Determinismus, zwischen Bedingungen und Tätigkeit. Beteuern, dass »die Klassenkämpfe einen anderen Ausgang hätten nehmen können«, bedeutet die Entwicklung des Kapitals als einen Rahmen zu verstehen, dem man mehr oder weniger Effizienz zuspricht, den man in jedem Fall aber als eine Summe von Bedingungen betrachtet. Alle Spielarten des Determinismus hinter sich zu lassen, heißt, die Revolution und den Kommunismus als reales historisches Produkt der einzig existierenden Geschichte, der der kapitalistischen Produktionsweise, zu betrachten.

Wenn wir die Ausbeutung als Widerspruch zwischen Proletariat und Kapital bestimmen, bestimmen wir den Widerspruch als Geschichte. Das Stadium der Akkumulation stellt keine den Siegen oder Niederlagen äußerliche Bedingung, keine Konjunktur dar. Die Entwicklung des Kapitals ist nicht die Verwirklichung oder Bedingung des Klassenwiderspruchs, sondern seine reale Geschichte. Dieser Widerspruch nimmt nicht verschiedene Formen an, da er in nichts anderem besteht als in diesen Formen, die die Dynamik ihrer eigenen Transformation bilden. Der Kommunismus ist historisch und er ist es im Verhältnis zum unmittelbaren Ablauf jedes Kampfzyklus. Wenn wir sagen, dass die Revolution nur die unmittelbare Kommunisierung sein kann, meint das nicht, dass sich der Kommunismus heute – endlich – als das zeigt, was er in Wirklichkeit immer schon war oder hätte sein sollen.

Hätten die Dinge auch anders verlaufen können? Wir wissen es nicht und es ist uns schnuppe. Die Frage hat keinerlei Sinn. Was nicht geschehen ist, entschwindet aus dem Bereich des Wissens in den des Glaubens. Die Ideologie des Möglichen betrachtet die Vergangenheit so, dass »dies und jenes hätte sein können oder auch nicht«, sie besteht stets darin, von der späteren Phase aus die wesentlichen Züge der vorherigen als kontingent zu betrachten. Daraus entspringt der Glaube an die Unveränderlichkeit eines substanziellen Kerns, den diese Bewegung hervorbringt.

Die Kämpfe haben das Proletariat »immer tiefer in die Klassengesellschaft hineingeführt«, gleichwohl: »Ebenso wenig erlischt mit dieser Integration die Möglichkeit der Revolution«, was besagt, dass sie bestanden hat. Also haben die Kämpfe es nicht »immer tiefer in sie hineingeführt«, oder hat die »Revolution« immer nur als »Möglichkeit« bestanden? Was wäre dann aber die Grundlage dieser Möglichkeit, wenn die Proletarier »so sind, wie sie kämpfen«, wo doch »ihre Kämpfe sie immer tiefer«, und so weiter?

Die Thesen geraten in diese logischen Sackgassen, weil sie eine wesenhafte Konzeption der Revolution und des Kommunismus voraussetzen. Die Revolution soll per Definition immer »Selbstaufhebung des Proletariats« und »Kommunisierung« sein (selbst wenn dies mit der autonomen Affirmation verwechselt wird), da sie aber nicht stattgefunden hat, sind selbst ihre ersten Gehversuche in der Geschichte schwer auszumachen (die »weiterreichenden Momente« und »radikalen Minderheiten« werden nie inhaltlich bestimmt). Da nun die Revolution wesenhaft ist, wird alles Handeln des Proletariats an dieser Norm gemessen (es hätte ja auch anderes tun können). Die ganze Epoche des »Arbeiterbewegung« und des Klassenkampfs unterlag demnach dem »Selbstmissverständnis (…), über das Bestehende hinauszuführen« [8]. Machen wir es kurz: Das Proletariat der »Thesen« hat ein revolutionäres Wesen, aber es ist genauso wahr, dass es »so ist, wie es kämpft«, das Wesen also Bedingungen unterworfen ist.

Dieses Wesen ist ein Widerspruch der kapitalistischen Produktionsweise, der sich im Proletariat verkörpert: zwischen dem »Gesellschaftlichen« und dem »Ungesellschaftlichen«. Dem im Kapitalismus bestehenden »Ungesellschaftlichen« lässt sich aber keine Bestimmung des »Gesellschaftlichen« entgegenstellen. Was in den Thesen als »Ungesellschaftliches« charakterisiert wird, ist das einzig bestehende Gesellschaftliche und vollkommen gesellschaftlich. Durch diese Begriffsbildung verschaffen sich die Thesen eine Konstante, die in die Definition des Proletariats eingeht und es zwar als revolutionär bestimmt, jedoch gegen seine Existenz, wie sie sich in der kapitalistischen Produktionsweise darstellt. Es handelt sich dabei um einen inneren Widerspruch, der zwei Begriffe ins Verhältnis setzt, die beide nichts miteinander zu tun haben, außer jeweils das exakte Gegenteil des anderen zu sein – genau wie das atomisierte, abgetrennte Dasein der Individuen und das »gemeinschaftliche Wesen« im philosophischen Kommunismus der frühen 1840er Jahre.

Die Revolution besteht somit darin, das Gesellschaftliche mit sich selbst in Einklang zu bringen. Hier finden wir den Normativismus und das revolutionäre Wesen der Klasse innerhalb eines Dualismus wieder, der nirgends expliziert wird. Es fehlt der Übergang vom einem zum anderen Element dieser Dualität: Die Leerstelle des Hinüberwachsens von Kämpfen um Forderungen in die Revolution [13] erzeugt eine Kluft, die durch eine absolute Umkehr überbrückt werden muss, die allem, was in den letzten vier Thesen über den »kommunistischen Standpunkt« und das »Bewusstsein« entwickelt wird, anhaftet.

Die Erzeugung dieses Übergangs scheint durch die Tatsache ermöglicht zu werden, fndass »die V/ememergesellschaftung durch das Kapital eine widersprüchliche bleibt« [13]. Wenn die Thesen in der kapitalistischen Produktionsweise zwischen der »Produktion für andere« und der, die »ihre gesellschaftliche Gültigkeit erst im Austausch erfährt«, unterscheiden, ignorieren sie, dass diese »Gültigkeit« die einzige Existenzweise der »Produktion für andere« ist. Sie setzen ausdrücklich eine »wirkliche Gesellschaftlichkeit« und eine »falsche Allgemeinheit« voraus, was etwa bedeutet, dass wenn »die Proletarier nur ihre jeweiligen Betriebe übernehmen« würden, noch keine wirkliche Gesellschaftlichkeit hergestellt wäre. Die »wirkliche Gesellschaftlichkeit« dient als Norm, anhand der die Arbeiterrevolution, deren Inhalt die Affirmation des Proletariats ist, dargestellt und kritisiert wird: Sie sei nicht »wirklich gesellschaftlich«. Die Vergesellschaftung durch das Kapital beinhaltet durchaus einen Widerspruch, aber sie liegt nicht, im Verhältnis zu einer »wirklichen Gesellschaftlichkeit«, mit sich selbst im Widerspruch. Der Klassenwiderspruch wird zu einem Widerspruch der Vergesellschaftung zurechtgestutzt, daher auch die ganzen Entgleisungen hinsichtlich der »proletarisierten Individuen«.

