In den zwei Jahren, die seit der ersten Ausgabe von Kosmoprolet ins Land gegangen sind, hat sich die Geschichte immens beschleunigt. Kaum zeichnete sich die schwere Weltwirtschaftskrise ab, wurde Griechenland von einer heftigen Revolte erschüttert; wenige Monate später entzündeten sich an den gefälschten Präsidentschaftswahlen im Iran Massenproteste, die das Regime der islamistischen Konterrevolution nur mit roher Gewalt - vorerst - ersticken konnte.
Aufgrund der aktuellen Ereignisse in Iran leiten wir unsere Zeitschrift mit einem eilig verfassten Text "Fragmente über die Tage, die Teheran erschüttern" ein. In diesem Artikel soll neben der Darstellung der offensichtlichen Zerklüftungen und Interessenkonflikte innerhalb des Regimes und der Entmystifizierung Ahmadinejads als "Präsident der Armen" vor allem der Frage nach dem Klassencharakter dieses Aufstandes sowie seiner Entwicklungsmöglichkeiten nachgegangen werden.
"Ein gravierender Mangel besteht sicherlich darin, dass wir den Begriff der Krise umschiffen, was sich insbesondere dort bemerkbar macht, wo wir die gegenwärtigen Veränderungen der Klassenverhältnisse zu fassen versuchen", hieß es im Editorial der ersten Ausgabe selbstkritisch zu den "28 Thesen zur Klassengesellschaft". Dieser Mangel soll im vorliegenden Heft mit einigen "Thesen zur Krise" wenigstens teilweise behoben werden. Während in den Thesen das Augenmerk hauptsächlich auf der Dynamik der gegenwärtigen Krise, ihren politischen Folgen und nicht zuletzt den falschen Versprechen der Linken liegt, bietet der nachfolgende Text "Eine Krise des Werts" von Sander eine Lesart marxistischer Krisentheorie, die einen Bogen von der Ware über den unausweichlichen Fall der Profitrate bis zum aktuellen Entwertungscrash schlägt. Wir veröffentlichen den Text als Debattenbeitrag.
"Das Ende der Lähmung" von den Athener Genossinnen und Genossen der antiautoritär-kommunistischen Gruppe Ta Paidia Tis Galarias (TPTG) analysiert den ersten Aufstand in Europa, der in die gegenwärtige Krise fällt. Welche Ausmaße die Revolte annahm, ohne dass sich die Folgen der Krise bereits bemerkbar gemacht hätten, zeigt, wie brüchig die soziale Situation ohnehin schon war. Die massenhafte Beteiligung der vorwiegend jungen Proletarisierten sowie die Breite dieser Bewegung, die weit über anarchistische und autonome Gruppen hinausging, geben Anlass zu einem gewissen Optimismus für zukünftige Insurrektionen, die durch die gerade beginnende Krise angefacht vermehrt auch anderswo ausbrechen könnten. Die Revoltierenden, die sich aus Schülern, Studentinnen, jungen prekären Arbeiterinnen und erstmalig Migranten zusammensetzten, überwanden im gemeinsamen Aufstand für einen Moment die sie trennenden Identitäten. Mit selbstorganisierten Versammlungen in Stadtteilen, besetzten Gewerkschaftshäusern, Rathäusern und Universitäten bestimmten sie das weitere Vorgehen. Diese hoffnungsvollen Momente sollten allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Bewegung bestimmte Segmente des Proletariats kaum erfasste und der unmittelbare Produktionsprozess weitestgehend unberührt von ihr blieb. Im Anschluss daran dokumentieren wir drei "Kommuniqués aus der griechischen Sozialrevolte", die das bemerkenswerte Niveau des Aufstandes widerspiegeln.
Der Aufstand von Oaxaca im Jahr 2006, der mit einem Streik der Lehrer begann und sich im Nu auf immer größere Bereiche des Lebens ausweitete, gibt einen Vorgeschmack darauf, wie sich eine ganze Region ohne Staatsmacht organisiert - mit allen damit zusammenhängenden Problemen. Warum wir es trotz einiger Vorbehalte für angebracht halten, den Text "Barrikaden" der US-amerikanischen Gruppe Collective Reinventionszu veröffentlichen, erläutern wir in einer kritischen Vorbemerkung.
Der Marxismus-Leninismus fristet heute sein Dasein in Form marginaler Grüppchen, gleichzeitig erinnern viele Formen der Politik, wie sie auch von der "radikalen Linken" gepflegt werden, an die Leninsche Herangehensweise. In einer Kritik am Leninismus werden die heutigen Derivate anhand des Originals kritisiert und herausgearbeitet, was den Leninismus im weiteren Sinne auszeichnet.
