Editorial Heft 5

09. März 2018

Ich sitze am Straßenhang.
Der Fahrer wechselt das Rad.
Ich bin nicht gern, wo ich herkomme.
Ich bin nicht gern, wo ich hinfahre.
Warum sehe ich den Radwechsel mit Ungeduld?
 
Bertolt Brecht

 

In der letzten Ausgabe von Kosmoprolet aus dem Jahr 2015 sahen wir uns bereits zum Abschied von einem vorsichtigen Optimismus genötigt. Die oppositionellen Bewegungen, die infolge der globalen Krise auf die Bühne der Weltgeschichte getreten waren und manche Sozialrevolutionärin auf bessere Zeiten hoffen ließen, hatten bereits an Schwung verloren und dem Alltäglichen in Form von Demokratie, Militärdiktatur und Mörderbanden Platz gemacht. Mittlerweile befinden sich, egal wohin man blickt, unverkennbar reaktionäre Kräfte im Aufstieg, die das Nationale ins Zentrum stellen und dabei auch in proletarischen Kreisen auf Zuspruch stoßen. Die Gleichzeitigkeit der Rechtsentwicklung – zu beobachten an AfD, Brexit, Trump, dem Front National, der Türkei, Österreich, Ungarn und vielen osteuropäischen Ländern bis hin zu Duterte auf den Philippinen – ist gespenstisch. Und auch links des Trauerspiels zeigen sich Elemente der nationalen Rückbesinnung. Der historische Kurs scheint klar, das Desaster ist ziemlich umfassend.

Studien zu den Wahlerfolgen der rechten Parteien sprechen, bei aller kategorialen Unschärfe, eine deutliche Sprache: Auch nicht wenige Proletarisierte suchen ihr Heil in der nationalen Restauration. Die Motive dafür sind schnell zur Hand. Um die Welt steht es bekanntlich nicht zum Besten und die Abendnachrichten tragen dies in die hellbeleuchteten Wohnzimmer: islamistische Anschläge, Flüchtlingsbewegungen, Jobverluste durch Automatisierung. Die Rechte hat eine einfache Antwort auf diese Trinität des Schreckens: Grenzen zu für die Überflüssigen! Wie praktisch, dass mit der Aussperrung des Konkurrenten um den bedrohten Arbeitsplatz zugleich der islamistische Terrorist von den Volksfesten ferngehalten werden kann und ebenso der fremde Schmarotzer – auf Konsistenz nimmt das Ressentiment bekanntlich keine Rücksicht. Man sollte die Sorge vor den fremden Arbeitskräften insofern ernst nehmen, als hier ein soziales, wenngleich mancherorts vorerst potentielles Problem nationalistisch beantwortet wird, während die Klassenfrage weitgehend außen vor bleibt. Das Gefasel vom »Ernstnehmen der Sorgen der Bürger« wirft dann aber alles durcheinander: In der Angst vor dem Terroristen, dem Fremden, dem Krankheitsträger verschafft sich eine autoritäre Subjektivität Ausdruck, die systematisch hergestellt wurde. Die soziale Verheerung wird mit einer nationalistischen Antwort überdeckt und überdies mit dem weitgehend freidrehenden paranoiden Überhang des besorgten Staatsbürgers verschränkt.

Islamistische Anschläge, Flüchtlingsbewegungen, Jobverluste durch Automatisierung. Die Rechte hat eine einfache Antwort auf diese Trinität des Schreckens: Grenzen zu für die Überflüssigen!