In These 15 mausern sich »die atomisierten Lohnabhängigen zu gesellschaftlichen Individuen« und bilden so die »Bewegung der Kommunisierung«. Als wären die Lohnabhängigen keine gesellschaftlichen Individuen. In den Thesen wird die »Gesellschaftlichkeit« als »revolutionäres Wesen« immer als Negativ dessen konstruiert, als was das Proletariat in der kapitalistischen Produktionsweise erscheint. Revolutionär wird es also nur durch seine »Selbstaufhebung«, die in der Überwindung des Widerspruches der »Gesellschaftlichkeit« besteht. Man muss klar herausstellen, dass die Arbeit als Produzentin von Wert, genauer: als Verwertung von Kapital, als Arbeitsteilung sowie als Warenproduktion, gesellschaftlich ist. Diese Vergesellschaftung bedarf überhaupt keiner »wirklichen Gesellschaftlichkeit«, um als widersprüchliche zu erscheinen, allerdings besteht der Widerspruch zwischen den Klassen. Wenn dies nicht erwähnt wird, setzt man unter den momentanen »gesellschaftlichen« Formen eine wahre Gesellschaftlichkeit voraus.

Im Unterschied zum philosophischen Kommunismus der 1840er Jahre erscheint die Gesellschaftlichkeit, die den Inhalt der Selbstaufhebung des Proletariats bildet, in These 16 als Resultat der Entwicklung der Produktivkräfte. Die Gesellschaftlichkeit gleicht der »vernünftigen Allgemeinheit«, in der wir »den Zweck der Produktion überhaupt als unseren einsehen können« [13]. Hier finden wir die »Gesellschaft der vereinigten Produzenten«, die Abschaffung des Marktes zugunsten einer vernünftigen Organisation der Produktion, »in der das Privateigentum der gemeinsamen Regelung des Lebens gewichen ist«.

Die Thesen unterstellen eine gleichbleibende Substanz der Revolution und des Kommunismus, die sich zum revolutionären Wesen des Proletariats auswachsen muss, haben jedoch kein Proletariat mehr als Träger dieses kommunistischen Projektes, als Inkarnation des revolutionären Wesens zur Hand. Sie wollen gleichzeitig die Revolution als Selbstabschaffung des Proletariats und ein Proletariat als »kollektiven Akteur«, ähnlich jenem des »proletarischen Milieus«. Auch wenn dieser nicht mehr der selbe sein wird wie früher, gleicht er seinem Vorgänger darin, als eine dem Kapital gegenüberstehende Klasse »für sich«, neuzusammengesetzt und vereinigt als »klar umrissener kollektiver Akteur« aufzutreten.

II. Die Klasse

Bis zur Neustrukturierung des Klassenverhältnisses in den 1970er und 1980er Jahren fußten der Klassenkampf und die Arbeiterbewegung auf dem Widerspruch zwischen der Erzeugung und Entwicklung einer Arbeitskraft in einer immer kollektiveren und gesellschaftlicheren Weise durch das Kapital einerseits und den beschränkten Formen der Einverleibung dieser Arbeitskraft sowohl im unmittelbaren Produktionsprozess als auch im Reproduktionsprozess andererseits. Das war die konfliktreiche Situation, die sich in der Arbeiteridentität äußerte und die ihre Merkmale und die unmittelbaren Modalitäten ihrer Anerkennung in der »großen Fabrik« fand, in der Dichotomie zwischen Beschäftigung und Arbeitslosigkeit, Arbeit und Ausbildung, in der Unterordnung des Arbeitsprozesses unter die Arbeiter, in den Beziehungen zwischen Löhnen, Wachstum und Produktivität im nationalen Rahmen, in der daraus folgenden institutionellen Repräsentation in Fabrik und Staat. Das Kapital setzte sich zwar seinem Begriff entsprechend selbst voraus, aber der Widerspruch zwischen Kapital und Proletariat bewegte sich auf dieser Ebene, indem er innerhalb dieser Selbstvoraussetzung eine Arbeiteridentität produzierte und bestätigte, die dem Klassenkampf einer Struktur als Arbeiterbewegung verlieh. Diese Identität war das A und O jeglicher Praxis und wurde von bestimmten Fraktionen der Sozialdemokratie bis hin zur Arbeiterautonomie durchdekliniert.

These 1 nimmt zwar ihr Verschwinden wahr, aber in mangelhafter Weise: »Das vorläufige Resultat der Geschichte des Kapitals in seinen fortgeschrittenen Zonen stellt sich als klassenlose Klassengesellschaft dar, in der das alte Arbeitermilieu in einer verallgemeinerten Lohnabhängigkeit aufgelöst ist: überall proletarisierte Individuen, nirgends das Proletariat, nicht als erkennbare Gruppe von Menschen und erst recht nicht als kollektiver Akteur, als negative, auflösende Seite der Gesellschaft.« Der Gegenstand soll das heutige Klassenverhältnis sein, ist aber in Wahrheit das Negativ der vergangenen Periode. Dies führt zum Oxymoron »klassenlose Klassengesellschaft«. Anstatt aus dem heutigen Klassenverhältnis zu erklären, warum Inhalt und Form des Klassenkampfes nicht mehr die der vergangenen Periode sein können, wird nur gesagt, dass nicht mehr existiert, was früher existierte. Aber was existiert, kann nicht durch das erklärt werden, was nicht oder nicht mehr da ist.

Solange man nicht behauptet, dass sich das Kapital nicht mehr durch die Ausbeutung der Arbeitskraft verwertet, bestehen weiterhin Klassen, und dieses Klassenverhältnis wird klar bestimmt: Es ist »das Verhältnis von Kapital und Proletarisierten, von sich verwertendem Wert zur Arbeitskraft.« [12] So gäbe es zwar »proletarisierte Individuen«, aber »nirgends das Proletariat (…), erst recht nicht als kollektiver Akteur« [1], denn »dieses proletarische Dasein scheint heute nirgendwo mehr dingfest zu machen, weil es schier überall ist« [12]. Was wäre dieser »kollektive Akteur«? Er wäre derjenige, der Kämpfe führt, »in denen um die Zukunft der Gesellschaft gerungen würde«, er wäre die »negative, auflösende Seite der Gesellschaft« [1]. Die Thesen erwecken hier den Eindruck, den heutigen Klassenkampf im Rückspiegel zu betrachten. Das »proletarische Milieu«, das für diesen »kollektiven Akteur« den absoluten Referenzpunkt darstellt, ist unwiderruflich verstorben und begraben, und die Autoren wissen das. Aber was sie mit Blick auf die Prekären und »Überflüssigen« erwarten, ist die Wiedergeburt eines wesensgleichen Akteurs; bis dahin könne es keine Klassen in dieser Klassengesellschaft geben. Doch einen solchen wesensgleichen kollektiven Akteur wird es nie mehr geben, und sicherlich können gerade die Arbeitslosen, Prekären und »Überflüssigen«, so wie die Thesen sie fassen, nicht der Gärungsstoff für eine Neuzusammensetzung der Klasse sein; es sei denn, man stellt sich ein Paralleluniversum neben der kapitalistischen Gesellschaft vor, und ein solches war das »proletarische Milieu« keineswegs. Denn das »proletarische Milieu« bildete keine »eigene Gesellschaft innerhalb der bürgerlichen« [2], war doch sein »Herz die Fabrik«, in die die Proletarier Tag für Tag gingen, um ihre Arbeitskraft zu verkaufen.

