Seit November letzten Jahres befindet sich ein Großteil der Belegschaft des Hamburger Verpackungsmittelherstellers Neupack im Arbeitskampf. Das Ziel der Belegschaft ist der Abschluss eines Tarifvertrages. Gemeinsam mit VertreterInnen der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Industrie (IG BCE) sollten die Forderungen der KollegInnen durchgesetzt werden. Die Gewerkschaft versprach vollen Rückhalt und verkündete vollmundig ein baldiges Erreichen der Streikziele. Doch die Geschäftinhaber Familie Krüger zeigte sich hartnäckig und gerissen. Sie ging nicht auf Verhandlungen ein, sondern stellte kurzerhand LeiharbeiterInnen ein, um den Streik zu brechen. So zog sich der Streik in die Länge und wurde zu einem der längsten Arbeitskämpfe in der jüngeren Geschichte der BRD, der ähnlich wie der Kampf der Beschäftigen beim Flugzeug-Caterer „Gate-Gourmet“ 2006 in Düsseldorf inzwischen grundsätzliche Bedeutung erlangt hat. Dabei kamen auch – für deutsche Verhältnisse ungewöhnlich – Blockadeaktionen vor den Werkstoren zur Anwendung. In der Zwischenzeit versuchten Betriebsrat und Gewerkschaftsvertretung die Geschäftsleitung immer wieder zu Verhandlungen zu bewegen, diese reagierte jedoch lediglich mit Abmahnungen für die Streikenden und fristlosen Kündigungen für etliche KollegInnen, darunter auch den Betriebsratsvorsitzenden Murat Günes.
Nach dieser schikanösen Zermürbungstaktik seitens der Geschäftsleitung, beschloss die IG BCE auch ihre eigene Streiktaktik zu ändern und forderte von den KollegInnen ab Ende Januar in einen so genannten „Flexi-Streik“ zu treten. Dies bedeutet, dass in unregelmäßigen Abständen gestreikt wird um die Kosten für den Betrieb zu erhöhen. Die Folge davon war jedoch, dass die Arbeitenden wieder die Lager der Firma Neupack füllten. Des Weiteren mussten sie auch noch die LeiharbeiterInnen anlernen, die einen zu hohen Anteil an Ausschuss produziert hatten. Zu diesem Zeitpunkt war auch die Gewerkschaftsvertretung von ihrer Forderung nach einem Tarifvertrag abgerückt und wollte stattdessen nur noch eine Regelungsabsprache abschließen, die der Geschäftsleitung weitgehendere Rechte einräumt. Betriebsrat und KollegInnen von Neupack fühlen sich, verständlicherweise, seitdem von ihrer Gewerkschaft hintergangen und forderten wild zu streiken, womit sie die Gewerkschaft unter Druck setzten. Besonderen Unmut verursachten auch die Verhandlungen der Gewerkschaftsvertretung mit der Geschäftsleitung, da diese ähnlich dem Streik bei „Bosch-Siemens-Hausgeräte“ in Berlin 2006, nicht offen geführt wurden, sondern in privaten Treffen. Als Grund für den Schwenk nannte ein Gewerkschaftsvertreter, dass ein weiterer wirtschaftlicher Schaden von der Firma Neupack abgewendet werden müsse, um zukünftige Arbeitsplätze zu schonen.
Auf den ersten Blick mag der offene Bruch der Gewerkschaft mit den Interessen der Lohnabhängigen nur illoyal und verlogen erscheinen, doch er entspringt durchaus der Logik der kapitalistischen Verwertungszwänge. So ist aus Sicht der Gewerkschaft nicht viel „gewonnen“ wenn ein Großteil der bisherigen Belegschaft in naher Zukunft durch LeiharbeiterInnen ersetzt wird. Eine offensichtliche Niederlage – dem Abschluss einer Regelungsabsprache und dem Fallenlassen von Strafanzeigen gegen etliche MitarbeiterInnen – wird so als Sieg dargestellt. Am Beispiel des Streiks bei Neupack lässt sich erkennen, dass bei einem zu großem Widerspruch zwischen den Interessen der Lohnabhängigen und denen des Kapitals eine Gewerkschaft sich für letztere entscheiden wird. Sie muss dies schon allein deshalb tun um den Fortbestand der eigenen Organisation zu gewährleisten. Denn dieser Fortbestand ist daran gekoppelt in den Verhandlungen mit der Unternehmensseite die Vertretung der LohnarbeiterInnen, also derjenigen die den Mehrwert produzieren, zu übernehmen. Eine Gewerkschaft kann also nur solange Gewerkschaft sein, so lange Arbeitskraft ausgebeutet wird. Ein Ende der Ausbeutung wäre auch ein Ende der Gewerkschaft. In Arbeitskampfsituationen wird immer wieder das Dilemma der Gewerkschaften, aber auch derjenigen sichtbar, die nichts zu verkaufen haben, außer ihrer Arbeitskraft. Denn während diese einerseits ein objektives Interesse an der Aufhebung eines Zustandes haben, in der sie gezwungen werden ihre Arbeitskraft zu verkaufen um einigermaßen leben zu können, ist ihr unmittelbares Interesse an die ökonomische Situation ihres Brötchengebers gekoppelt. Anders gesprochen, kann ein konsequent geführter Arbeitskampf, der deutliche Lohnsteigerungen erkämpft zur Schwächung des Unternehmens in der kapitalistischen Konkurrenz führen, was wiederum zu Entlassungen und Lohnkürzungen führen könnte. Die Gewerkschaften nun haben diesen Widerspruch im Laufe ihrer Geschichte soweit akzeptiert, dass sie immer im Gesamtinteresse des Betriebes, bzw. als Gewerkschaftsverband im Interesse des „Standortes Deutschland“ agieren. Sie vergessen bei Tarifforderungen deshalb auch nie zu erwähnen, dass Gehaltssteigerungen nur deshalb notwendig seien, weil dies zur Steigerung der Binnennachfrage beitrage. Vor allem in Deutschland hat sich so eine Ideologie der so genannten „Sozialpartnerschaft“ entwickelt, wonach VertreterInnen von Gewerkschaften und Unternehmen in beiderseitigem Einvernehmen Abschlüsse aushandeln. So mögen Gewerkschaften zwar scheinbar im Interesse der Lohnabhängigen handeln, können dies aber nur soweit tun, wie grundsätzliche Gesetzmäßigkeiten des Kapitals nicht verletzt werden. Die Gewerkschaften müssen das Profitinteresse des Unternehmens daher – früher oder später – grundsätzlich akzeptieren. Dass es dadurch mit ihrer Verhandlungsmacht von vornherein nicht besonders gut aussieht, zeigt der Streik bei Neupack mehr als deutlich: Die Unternehmensführung spricht mit ihrer sturen Zermürbungstaktik das letzte Wort. Gewerkschaften vertreten also nur die unmittelbaren Interessen der LohnarbeiterInnen innerhalb des kapitalistischen Systems. Ein Ende von Ausbeutung, Entfremdung und Unterdrückung kann es aber nur außerhalb dessen geben. Die Gewerkschaften sind in diesem Kampf ein Hindernis.
La Banda Vaga, April 2013
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