Migrationsströme, latente globale Krise und Abbau des Sozialstaats erzählen eine recht düstere Geschichte über die Zukunft und die Gegenwart der Lohnabhängigen – in einer Gesellschaft, in der die Klasse als organisierter Akteur und Orientierungspunkt weitgehend verschwunden ist. Diese wurde in eine Pluralität der Interessen in einer nationalen Gemeinschaft aufgelöst. Die Atomisierung als Bürger und Konsument ist nebst der Zerschlagung der radikaleren Teile der alten Arbeiterbewegung vor allem ein Resultat der staatlichen Anerkennung und Organisierung systemimmanenter proletarischer Interessen, der entsprechenden Politik und Integration ihrer politischen Organe und schließlich der Beteiligung der Arbeiterinnen an den Produktivkraftzuwächsen unter der Vertragsklausel des sozialen Friedens gewesen. Aber wir haben es mittlerweile längst mit einer Gesellschaft zu tun, die jene Perspektive, mit der die Arbeiterbewegung dereinst integriert wurde, nicht mehr zu garantieren vermag. Mit den ökonomischen Einbrüchen in den 1970ern und den Angriffen ab den 1980ern wurde der Kompromiss der Nachkriegszeit aufgekündigt und der Horizont proletarischer Lebensperspektiven verdüsterte sich: schwächelnde Reallohnentwicklung, schwindende Arbeitsplatzsicherheit, ausgewaideter Sozialstaat. Die Kombination von proletarischer Integration, sozialer Verheerung und düsterer Zukunftsperspektive zeitigt gerade ihre Konsequenzen vom amerikanischen Mittleren Westen über Nordengland bis nach Ostdeutschland. Die Faust im Sack und der böse Blick sind derzeit neben dem Kreuzchen für Abschottung ein recht verbreitetes Phänomen. Und es ist schwer vorauszusagen, gegen wen die im doppelten Sinne Beherrschten sich wenden werden. Man sollte sich davor hüten, sie feinsäuberlich ins nationalistische Kollektiv einzugemeinden, aber auch die Hoffnung, dass sie sich zu einem Projekt der Befreiung zusammenfinden, ist blauäugig. Zu sehr ist der Topos der Rebellion von der Reaktion besetzt. Dieser bildet dann auch die Brücke von der proletarischen Kalkulation für das eigene Interesse, die heute häufig in die nationale Reaktion mündet, zum weitgehend freidrehenden ideologischen Überhang, der für gar nichts mehr zu erreichen ist, was auch nur im Entferntesten mit Emanzipation zu tun hat.

Bei allen nationalen Unterschieden bezieht sich die Propaganda der Rechten fast immer auf die vermeintliche Entmachtung des Nationalstaates durch Weltmarkt, EU und Freihandelsverträge sowie die Usurpation des Staates durch eine willfährige und heimatvergessene Kaste von Politikerinnen. Dagegen gerieren sich die Trumps, Straches und AfDs als Opposition – auch wenn man mancherorts längst an der Regierung beteiligt ist –, die endlich dem verratenen Volkswillen wieder zu seinem Recht verhelfen will. Durch die Rückgewinnung der nationalen Souveränität und der strikten Kontrolle der Grenzen – aber auch durch die Rückkehr zur kleinfamiliären Zelle – soll die gegenwärtige Entwicklung ausgesperrt und alles wenigstens beim verklärten Alten belassen werden. Wie das mit Ideologie so ist, hat das einen realitätsbezogenen Kern: Beispielsweise müssen in Brüssel beschlossene wirtschaftliche Regularien nationalstaatlich durchgesetzt werden und die nationalen Politiker entscheiden im Sinne der Nationalökonomie, also nach Anforderungen des Kapitals, und nicht etwa für den «kleinen Mann». Bloß verschwinden im nationalistischen Furor sachlich vermittelte Herrschaft, verselbständigte ökonomische Prozesse sowie nationale Interessensdifferenzen hinter schuldigen Personen und Gruppen. Gegen diese – Merkel, Clinton, Bürokratinnen, fremde Richter, blutleere Akademiker – inszeniert die Rechte einen vorerst demokratisch kanalisierten Aufstand. Das ist die konformistische Version der Rebellion: Wer heute gegen «die da oben» und die «classe politique» wettert, erhofft sich in den allerwenigsten Fällen eine klassenlose Gesellschaft. Das Aufbegehren zielt nicht auf Befreiung, sondern im Gegenteil soll eine fähigere und strengere Führung die idealisierte vergangene Lebensrealität konservieren. Über diese kann der Einzelne zumindest ideell vermeintlich an der Macht teilhaben und die finsteren Kräfte bekämpfen. Hierüber wird die Gefolgschaft der Rechten innerhalb der herrschenden Ordnung mobilisiert. Die Mobilisierung speist sich aus der ständigen Bedrohungsangst, die sich aber mancherorts in vollendete Paranoia steigert. Die Mobilisierten erregen sich gegen den Internationalismus der Managerelite, der einzige, der noch medial repräsentiert wird: Neoliberale Wirtschaftspolitik mit Diversität in den Konzernvorständen und der Ehe für alle. Das macht es den rechten Demagogen einfach, die Anerkennung von Minderheiten mit dem Verrat am Volk in eins zu setzen. Und die drückende Situation am unteren Ende der Gesellschaft tut ihr übriges und macht hier nationale Abschottung zur attraktiven Option.

Heute gibt es keine Erzählung mehr außerhalb des kapitalistischen Albtraums und seiner nationalen Konservierung.