Ein solches Milieu wird es nie mehr geben und das ist gut so. Heute hängt die Revolution von der Überwindung eines konstitutiven Widerspruchs des Klassenkampfs ab: eine Klasse zu sein, ist für das Proletariat das Hindernis, das sein Kampf abschaffen muss.

Der aktuelle Kampfzyklus ist der einer restrukturierten Arbeiterklasse. Es geht darum, dass in den Zentren der Akkumulation die großen Arbeiterbastionen verschwunden sind, die Angestellten proletarisiert und Arbeitsplätze in Subunternehmen ausgelagert wurden (heute überwiegen unter den Arbeitern Jobs wie LKW-Fahrer, Zulieferer, Lagerarbeiter), dass die Arbeit in kleineren Unternehmen oder Produktionsstätten stattfindet, eine neue Arbeitsteilung herrscht, die die Arbeiterklasse unterteilt und Tätigkeiten mit geringer Wertschöpfung ausgliedert (an junge Arbeiter mit Mindestlöhnen, oft als Leiharbeiter und ohne Berufsperspektive), dass die Just-in-Time-Produktion verallgemeinert wurde, junge Arbeiter durch ihre Ausbildung mit der Tradition von Generationen brechen und die Fabrikarbeit sowie das Arbeiterdasein massiv ablehnen, dass Unternehmen ihre Tätigkeiten verlagern.

Die großen Arbeiterkonzentrationen in Indien oder in China sind Teil dieser weltweiten Segmentierung der Arbeitskraft. Aufgrund ihrer globalen wie nationalen Bestimmung stellen sie keine Wiederkehr dessen dar, was im »Westen« verschwunden ist – eines gesellschaftlichen Systems, das sich nicht einfach durch bestimmte quantitative materielle Merkmale auszeichnete, sondern die Arbeiteridentität bestimmte und sich in der Arbeiterbewegung ausdrückte.

Das Paradoxe dieser neuen Klassenzusammensetzung liegt darin, dass die Existenz der Arbeiterklasse gerade in dem Moment nicht mehr erkannt wird, in dem sich die proletarische Lage ausbreitet und ihr »Verschwinden« nur der Effekt der Neuzusammensetzung und Segmentierung der Klasse ist. Die Arbeiterklasse ist zwar präsenter denn je und der Klassenkampf bleibt die Achse der Geschichte, aber zum einen erfährt sie in der Reproduktion des Kapitals keine Bestätigung mehr und zum anderen bedeutet der Widerspruch zum Kapital nun für das Proletariat seine eigene Infragestellung. Die Klasseneinheit lässt sich nicht mehr auf der Basis der Lohnarbeit und der Lohnkämpfe als Voraussetzung für revolutionäres Handeln herstellen. Die Einheit des Proletariats kann nur noch die Praxis sein, mit der es sich selbst und alles, was es spaltet, abschafft. Eine Fraktion des Proletariats wird über das Stadium der Forderungen hinausgehen, indem sie Maßnahmen der Kommunisierung ergreift, und beginnen, so die Einheit des Proletariats herzustellen, die nichts anderes als die der Menschheit sein wird, als Ensemble der Verhältnisse, die die Individuen in ihrer Singularität untereinander eingehen.

Das Spezifische der gegenwärtigen Phase des Ausbeutungsverhältnisses besteht darin, dass das Verhältnis des Proletariats zum Kapital nicht mehr eines des Proletariats zu sich selbst enthält, das ihm eine eigene Identität gegenüber dem Kapital verleihen würde. Man könnte sagen, dass die höchste Form der »Klasse für sich« heutzutage in der praktischen, aktiven, konfliktträchtigen Erkenntnis besteht, dass alle Existenz- und Reproduktionsbedingungen des Proletariats zugleich im Kapital und ihm äußerlich sind. Und dies zeigt sich seit langem in den »Arbeitskonflikten«, die sowohl die Produktion als auch die Reproduktion der Arbeitskraft betreffen und in denen sehr wohl »um die Zukunft der Gesellschaft gerungen« wird.

Es geht nicht darum zu sagen, dass die Klassen dem Anschein zum Trotz existieren; sondern sie existieren heute in einem widersprüchlichen Verhältnis, aus dem dieser Anschein erwächst, und sie existieren in diesem Schein. Ihr scheinbares Verschwinden (die »proletarisierten Individuen« der These 1) wird höchst fragwürdig, sobald man die Klasse nicht mehr wie den ehemaligen »kollektiven Akteur« denkt, der durch die Affirmation seiner Situation in dieser Produktionsweise – als Klasse der produktiven Arbeit – der Träger ihrer Überwindung ist.

Klasse bezeichnet den Thesen zufolge heute nur »den weitgehend verallgemeinerten Zwang, seine Arbeitskraft ans Kapital zu verkaufen«, so dass am Ende nicht »zwei klar geschiedene Klassenlager hervor[treten], sondern eine unüberschaubare Vielfalt von Lebenslagen« [12]. Außer acht gelassen wird dabei, dass der Verkauf der Arbeitskraft für die Verwertung des Kapitals einen Widerspruch für das Kapital und für die Arbeitskraft selbst einschließt. Gäbe es nicht im Kern der verallgemeinerten Proletarisierung den Widerspruch der produktiven Arbeit, dann gäbe es überhaupt keine Proletarisierung. Es geht um den Widerspruch zwischen notwendiger Arbeit und Mehrarbeit, um den tendenziellen Fall der Profitrate, verstanden als Widerspruch zwischen Proletariat und Kapital, um das Kapital als prozessierenden Widerspruch. Dergestalt erhalten wir die Einheit der Klassenbestimmung als Situation und Praxis (oder von »an sich« und »für sich«).

Die selbstorganisierten Kämpfe werden dahingehend kritisiert, dass sie genau so wenig per se »emanzipatorische Inhalte« haben wie solche unter Führung der Gewerkschaften [24]. Es wäre jedoch zu bestimmen, worin solche »emanzipatorischen Inhalte« bestehen könnten. Eine nicht-normative Analyse der gegenwärtigen Phase würde eine spezifische Antwort für diese Phase geben (in der Klassenzugehörigkeit als äußerer Zwang produziert wird), indem sie zeigt, dass es zwischen Kämpfen um Forderungen und revolutionären Kämpfen einen Bruch, eine Überwindung gibt, letztere aber weder ein Wunder noch die Antithese, das Negativ der ersteren sind. In den Thesen dagegen bleibt der Gegensatz unvermittelt: Der revolutionäre Kampf bezieht sich auf die Kämpfe um Forderungen als deren reine Negation. Die Frage nach dem emanzipatorischen Inhalt braucht im Rahmen der Thesen nicht gestellt zu werden, weil die Antwort stillschweigend vorausgesetzt wird: Wir wissen, was die Revolution ist. Dem »emanzipatorischen Inhalt« steht die ebenso unbestimmte »Begrenztheit der Kämpfe« gegenüber.