Abgeschlossen wird das Heft von einigen kürzeren Notizen zu Reaktionen auf die erste Ausgabe von Kosmoprolet, einem "Club für Sich" in Berlin, der Fortsetzung einer Farce namens "Sozialismus des 21. Jahrhunderts" sowie mit einem satirischen Flugblatt, das auf einer DGB-Demonstration in Berlin verteilt wurde.
Während die Krise mittlerweile eine unüberschaubare Flut an theoretisch-analytischen Erklärungen des Kladderadatsches hervorbringt, bleibt es im Lager derjenigen, die meinen, auf dem Standpunkt einer radikalen Kritik des falschen Ganzen zustehen, eigentümlich still, was Möglichkeiten der Praxis betrifft. Natürlich wird von den üblichen Verdächtigen die gewohnte klappernde Litanei von linkem Bündnisgeklüngel und Taktiererei gepredigt, und trotz der ermüdenden Voraussehbarkeit solcher Kampagnen sollte man sich nicht zu schade sein, derlei Rohrkrepierer mit Ansage in angemessener Weise zu zerpflücken.
Die Frage Was tun? könnte sich daher in absehbarer Zeit mit neuer Dringlichkeit stellen.
Allerdings sieht sich die Kritik am linken Spektakel angesichts der anhaltenden Friedhofsruhe ganz zu Recht ebenso dem Verdacht der Ersatzhandlung ausgesetzt wie das Spektakel selbst. Sie muss in Rechnung stellen, dass die gegenwärtige Konfusion nicht allein ideologischer Verbohrtheit geschuldet ist, sondern in erster Linie der Tatsache, dass zumindest in den hiesigen Gefilden weiterführende Kämpfe aus der Klasse heraus immer noch Fehlanzeige sind. Die Krise scheint in der Gesellschaft noch nicht in einem Maße angekommen zu sein, das die Lohnabhängigen zu größeren Reaktionen bewegen würde. Zu beobachten ist eher ein Zustand, der zwischen Schockstarre und abwartendem Weitermachen oszilliert. Grund dafür dürfte nicht so sehr die Realitätsresistenz stumpfer Proleten als vielmehr der rastlose Aktionismus der Bundesregierung sein, die bislang mit Erfolg versucht, den gewaltsamen Einbruch der Krise in das Leben der Menschen mit materiellen Vorleistungen herauszuzögern: Kürzlich wurde der Hartz IV-Kinderregelsatz erhöht und die Auszahlung des Kurzarbeitsgeldes auf 24 Monate verlängert - Maßnahmen, deren Charakter die Lautsprecher des Kapitals wie so häufig am angemessensten beschrieben: "Kurzarbeitsgeld ist Wahlium fürs Volk" titelte die Financial Times Deutschland. In der Tat dürfte die sozialpolitische Wundertüte nach den Bundestagswahlen mit großer Wahrscheinlichkeit erschöpft sein. Vertreter des Kapitals munkeln ohnehin bereits, dass staatliche Narkotika wie Kurzarbeit nach eineinhalb Jahren ohne anspringende Konjunktur ihren betriebswirtschaftlichen Sinn verlören und Entlassungen dann so oder so anstünden. Da ein Ende der Krise nicht abzusehen ist, wird auch der derzeit großes Vertrauen genießende Staat früher oder später seine Potenz einbüßen; die sozialen Härten dürften spürbar zunehmen.
Die Frage Was tun? könnte sich daher in absehbarer Zeit mit neuer Dringlichkeit stellen. Was am Ende der Thesen zur Krise als Bildung eines "sozialrevolutionären Pols" umrissen ist, klingt vielleicht pompöser als beabsichtigt. Es wäre schon ein großer Fortschritt, wenn die derzeit noch verstreuten Zirkel und Grüppchen, Betriebsaktivistinnen und sonstige Individuen, die unter der guten alten Losung von der Selbstabschaffung des Proletariats sich aufgehoben fühlen, in eine kontinuierliche Diskussion treten und ihre ungeklärten Fragen offen legen würden, um dann gemeinsam in sozialen Auseinandersetzungen nach Antworten zu suchen. Die Erweiterung des Herausgeberkreises von Kosmoprolet ist nur ein erster Schritt in diese Richtung. Wir suchen die Debatte mit allen, die ebenfalls ein Interesse daran haben, irgendwann nicht mehr nur in die Rolle des kritischen Beobachters des unablässigen Stromes der "ganzen alten Scheiße" gebannt zu sein.
Freundinnen und Freunde der klassenlosen Gesellschaft, Berlin
Eiszeit, Zürich
gruppe k-21, Frankfurt/Main
La Banda Vaga, Freiburg
Juli 2009