Je umfassender die kapitalistische Gesellschaft mit ihren Imperativen auf das Subjekt wirkt, desto zäher ist nicht nur die Konformität, sondern auch die ständige Angst, nicht mehr den Ansprüchen der rauen Welt zu genügen. Der kapitalistisch vergesellschaftete und autoritär subjektivierte Mensch muss in sich unterdrücken, was nicht den Anforderungen dieser Gesellschaft entspricht. Der um sein Glück Betrogene findet das Unterdrückte projektiv in den anderen: im faulen Ausländer, der unproduktiven Sozialhilfeempfängerin, der gefühlsduseligen oder der emanzipierten Frau. Das vermeintliche Mehr an Glück der anderen ist ihm Anlass genug, sie zu verfolgen – und sei dies vorerst noch vornehmlich in den geregelten Bahnen des demokratischen Wahlprozederes. Die Programme der rechten Parteien bieten für jeden Anlass und jedes Ressentiment das richtige Objekt, und zwar sowohl gegen unten als auch gegen oben: Die Wut auf die Politiker ist nicht das Gegenteil, sondern das notwendige Komplement zum Hass auf alles vermeintlich unwerte und unproduktive Leben. Man muss sich diese Zurichtung vor dem historischen Kurs des Kapitalismus vergegenwärtigen. Heute gibt es keine Erzählung mehr außerhalb des kapitalistischen Albtraums und seiner nationalen Konservierung. Nach dem Kriseneinbruch in den frühen 1970ern und der politischen Reaktion spitzt sich die Situation zu: Während der Druck weiter wächst, verschwinden die reellen Erfolgschancen zusehends. Damit nehmen nicht nur Versagensangst und die Anteile des zu Unterdrückenden zu, sondern auch der paranoide Antrieb, sich schadlos halten zu wollen.

Angesichts der offensichtlichen Anziehungskraft, die Nationalischauvinismus, Rassismus und der ganze autoritäre Quatsch in der gegenwärtigen Situation auf die Proletarisierten ausüben, ist die Suche nach einer effektiven linken Gegenstrategie in vollem Gange. Die Facetten sind mannigfaltig, die inhaltlichen Neuerungen halten sich gleichwohl in Grenzen: Die einen versuchen sich an neuen Begründungen dafür, dass gerade jetzt die Notwendigkeit bestehe, breite Bündnisse gegen rechts zu schließen. Folgerichtig organisieren sich linksradikale Gruppen angesichts des Erfolgs etwa der AfD unter anderem im Rahmen der Kampagne »Aufstehen gegen Rassismus« in bunter Volksfront-ähnlicher Runde mit der Linkspartei, den Jusos, der deutschen Familienministerin und den Bundesvorsitzenden der Grünen. Im Namen der »Aufklärung über deren [AfD] menschenfeindliche Ziele« setzen sie auf »breite und zugleich entschlossene Bündnisse, um den »Kampf gegen die Gefahr einer aufkommenden neuen faschistischen Rechten [nicht] durch falsche politische Abgrenzungen [zu] schwächen«. So laufen Radikale Gefahr, Teil des Bollwerks der Aufgeklärten gegen die Parteien des dummen Pöbels zu werden. Wenn ihnen nicht mehr einfällt, als Nationalisten den Stinkefinger zu zeigen, fragt man sich, was sie überhaupt noch von Sigmar Gabriel unterscheidet. Manch einer stellt sich gar hinter die Willkommenskulturfloskeln Angela Merkels und muss dabei von dem Normalvollzug von Abschiebung und Abschottung absehen.

Die Bedürfnisse sind längst nicht bruchlos in Dienst genommen und ihre emanzipatorischen Anteile vollständig abgetötet worden.