Was als so selbstverständlich gilt, dass es nicht ausgesprochen werden braucht, ist, dass der »emanzipatorische Inhalt« in dem besteht, was die Arbeiter selbst tun, und die »Begrenztheit« in dem, was sie »Repräsentanten« überlassen. Aber auf einer solchen Ebene von Werten ist die »Selbstaufhebung des Proletariats« nur als revolutionäres Wesen des Proletariats zu fassen, sonst ergäbe der Begriff überhaupt keinen Sinn. Obwohl das gleichbleibende Wesen der Revolution und des Kommunismus explizit verneint wird, stellt es die einzige Klammer der Thesen dar, denn nur so können die Pole des Oxymorons zusammengehalten werden, einerseits die Revolution als Selbstaufhebung zu fassen und eine solche Praxis andererseits von einer Klasse zu erwarten, die der Form nach derjenigen aus der Zeit ähneln soll, als die Revolution Affirmation der Klasse war.

Die ganze Dynamik der Klassenkampfgeschichte wird auf einen Konflikt zwischen zwei Prinzipien reduziert: Autonomie und Stellvertretertum. Auf der einen Seite die »revolutionären Prinzipien«, auf der anderen die etatistische Strömung der Arbeiterbewegung und die Figur des Bürgers als vollendete Form des Stellvertretertums. Aus dem Stellvertretertum, »aus dem Dasein als bürgerliches Rechtssubjekt [...] herauszutreten«, bedeutet für das Proletariat, »die eigenen Interessen [zu] vertreten« [24]. Doch die gesamten Thesen hindurch war auch die etatistische Strömung ein Vertreter der »eigenen Interessen«. Die »eigenen Interessen« haben keinen Wert an sich. So wenig sogar, dass die Proletarier »ihren sonst notwendigen Egoismus überwinden« (Herv. TC) müssen, um zu einem »emanzipatorischen Inhalt« zu gelangen.

Die Proletarier haben keine »gemeinsamen Ziele« als Proletarier; in ihrer Beziehung zum Kapital, die durch die Umstrukturierung der 1970er und 1980er Jahre bestimmt ist und ihre Klassenzugehörigkeit als äußeren Zwang erzeugt, liegt jedoch die Möglichkeit, dass sie in einem bestimmten Kampf ein gemeinsames Ziel formulieren, dessen Inhalt nicht ihre gegebene Situation ist, sondern ihre Abschaffung in dieser gegebenen Situation.

Mit der aktuellen explosiven Verbindung zwischen der Krise als einer Krise des Lohnverhältnisses und der Illegitimität der Lohnforderung5 wird es denkbar, dass einzelne Kämpfe aufgrund der inneren Beziehung, die aus dem Proletariat eine Klasse dieser Produktionsweise macht, zu einer Allgemeinheit gelangen können, die in dem Maße keine abstrakte mehr ist, in dem sie die Besonderheiten als Infragestellung der Klassenbestimmung durch das Proletariat selbst integriert. Die Besonderheit ist nicht länger eine formale Vorbedingung, die überwunden werden muss; die Überwindung bewegt sich in der Besonderheit, weil die Allgemeinheit, die auf dem Spiel steht, nicht eine gemeinsame Klassenlage, sondern deren Abschaffung ist.

Die Überwindung der Andersartigkeit jedes Klassensegments ist keine Verwirklichung eines schon vorhandenen Gemeinsamen. Die Kämpfe einzelner Branchen können eine allgemeine Bedeutung erlangen, aber nicht durch ihre spezifischen Forderungen, sondern durch deren Ablehnung. Ihre Bedeutung beruht also nicht auf der Einheit des Proletariats. Das Allgemeine existiert nur noch in seiner Abschaffung. Wir können nicht in der Manier von Wildcat und Kolinko auf die Neuentstehung einer Art radikaler, autonomer Arbeiterbewegung setzen.

Wenn wir uns nicht damit begnügen, die Bedeutung der Selbstorganisation in der Radikalität zu sehen, die sie den Lohnkämpfen verleiht, sondern sie als »Experimentierfeld« [24] für andere soziale Beziehungen verstehen, machen wir aus ihr eine inhaltlose Form, eine bloße Pädagogik. Es geht nicht um unbestimmte Individuen, die außerhalb jedes sozialen Kontextes mit anderen sozialen Beziehungen experimentieren; die Proletarier werden die Revolution gegen ihre Stellung als Klasse in dieser Gesellschaft machen müssen. Was hat das Subjekt, das für die Einhaltung des Lohngesetzes eintritt, mit jenem gemein, dessen Praxis die Abschaffung des Lohnverhältnisses ist? Was verbindet ein Subjekt, das bleibt, was es ist, das sich selbst organisiert, mit einem, das das Kapital abschafft, indem es sich selbst abschafft? Die Autonomie der Kämpfe als Geburtshelfer für den Übergang des Kampfes um Forderungen zum revolutionären Kampf zu verstehen, ist ein Konstrukt, das den Inhalt dieses Übergangs ignoriert und folglich einen bloß formalen Zugang zum Klassenkampf bietet.

Der obligatorische Bezugspunkt für jede revolutionäre Theorie der Autonomie sind natürlich die Kämpfe der späten 1960er und 1970er Jahre. Sie haben »den schönen Traum, den die klassenlose Klassengesellschaft geträumt hatte, zum Platzen« gebracht: »mehr Lohn und weniger Arbeit« [19]. Es wird keinerlei Erklärung für diese Welle von Kämpfen, für ihren Inhalt und ihre Form, aus dem damaligen Ausbeutungsverhältnis entwickelt. Abgesehen vielleicht von dem Hinweis auf eine gewisse Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkräfte [18].

Aber das wichtigste sind die Gründe, die für das Ende der Autonomie genannt werden: Automatisierung und Verlagerung der »Bastionen der Arbeitermacht«, zunehmende Arbeitslosigkeit. Das lässt im Gegenzug vermuten, dass die Welle der autonomen Kämpfe auf der Existenz von Arbeiterbastionen, auf dem nationalen Rahmen der Akkumulation, auf einem bestimmten Typus von Kooperation im Arbeitsprozess, auf der Vollbeschäftigung basierte. Das heißt: auf der Arbeiteridentität. Aber wo bleibt dann die Selbstaufhebung des Proletariats? Sie besteht in der Autonomie als solcher. Erneut stößt man auf die in den Thesen wiederkehrende Identifizierung von Selbstabschaffung und autonomer Affirmation. Wenn wir den autonomen Klassenkampf als »Entkoppelung von Löhnen und Produktivität« auffassen können, wird daraus noch lange keine »Selbstabschaffung des Proletariats«.

Mit der erwarteten Neuzusammensetzung der Klasse wird diese Identifikation für die aktuelle Phase aufgefrischt, so dass sie angemessener als »Selbstabschaffung« verkauft werden kann. Im Folgenden soll der Inhalt dieser Neuzusammensetzung und ihre Funktion innerhalb der Thesen untersucht werden.

In der Globalisierung, der Entstehung einer »Weltarbeiterklasse«, liegt »die Hoffnung begründet, dass auf ein Jahrhundert der antiimperialistischen Mythologie eine neue Ära des proletarischen Internationalismus folgt« [20]. Das scheint im Widerspruch zu These 13 zu stehen: »Die Vergesellschaftung durch das Kapital bleibt eine widersprüchliche, weil sie die Menschen durch das, was sie verbindet, ebenso trennt.« Dort war die Segmentierung dem Verhältnis zwischen Proletariat und Kapital immanent. Und dies gilt umso mehr, als dieser Prozess die Arbeiter weltweit in ein »Konkurrenzverhältnis« setzt [20]. Dieser Widerspruch wird formal durch die Tatsache aufgehoben, dass die »Prekarität« die »weltweite Lebensnormalität des Proletariats« ist und »Arbeiter und Arbeitslose« durch »permanente Angst« [21] geeint sind. Man könnte mit Recht das Gegenteil behaupten: dass sie durch sie getrennt werden. Die Angst »eint« sie nicht, sondern stellt sie in ein Ausbeutungsverhältnis, in einen Widerspruch zu ihrer eigenen Bestimmung innerhalb des Kapitals, so dass ihre Einigung in der Abschaffung ihres Daseins stattfinden kann.

Dieser Scheinwiderspruch wird erst in These 22 aufgelöst: »Die Zukunft der Klasse insgesamt hängt entscheidend von der Fähigkeit der Überflüssigen ab, ihre Situation zum Ausgangspunkt einer allgemeinen Bewegung zu machen.« Darin liegt die Hoffnung auf eine Neuzusammensetzung der Klasse für sich »insgesamt« begründet, so dass sie gegenüber dem Kapital den Status eines revolutionären Subjekts erreicht. Doch die gegenwärtigen Bedingungen erzeugen keine solche allgemeine soziale Bewegung. Die Neuzusammensetzung um Prekäre, Arbeitslose, »Überflüssige« und »Ausgeschlossene« rettet die Autonomie, weil sie nicht »immer tiefer in sie [die klassenlose Klassengesellschaft] hineingeführt« wurden; sie können nicht dafür kämpfen, als »Arbeitskraftverkäufer« anerkannt zu werden. So wie »Ausgrenzung« und »Überflüssigkeit« dargestellt werden, bewahren sie die Selbstabschaffung als autonome Affirmation der Klasse und lassen diese noch stärker als eine »Klasse gegen sich« erscheinen, als es die Massenarbeiter der fordistischen Großfabrik waren. Somit wird die Analyse der »Ausgrenzung« durch das politische Bedürfnis der Thesen vollkommen verzerrt.

Dass die »Proletarität [...] endgültig ihren weltweiten Siegeszug« antritt, und zwar in Form der »Prekarität« als weltweiter »Lebensnormalität des Proletariats«, ist unbestreitbar. Aber dann muss das daraus resultierende Klassenverhältnis bestimmt werden: Ende der Arbeiteridentität; Zusammenfallen des Widerspruchs zwischen Proletariat und Kapital mit jenem zwischen dem Proletariat und seiner eigenen Existenz als Klasse; systemfremder Charakter der Lohnforderung; als Klasse zu kämpfen, wird zur inneren Schranke des Klassenkampfes; doppelte Entkoppelung der Kapitalverwertung von der Reproduktion der Arbeitskraft;6 Ende der weltweiten Teilung zwischen »Zentrum« und »Peripherie«. Es werden zwar einige Merkmale der Umstrukturierung benannt, aber nie als Umstrukturierung, als Transformation des Verhältnisses zwischen Proletariat und Kapital synthetisiert. Die aktuelle Phase wird meist nur negativ durch das Verschwinden der Merkmale der vorhergehenden beschrieben; bestenfalls wird die Umstrukturierung zu einer Reihe von »Konterreformen«.

Die »Ausgeschlossenen«, Ergebnis der Verarmung »in den alten Zentren«, treten als »Wütende« auf, aber ihre Wut wird nur als Ergebnis eines negativen Zustandes analysiert: Staat und Kapital sind nicht in der Lage, sie zu integrieren, sie in Arbeitskraft – und sei es nur potenzielle – zu verwandeln: »Den Wütenden kann nichts mehr angeboten werden«. Dieses »Gesindel« verkörpert jedoch nicht nur »die Tendenz des Kapitals, eine gigantische Überschussbevölkerung zu erzeugen«. Es ist zudem die derzeitige Form der Globalisierung, der in jeder Region geltenden Entkoppelung der Reproduktion des Kapitals von der der Arbeitskraft. Die Wut drückt, wie viele andere Praktiken in den Klassenkämpfen, die Erzeugung der Klassenzugehörigkeit als eines äußeren Zwangs aus, den Widerspruch zur eigenen Klassenlage.

Wenn die Thesen diese Segmente des Proletariats betonen, dann weil sie als Inbegriff der proletarisierten Individuen gelten, die nicht mehr als Klasse auftreten und im gesamten Text das Proletariat ersetzen, als autonome Verkörperung des inneren Widerspruchs der »klassenlosen Klassengesellschaft«. Wie im philosophischen Kommunismus der 1840er Jahre kann das absolut »Ungesellschaftliche« ins »wirklich Gesellschaftliche« umschlagen.

Auf dem Hintergrund einer solchen erhofften Zukunft wird der Niedergang der Gewerkschaften und der »Defensivkämpfe« nicht als Illegitimität der Lohnforderung, als deren systemexterner Charakter gesehen. Wiederum wird die »Selbstaufhebung« nicht erzeugt, sondern bloß dem Unvermögen des Proletariats, zu überleben, und dem Unvermögen des Kapitals, die gesamte Arbeitskraft für seine Verwertung zu nutzen, gegenüber gestellt. Darin finden wir den Widerspruch zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen wieder, demzufolge das Kapital, in einem bestimmten Stadium angelangt, an Dynamik verliert und nicht länger fortschrittlich ist, sobald es die Arbeit unwesentlich für den Produktionsprozess werden lässt. Wird die Arbeit »überflüssig«, werden Produktivkräfte verschwendet. Der revolutionäre Charakter des Proletariats bestünde demnach in seiner Revolte gegen die eigene »Überflüssigkeit«, einer Revolte im Namen der Produktivkräfte gegen die Produktionsverhältnisse. Die Befreiung der Arbeit wird gerade dadurch gerettet, dass die Arbeit unwesentlich wird – ein schönes Kunststück.