Noch fataler scheint eine andere Linie: der Versuch durch strategische Imitation an die Erfolge von rechts anzuknüpfen und einem linken Populismus das Wort zu reden. Die einen hoffen, die Verwerfungen der »Abstiegsgesellschaft« könnten durch einen »linken Populismus, der die Ängste der Bürger ernst nimmt«, in einen »Kampf für ein solidarisches Gemeinwesen« umgelenkt werden (Oliver Nachtwey). Andere sehen Europa leiden unter der »kulturellen Geringschätzung (…) lokaler Traditionen durch eine sich kosmopolitisch gebende Ober- und Mittelschicht, und konstatieren: wer »sich dem widersetzen will, dem steht oft keine andere Sprache zur Verfügung als die der Nation und ihrer guten alten Zeiten« (Wolfgang Streeck). In dieselbe Kerbe hauen die bekannten rassistischen Parolen von Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine, die versuchen, die politische Emotionalisierung und Affektbesetzung der Rechten zu kopieren und dabei das Schimpfen auf die politischen Eliten und das Establishment in der Hoffnung übernehmen, dass dieses mithilfe der Macht der Emotionen umgelenkt werden könnte. Leitbild ist eine linke Form der Hegemonialpolitik, die als Reaktion auf den grassierenden Rechtspopulismus einen Gegenpol stark zu machen und auf diese Weise zugleich die Proletarier für ein solidarisches Europa zu begeistern versucht. Mit ähnlicher Absicht erklärt Ernesto Laclau, neben Chantal Mouffe der akademische Vordenker eines »linken Populismus«, wie »das Volk« als Bezugsgröße wieder positiv zu besetzen sei: »Es ist naiv zu glauben, die rassistischen und fremdenfeindichen Diskurse der Rechten seien durch und durch reaktionär – auch in ihnen gibt es Anrufungen von realen Bedürfnissen und Ansprüchen der Subalternen, die eben mit reaktionären Elementen verknüpft sind.« Natürlich ist der rassistische und fremdenfeindliche Diskurs durch und durch reaktionär. Bloß bezieht er sich auf potentielle und reelle soziale Verheerungen und bestimmte Interessenlagen, die der Kapitalismus geschaffen hat. Zu fragen wäre, welche Bedürfnisse und Ansprüche hier konkret angesprochen werden. Man wird zweifellos feststellen, dass neben einigen Bedürfnissen vieles an reaktionären Sorgen und Subjektivitäten für die Manipulation von links nicht oder höchstens auf Kosten von Universalität und Emanzipation zugänglich sein kann. Die Anbiederung ans nationale Bewusstsein hat dieses nicht nur nie verändert, sondern es verstärkt und auf den Anbiedernden zurückgewirkt. Wenn beispielsweise in einer Broschüre radikaler Linker der Schweizer Nationalheld Wilhelm Tell linksnational zu Ehren kommen soll, wäre dem ein klassischer proletarischer Inter- und Antinationalismus entgegenzuhalten: Zum einen schielt dieser nicht auf die national integrierten Prolls – weder um sich anzubiedern, noch um ihre Ressentiments zu manipulieren –, sondern nimmt die Klasse in ihrer globalen Zusammensetzung ernst. Das heißt auch, dass man den gewerkschaftlichen Nationalismus genauso aufs Korn nimmt, wie man linke Kampagnen zur nationalen Wirtschaftspolitik kritisiert. Die Suche der Proletarier nach Zusammenhalt in der Nation gründet in ihrer kompletten Entsolidarisierung als Klasse. Ohne die Arbeiterklasse mit Unsinn wie einem revolutionären Wesen aufladen zu wollen, muss man festhalten, dass sie sich zwar mit dem Kapital und seinem Standort, aber auch dagegen reproduzieren muss: Zwar sind die Lohnabhängigen auf das Geld ihres Unternehmens und des Sozialstaates angewiesen, aber in der Lohnhöhe, der Arbeitsdauer und der Arbeitsintensität – wie auch in den ökonomisch forcierten Angriffen auf den Sozialstaat – sind sie immer wieder in Konflikt mit diesen geworfen. Diesen Konflikt führt das Kapital international. EU, Freihandelsverträge und Personenfreizügigkeit sind Mechanismen, um Lohnabhängige rund um den Globus miteinander in Konkurrenz zu setzen. Die nationale Abschottung ist deswegen verheißungsvoll, weil sie zumindest kurzfristig die relativen Privilegien von Teilen der internationalen Arbeiterklasse scheinbar zu schützen vermag. Doch langfristig haben die Proletarisierten in besagtem Konflikt nur eine Chance, wenn sie so international agieren wie das Kapital. Auch wenn derzeit wenig dafür zu sprechen scheint, ist der Klassenkampf insofern notwendigerweise internationalistisch. Klassenbewusstsein hieße dann auch ein Wissen darum, dass Proletarier auf unterschiedlichen Flecken der Erdkugel an unterschiedlichen Enden der gleichen Produktionskette schuften und somit aufeinander angewiesen sind. Nur ein solches Bewusstsein könnte der Vertiefung der nationalen Spaltung und damit dem scheinbar unaufhaltsamen Aufstieg der Nationalen etwas entgegensetzen. Dem Konflikt zwischen Arbeit und Kapital jegliches den Status quo sprengendes Potential abzusprechen, heißt fälschlich davon auszugehen, dass die Bedürfnisse der Proletarierinnen ganz in der Kapitallogik aufgehen. Die Bedürfnisse sind längst nicht bruchlos in Dienst genommen und ihre emanzipatorischen Anteile vollständig abgetötet worden. Davon legen nicht nur soziale Eruptionen Zeugnis ab, sondern auch die alltäglichen Momente von Renitenz und nicht zuletzt jene Versprengten, die die Arbeit von Maulwürfen verrichten.