In den Thesen taucht die Perspektive der Selbstabschaffung stets nur als eine Alternative zu einer Unmöglichkeit auf. Der Grund dafür ist, dass die »Selbstabschaffung« als Konstante gesetzt wurde und das Klassenverhältnis, dessen Ergebnis sie sein kann, als eines, das eine Klasse ähnlich derjenigen hervorbringt, für welche die Revolution ihre Affirmation war. Dabei könnte die Formulierung »klassenlose Klassengesellschaft«, wenn man das Ganze überspitzt, als stärkster Ausdruck der gegenwärtigen Klassenkämpfe verstanden werden; als Bezeichnung für eine Phase, in der eben der Kampf des Proletariats als Klasse seine eigene Grenze enthält, nämlich eine Klasse zu sein, und diese Klassenexistenz als äußerer Zwang erzeugt wird. Der Klassenkampf bringt seine eigene Überwindung hervor, weil er nichts anderes als das Kapital, ein prozessierender Widerspruch, ist; das Proletariat als Klasse der kapitalistischen Produktionsweise und die revolutionäre Klasse sind identisch.

Die gegenwärtige Phase wird seltsamerweise als »Zeit ohne Versprechen« charakterisiert. Seltsam, weil sie nach allem, was gesagt wurde, eigentlich die Zeit sein müsste, in der die erwartete »Selbstabschaffung« wirklich zutage tritt. Sie ist dies jedoch nicht, da ihr das erhoffte und erwartete Subjekt fehlt. All die Fragen des Bewusstseins, der Trennung zwischen Theorie und Klasse, des Verhältnisses von Theorie und Praxis, einer Theorie, die ihre materielle Macht zeigen muss – all diese Fragen in den letzten vier Thesen wurzeln in der inhärenten Kluft dieser ganzen Problematik und werden dadurch in Verlegenheit gebracht. Wie für alle Theorien, die mit den Begriffen des revolutionären Wesens und der Bedingungen operieren, fehlt immer noch etwas, damit sich die Pole des Binoms entsprechen. Gewöhnlich beharren die Revolutionäre der Autonomie darauf, so zu tun, als ob das Proletariat an sich als potenziell revolutionäre Klasse durch die Lohnarbeit vereinigt wäre; die Autoren wissen, dass dies nicht mehr der Fall ist, sind aber gleichwohl darauf angewiesen und setzen folglich darauf, dass sich die Klasse einerseits um die »Überflüssigen« herum neuzusammensetzen wird, die keine wesenhafte Beziehung zum Kapital haben, und sie andererseits insofern durch die Lohnarbeit vereinigt wird, als sie den »notwendigen Egoismus« der Lohnarbeit überwindet. Im Namen von was? Im Namen des Bewusstseins, seines revolutionäres Wesens, der Theorie und seines freien Willens, die nun die Bedingungen seiner Konstitution zum Subjekt sind.

III. Das Bewusstsein

Wenn es heißt: »Die Grenzen der Tageskämpfe dienen dem Leninismus zur Legitimation der Avantgardepartei« [25], dann lassen sich die Thesen auf eine rein ideologische Kritik des Leninismus, der Avantgarde, des den Massen gebrachten Bewusstseins ein. Als ideologische Problematik antworten sie auf das reale Problem der heutigen Epoche: Das Verhältnis zwischen Tageskämpfen und Revolution ist nicht mehr eines des Hinüberwachsens, des Aufstiegs der Klasse zur Macht, sondern ein Bruch, eine Aufhebung – die Klasse ist das Subjekt kommunistischer Praxis, wenn sie in Konflikt mit ihrer bisherigen Lage tritt. Aber dieses reale Problem wird als Frage des Bewusstseins behandelt, der Trennung der Kommunisten von der Mehrheit der Klasse, eines Subjekts als Träger der Revolution, das, wie mehrfach betont, im Widerspruch zum Inhalt der Revolution steht.

So betrachtet ist der zitierte Satz ein Eingeständnis: Welche Frage stellt sich gegenwärtig im Hinblick auf die Legitimation der leninistischen Avantgardepartei? Keine. Die wirkliche Frage ist die nach den Grenzen der Kämpfe. Die Thesen stellen diese Grenzen fest, verschieben das Problem jedoch in eine andere Frage, die keine Gültigkeit mehr hat. Ebenso obsolet ist die Antwort: »Die soziale Revolution kann aber nicht Sache einer Führung oder zentralen Leitung sein.« [25] Das ist die Antwort der Linksradikalen zwischen den beiden Weltkriegen, aber während sie damals einen Sinn hatte mit Blick auf den Inhalt der Revolution (die Affirmation des Proletariats, das gegen alle Vermittlungen seiner Existenz als Klasse der kapitalistischen Produktionsweise sein revolutionäres Sein offenbart), hat sie heute keinen mehr.

Trotz allem soll es ein »richtiges Moment des Leninismus« [25] geben, das mit der Tatsache zu tun hat, dass »die Proletarier nie zur Revolution gezwungen sein werden«. Man würde erwarten, dass diese Behauptung durch eine Analyse des Verhältnisses zwischen Proletariat und Kapital und von dessen Selbstvoraussetzung begründet wird, und indem gezeigt wird, dass die Revolution nicht unvermeidbar ist etc. Aber nein. Die Proletarier werden »nie zur Revolution gezwungen sein«, »da die Menschen in ihr beginnen, ihre Geschichte bewusst zu machen«. Der »Voluntarismus« ist »richtig«, weil es der bewussten Intervention bedarf, damit in der Idee der Revolution kein Widerspruch besteht. Das Wesen des Resultats, das nach aller Logik nicht vor dem Prozess seiner Erzeugung existieren kann, bestimmt also das Wesen dieses Prozesses. Das nennt man Bestimmung durch die letzten Ursachen, oder Teleologie.

Selbstverständlich ist die Revolution ein freiwilliger Akt, aber ein freiwilliger Akt ist nicht ein unbestimmter. Die proletarische Aktivität bestimmt sich nicht deshalb selbst, weil ihr Resultat die »bewusste Geschichte« sein muss, sondern weil sie ihr Verhältnis zum Kapital ist und nichts anderes und weil dieses Verhältnis ein Widerspruch ist. Darin kann man nur dann einen Determinismus sehen, wenn man das Subjekt der Revolution vor den Verhältnissen definieren will, in denen es existiert, die seine Definition sind, in der es sich bewegt, und die sein Bewusstsein sind.

Wenn ich als Proletarier gezwungen bin, bin ich nicht wider Willen gezwungen (»Dasjenige Ding wird frei heißen, das bloß vermöge der Notwendigkeit seiner eigenen Natur existiert« – ersetzen wir »Notwendigkeit seiner eigenen Natur« durch »Notwendigkeit seiner Verhältnisse« – »und bloß durch sich selbst zum Handeln bestimmt wird«, Spinoza, Ethik I, Definition 7). Die Kommunisierung existiert nicht als Projekt eines »Jenseits«, das gegenüber dem Kapital schon da ist, sie ist nicht das Resultat einer unbestimmten oder wesenhaften Freiheit, sondern das Werk des Proletariats als solchem, das heißt als Klasse dieser Gesellschaft, und folglich der Entwicklung der Klassenwidersprüche dieser Gesellschaft, ihrer Geschichte unterworfen. Das Bewusstsein oder der Wille ist nicht vor dem Verhältnis vorhanden, von dem es das Bewusstsein ist oder in dem man entscheiden müsste. Die Revolution stellt sich nicht in Begriffen von Zwang oder Freiheit, als wäre sie die Tat moralischer Personen, die eine Wahl treffen, die unabhängig von dem Verhältnis existieren, das sie konstituiert.

Aber vor allem stellt sich diese Frage nur dem Theoretiker, der meint, mit anderen einen Film anzuschauen, den er schon gesehen hat und dessen Ende er allein kennt (»der kommunistische Standpunkt«). Der Klassenkampf aber ist kein Film. Und wenn »der kommunistische Standpunkt (…) keiner (ist), der äußerlich an die Klasse herantritt« und der ebenso wenig von ihr devot das Heil erwartet [25], dann weil es keinen »kommunistischen Standpunkt« gibt. Woher sollten die »Kommunisten« diesen »Standpunkt« haben?

Wenn wir vom Kommunismus reden, dann in der Gegenwart, wir reden von den Klassenkämpfen, von dem, was in ihnen die Aufhebung der Klassen produzieren kann. Der »kommunistische Standpunkt« ist einer, der das Ende der Geschichte kennt und den Weg dorthin als zufällig betrachtet. So gelangt man am Ende von These 25 zu der Szene, in der »die Proletarier und die Kommunisten untereinander und miteinander in Kommunikation und Interaktion treten können«. Wer sind diese Kommunisten, die keine Proletarier, und diese Proletarier, die nur Proletarier sind? Damit es »Interaktion« gibt, muss es zwei ihrer Natur nach unterschiedliche Wesen geben. Beginnen die Proletarier, die Ideen der Kommunisten in die Praxis umzusetzen? Werden die Kommunisten, bis dahin geisterhaft und irreal, in den Proletariern zu Fleisch? Tatsächlich wird hier nur eine andere Antwort auf Lenins Frage zur Trennung von Kommunisten und Klasse gegeben.

»Avantgarde sind schlicht die, die im richtigen Augenblick das Richtige tun und so die Möglichkeiten, die in den versteinerten Verhältnissen liegen, ans Tageslicht bringen« [28]. Man versteht diese Definition nur in Verbindung mit der »Macht der Ideologie«: Diese rationalisiert »das Leben unter der Herrschaft des Kapitals, die von den Einzelnen selbst zu leistende Unterdrückung der Bedürfnisse zum unausweichlichen Schicksal und (macht) sie dadurch erträglicher. Weil andere Verhältnisse verstellt sind, fügt sich das Alltagsbewusstsein den bestehenden ein.« Mit anderen Worten, die kapitalistische Produktionsweise ist ein großer Bluff, der es vorläufig geschafft hat, die Einzelnen zu »beherrschen« (es geht hier um Einzelne und Bedürfnisse, nicht um Klasse und Ausbeutung – der Text wechselt ständig das theoretische Register), indem er sie über ihre Unausweichlichkeit täuscht. Es genügt, den Schleier zu lüften, und andere gesellschaftliche Verhältnisse werden sichtbar. Die Avantgarde sagt, dass der Kaiser nackt ist, aber man muss es »im richtigen Augenblick« sagen. Man fragt sich, warum das nicht auch schon morgen früh funktionieren sollte. Aber es gibt eine Bedingung: »die Proletarisierten (müssen) den ersten Schritt gegangen sein, um ein Bedürfnis nach Begreifen der Verhältnisse und schließlich ihrer Überwindung zu entwickeln«. Es ist wohl wahr, dass man einen Esel, der keinen Durst hat, nicht zum Saufen bewegen kann (im Unterschied zu den Theoretikern des Kommunismus). Sobald die Proletarisierten den ersten Schritt gegangen sein werden, wird die Osmose zwischen Kommunisten und Proletariern stattfinden.

Es gibt nicht einerseits die Klasse, andererseits die Theorie; die theoretische Produktion, im gebräuchlichsten Sinn des Ausdrucks, ist eine Tätigkeit der Klasse unter vielen anderen. Eine kommunistische oder revolutionäre Theorie steht nicht »äußerlich« zum Verlauf der Klassenkämpfe. Sie verdient nur dann ihren Namen, wenn sie in der Lage ist – und sei es auf abstrakteste Weise, in einer schwierigen Sprache (das ist unerheblich) –, die reale Erfahrung der realen Proletarier zu verdichten.

In den Thesen erscheint die Theorie als eine Art latentes Bewusstsein der Klasse, wirksam und real nur bei einigen, aber potentiell aktivierbar bei allen; falsch in den gegenwärtigen begrenzten Kämpfen, aber richtig in der Potentialität der wirklichen Aufhebung, irgendwie zugleich sehr nah und weit entfernt, aber immer eine Vorwegnahme des Denkens und der Praxis des Proletariats. So wenig es ein Hinüberwachsen der Kämpfe in die Revolution gibt, gibt es eines der Theorie. Wenn man die Vorstellung kritisiert, dass die gegenwärtigen Kämpfe in die Revolution hinüberwachsen (es geht um einen fundamentalen Bruch, darum, dass sich das Proletariat in seiner eigenen Bestimmung als Klasse infrage stellt), dann besteht die ganze Frage darin, wie sich die Theorie in den aktuellen Zyklus von Kämpfen als dessen wirkliche Kritik einschreibt. Die Theorie steht dem Verlauf der Klassenkämpfe nicht äußerlich gegenüber, aber sie verhält sich auch nicht in einer naiven Weise positiv zu ihm. Wenn sie die gegenwärtige Grenze des Klassenkampfs darin erkennt, als Klasse zu kämpfen (darin besteht, wenn man so will, ihr einziger »kommunistischer Standpunkt«, der Grund, weshalb sie von Kommunisierung spricht), dann weil diese Grenze als solche erfahren wird. Aber definitionsgemäß erscheint diese Grenze nur durch die Tatsache, dass als Klasse gekämpft wird, und nie für sich. Die Infragestellung existiert nie eigenständig, für sich selbst. Die Theorie, die die Klassenzugehörigkeit als Grenze des Klassenkampfs fasst, weigert sich daher einerseits, eine Ideologie der Alternative zu sein. Und andererseits, weil sie die Klassenzugehörigkeit als Grenze bestimmt, weil sie die Begriffe des Widerspruchs bestimmt, die tatsächlich eine Einheit sind, weil sie gemäß ihrer spezifischen Arbeitsweise den Unterschied der Einheit vorzieht, während in der alltäglichen Praxis die Einheit und Ungeschiedenheit herrschen (und die Theorie weiß das), verweigert sie eine naive Beziehung zum Klassenkampf. Sie ist eine Abstraktion des Klassenkampfs, und zwar eine kritische.

»Theorie und Praxis, deren Ineinander sich in revolutionären Momenten der Geschichte andeutete, schließen sich heute in erstarrter Opposition gegenseitig aus« [26]. Dieser These zufolge erklärt sich das einfach daraus, dass wir uns nicht in einem »revolutionären Moment der Geschichte« befinden. Es finden sich aber in der Geschichte schon weit vor unserer Epoche alle möglichen Beispiele für ein solches gegenseitiges Ausschließen, außerhalb und sogar während revolutionärer Momente. Eben weil die Theorie hier der Ausdruck eines »kommunistischen Standpunkts« ist, weil ihre Existenzberechtigung das Ziel des Klassenkampfs ist, abgetrennt von dessen Verlauf, weil der gegenwärtige Inhalt der Revolution als Selbstabschaffung auf seinen Träger wartet, schließen sich Theorie und Praxis »in erstarrter Opposition gegenseitig aus«. In den Thesen ist die Theorie nicht die Theorie des aktuellen Klassenkampfs, sondern die des Ziels, die den aktuellen Klassenkampf beobachtet; die Praxis ist nicht die widersprüchliche Praxis des Klassenkampfs in seinen gegenwärtigen Bestimmungen, in denen allein das »Ziel« existiert, weil es jenseits seiner Erzeugung nichts ist, sondern eine zwangsläufig mit dem »Ziel« (dem kommunistischen Standpunkt) nicht konforme Praxis, da das Ziel bereits in der Theorie existiert.