Im alltäglichen Kampf wird die radikale Linke oftmals aufgerieben zwischen dem Widerstand gegen die schlimmsten Folgen der Entwicklung und einem abstrakten Maximalismus, der sich an den realen Unwägbarkeiten die Finger nicht mehr schmutzig machen will. Gegen die ökonomischen Verwerfungen, die die Rechtsentwicklung befeuern, kann man immanent nicht viel ausrichten, wenngleich natürlich konkrete Verschlechterungen und das Elend im Einzelfall bekämpft werden können. Aber auch mit abstrakter Aufklärung ist wenig zu erreichen, auch wenn die eine oder andere Mitdemonstrantin oder Lesegruppenteilnehmerin gewonnen werden kann. Solange sich keine praktische Alternative und Ermächtigung abzeichnet, ist für viele Proletarisierte die Perspektive innerhalb des Bestehenden – und das heißt, sich zur Bewahrung des eigenen Auskommens den nationalökonomischen Zwängen zu unterwerfen – schlicht die einzig realistisch scheinende Option, zumal sich die Anpassung tief in die Subjektivität vieler eingeschrieben hat. So hermetisch, wie das Ganze oftmals erscheint, ist es aber nicht: Das nationale und rechte Bewusstsein erweist sich unter Bedingungen der Ausweglosigkeit als sehr zäh, ist aber abseits der ganz Bornierten Stückwerk, konfus und brüchig.

Solange sich keine praktische Alternative und Ermächtigung abzeichnet, ist für viele Proletarisierte die Perspektive innerhalb des Bestehenden.

Der Aufstieg der Rechten geht so auch nicht völlig widerstandslos vonstatten. In Polen demonstrieren Zehntausende gegen ein verschärftes Abtreibungsgesetz. In Deutschland setzten sich Millionen für die Belange von Flüchtlingen ein. Ähnliches gab es auch in den USA, wo der Wahl von Trump massenhafte antirassistische Kämpfe gegen Polizeigewalt vorausgingen und seine sexistischen Bemerkungen ein neues feministisches Aufbegehren hervorriefen. Bislang können solche Kämpfe bestenfalls die Unverschämtheiten der Rechten berechtigterweise skandalisieren. Sie bleiben voneinander getrennt, können wenig an den Bedingungen, die den Rechten Erfolg bescheren, rütteln und bestärken das Ressentiment der letzteren, von Feministinnen, undankbaren Ausländern und Gutmenschen umgeben zu sein, die das nationale Wohl der Political Correctness opfern. Nur die Entstehung einer Klasse für sich könnte der Vielzahl der Kämpfe eine Klammer bieten, die Ausweglosigkeit und autoritäre Anpassung zumindest aufbrechen. Dazu gibt es momentan wohl nicht viel mehr zu sagen, als dass man die wenigen Kämpfe entlang der Frontlinie der Klassen unterstützen und bekannt machen muss. Dies hätte vorderhand zwei Funktionen: Zum einen würde damit die Klasse gestärkt, die, wenn sie nicht in der Konkurrenz der nationalen Standorte alles verlieren will, der nationalen Verfassung der Welt entgegentreten muss. Und zugleich wäre die Auswirkung auf die autoritäre Charakterstruktur, die sich auch aus der Ohnmachtserfahrung speist, nicht abzusehen, wenn der Kampf eine – wenngleich temporäre – Ermächtigung der Kämpfenden zur Folge hätte. Der alten Idee, dass Klassenbewusstsein in den Kämpfen entsteht, kommt vor diesem Hintergrund Bedeutung zu. Vor der gesellschaftlichen Entwicklung von Nationalisierung, Abstiegspanik und Gefühl der Ausweglosigkeit haben Kämpfe eine wichtige Funktion: Einerseits wirken sie vereinigend in der international zusammengesetzten Klasse. Andererseits sind sie Motor der Erkenntnis, dass man sich gemeinsam ermächtigen und im besten Fall eine Perspektive entwickeln kann, die über das Bestehende hinausweist. Das sind erst einmal marginale Erscheinungen und mehr lässt sich an Zuversichtlichem in der sich gerade autoritärer formierenden Welt wohl auch nicht sagen. Wir glauben nicht, dass es demnächst besser wird, aber es kann besser werden.                                                                                         

Kosmoprolet, Januar 2018