Man muss die Theorie konkret betrachten. Die Theorie, das sind Leute, die über irgendetwas reden, die handeln, die Zeitschriften, Texte oder Flugblätter produzieren und verbreiten, sie besteht in Plakaten, Versammlungen, Diskussionen... Auch wenn wir sagen, was die Bedeutung dieses oder jenes Kampfs, die allgemeine Tendenz dieser oder jener Periode ist, sagen wir es jetzt, und eben dies heißt einfach, dass wir am Klassenkampf teilnehmen, wie er jetzt ist; es bedeutet nicht, einen Vorsprung zu haben, während andere hinterherhinken.

Der Kommunismus gehört der Gegenwart an, weil er der Inhalt der aktuellen Praktiken des Klassenkampfs ist. Der Kommunismus ist die widersprüchliche Bewegung der kapitalistischen Produktionsweise, der Prozess ihres Hinfälligwerdens. Er ist nicht ein verborgener Sinn. Es geht um den Widerspruch zwischen Mehrarbeit und notwendiger Arbeit, zwischen Wertgesetz und Erhöhung der organischen Zusammensetzung, zwischen Mehrwertmasse und fungierendem Gesamtkapital, Universalität der Produktivkräfte und ihrer Grundlage und ihrem Inhalt: der Ausbeutung. All diese »Dinge«, die direkt der Kampf zwischen Proletariat und Kapital sind (und am besten im tendenziellen Fall der Profitrate zusammengefasst), sind im Inneren der kapitalistischen Produktionsweise angesiedelt und der notwendige Verlauf ihrer Überwindung.

Es ist nicht der »kommunistische Standpunkt«, der »die objektiven Widersprüche der Gesellschaft auszutragen sucht« [28]. Von der Austragung der Widersprüche der gegenwärtigen Gesellschaft zu sprechen, heißt, von den gegenwärtigen Klassenkämpfen zu sprechen und nicht von einer Zukunft. Diese Widersprüche sind nicht »objektiv«. Das Kapital »als prozessierender Widerspruch« (Grundrisse) ist ein Widerspruch zwischen den Klassen, es ist schlichtweg der gegenwärtige Klassenkampf, der die Bedingung und den Verlauf der wirklichen Austragung dieses Widerspruchs darstellt.

Die Frage nach der Rolle der Theorie muss sich selbstverständlich aus dem Inhalt ergeben, anstatt sie starr als solche zu stellen. Werden wir wieder unschuldig und hören wir auf, uns zu geißeln. Der Zeitpunkt, an dem dieser eigentümliche Gegenstand auftaucht – die Theorie als solche, jenseits dessen, was sie sagt –, ist Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre. Sein Geburtsakt kann historisch datiert werden: Es ist die Epoche, in der die Revolution als Affirmation der Klasse, die Arbeiteridentität und jedes Hinüberwachsen von Kämpfen um Forderungen in die Revolution ein Ende finden, die Epoche, in der der »Revolutionstheoretiker« nicht direkt an den Klassenkampf anknüpfen kann, sondern sich wie eine Waise fühlt, weil die Revolution in weite Ferne gerückt ist. Die Theorie besteht aus Tätigkeiten, die sich von selbst erklären und rechtfertigen, ohne sich als ein Gegenstand an sich darzustellen. Das Problem der »Trennung« existiert nur, wenn man von einem solchen Gegenstand ausgeht. Und der wird tendenziell obsolet.

Wenn in den Kämpfen deutlich wird, dass seine Existenz als Klasse für das Proletariat zu einem äußeren Zwang wird, das heißt zu einer Schranke seines Kampfs als Klasse, besitzen die Kämpfe eine kritische Auffassung von sich selbst, die wie die Theorie zu einer kritischen Abstraktion wird. In den sich verändernden Praktiken, Unruhen und Streiks ohne Forderungen der 1970er Jahre, in den erneuten Unruhen der 1990er und 2000er Jahre, aber auch auf gewöhnlichere Weise, zeigen die Kämpfe eine aktive – gegen das Kapital gerichtete – Ablehnung der proletarischen Existenz, auch in der Selbstorganisation oder den ephemeren und begrenzten Manifestationen von Selbstverwaltung. Praktisch und in ihrem Diskurs erzeugen die unmittelbaren Kämpfe ununterbrochen in sich selbst eine innere Distanz. Diese Distanz ist die Perspektive der Kommunisierung als konkrete und objektive theoretische Artikulation zwischen dem unmittelbaren Begreifen der Kämpfe und der Theorie. Wenn dieses unmittelbare Begreifen der Kämpfe dazu tendiert, selbst zu einer kritischen Abstraktion zu werden, wird folglich umgekehrt die Theorie in ihrer Definition ausgehöhlt.

Die Theorie muss als etwas verstanden werden, das im Verlauf des Klassenkampfs als eine seiner praktischen Bestimmungen hervorgebracht wird, als eines seiner Elemente, und zwar gerade in seinen theoretischen Ausprägungen. Diese theoretische Produktion existiert nicht für sich, als fertiger Korpus, der diesem unmittelbaren Verlauf gegenübersteht und vorausgeht. Die Theorie muss als wirkliches Element der Kämpfe verstanden werden und die Perspektive der Kommunisierung als Artikulation zwischen der Theorie, die eine kritische Abstraktion ist, und dem theoretischen Charakter der Kämpfe selbst, der darin besteht, dass sie sich selbst kritisch begreifen.

Théorie Communiste (theoriecommuniste.org).

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  • 1. Der einzige ins Deutsche übertragene Text aus den Reihen der Gruppe ist unseres Wissens R. S., Novemberballade, in: Freundinnen und Freunde der klassenlosen Gesellschaft (Hg.), Rauchzeichen aus den Banlieues. Reflexionen zur Revolte in den französischen Vorstädten, Berlin 2006, auch auf unserer Webseite.
  • 2. Vgl. Bruno Astarian, Les grèves en France en mai-juin 1968, Paris 2003.
  • 3. Dekret über die Arbeitermacht vom 14./27. November 1917, in Carr: La révolution bolchévique, Bd. 2, L’ordre économique, 77.
  • 4. Karl Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, Marx Engels Werke, Bd. 42, 601.
  • 5. Zur »Illegitimität der Lohnforderung«, vgl. unsere Replik.
  • 6. Zur »doppelten Entkopplung« von Kapitalverwertung und Reproduktion der Arbeitskraft, vgl. unsere Replik.