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Kommuniqués aus der griechischen Sozialrevolte

19. Juli 2009

Entweder werden wir unsere Geschichte selbst bestimmen oder sie wird ohne uns bestimmt

Erklärung der Besetzer der Gewerkschaftszentrale

Wir - Arbeiter, Angestellte, Arbeitslose, Zeitarbeiter, einheimische wie migrantische - wir sind keine passiven Fernsehzuschauer. Seit dem Mord an Alexandros Grigoropoulos Samstagnacht nehmen wir an den Demonstrationen, den Auseinandersetzungen mit der Polizei, den Besetzungen im Stadtzentrum und den anderen Vierteln teil. Immer wieder mussten wir die Arbeit und unsere anderen Verpflichtungen stehen lassen, um mit den Schülern, Studenten und den anderen kämpfenden Proletariern auf die Straße zu gehen.

Wir haben beschlossen, das GSEE-Gebäude zu besetzen

- um es in einen Raum für freie Diskussion und in einen Treffpunkt für Arbeiter zu verwandeln.

- um neben anderen Märchen den von den Medien verbreiteten Mythos aufzulösen, die Arbeiter hätten sich bis jetzt aus den Zusammenstößen stets herausgehalten und die Wut dieser Tage sei bloß die Angelegenheit einiger 500 "Vermummter" und "Hooligans" gewesen. Und während einem auf den Fernsehbildschirmen die Arbeiter als Opfer dieses Kampfes präsentiert werden, führt die kapitalistische Krise in Griechenland und weltweit zu zahllosen Entlassungen, die von Medien wie Managern als ein "Naturphänomen" behandelt werden.

- um die Rolle der Gewerkschaftsbürokratie zu entlarven, die - neben anderen "Wohltaten" - den Aufstand untergräbt. Der GSEE und der gesamte ihn unterstützende Apparat unterminieren seit Jahrzehnten die Kämpfe, verschachern unsere Arbeitskraft für Brosamen und verewigen das System der Ausbeutung und der Lohnsklaverei. Die Haltung des GSEE letzten Mittwoch sagt alles: er blies die Streik-Demonstration ab und veranstaltete stattdessen eine kurze Versammlung auf dem Syntagmaplatz. Dabei stellte er sicher, dass die Menge sich eiligst auflöste, da er befürchtete, dass sie vom Virus des Aufstandes angesteckt werden könnte.

Wir müssen unsere eigene Stimme erlangen, uns treffen, reden, entscheiden und handeln.

- um erstmalig diesen Ort zu öffnen, der durch unsere Beiträge zwar gebaut wurde, von dem wir aber bislang ausgeschlossen waren. Dies in Fortsetzung der vom Aufstand geschaffenen sozialen Öffnung. All die Jahre vertrauten wir unser Schicksal Rettern aller Art an, um schließlich unsere Würde zu verlieren. Als Arbeiter müssen wir anfangen, die Verantwortung für uns selbst zu übernehmen, statt unsere Hoffnungen auf weise Führer oder "fähige" Repräsentanten zu richten. Wir müssen unsere eigene Stimme erlangen, uns treffen, reden, entscheiden und handeln. Dem generalisierten Angriff werden wir standhalten. Die Schaffung kollektiven Widerstands "von unten" ist der einzige Weg.

- um die Idee der Selbstorganisation und der Solidarität am Arbeitsplatz, der Kampfkomitees und der kollektiven Basis-Arbeit zu verbreiten und um die Gewerkschaftsbürokraten zu entmachten.

All diese Jahre haben wir das Elend, die Denunziation, die Gewalt in den Arbeitsräumen geschluckt. Wir haben uns daran gewöhnt, unsere Verkrüppelten und Toten - die so genannten "Arbeitsunfälle" - zu zählen. Wir haben uns gewöhnt zu ignorieren, dass Migranten - unsere Klassenbrüder und -schwestern - ermordet werden. Wir sind es müde, mit der Angst um Lohn, Sozialversicherung und Rente, die sich jetzt wie eine träumerische Illusion ausmacht, zu leben.

So wie wir darum kämpfen, unser Leben nicht in den Händen der Bosse und der Gewerkschaftsvertreter zu belassen, so werden wir auch keinen der inhaftierten Aufständischen den Händen des Staates und der Justizmaschine überlassen.

Sofortige Freilassung der Inhaftierten!
Keine Anklage gegen die Festgenommenen!
Selbstorganisation der Arbeiter!
Generalstreik!
Generalversammlung der aufständischen Arbeiter, 17. Dezember 2008

Die Arbeiter/innen werden das letzte Wort haben - nicht die Medienbosse

Erklärung der Medienarbeiter/innen

Die Tausenden von Protestierenden, die am 9. Januar die Straßen in Griechenland füllten, beweisen, dass weder Schüsse und Säureangriffe auf Aktivist/innen noch der ideologische Terrorismus, den die Medien in den letzten Tagen verbreitet haben, das Feuer vom Dezember löschen werden. Die einzige Antwort des Staates auf die Jugendlichen und die Arbeiter/innen bestand folglich einmal mehr in roher Unterdrückung. Von den Forderungen der Medien nach null Toleranz sowie den Befehlen ihrer Bosse ermuntert, hatte die Polizei freie Hand, jeden, der ihr in die Quere kam, mit Chemikalien, Gewalt und Verhaftungen zu attackieren.

Als sich die staatliche Repression am 9. Januar auch gegen die Arbeiter, Journalisten, Fotografen und Rechtsanwälte richtete, die auf der Straße standen, ohne Partei für die Mörder zu ergreifen, wurde noch klarer, dass der Aufstand des vergangenen Monats eine Frage der Würde für alle diejenigen ist, deren Überleben von der Lohnarbeit abhängt. So stehen nun einige von uns Medienarbeitern aktiv an der Seite der Rebellen. Wir beteiligen uns an ihrem Kampf als Arbeiter/innen, wir schließen uns ihrem Kampf mit unseren eigenen alltäglichen Kämpfen am Arbeitsplatz an. Insbesondere geht es uns dabei heute auch darum zu verhindern, dass die Medienbosse ihre Sicht der Ereignisse durchsetzen können. Ein Beispiel dafür ist die Tageszeitung Eleftheros Typos (Freie Presse), die den Fotografen Kostas Tsironis gefeuert hat, weil er nur einen Tag nach der Ermordung des 15jährigen Alexandros Grigoropoulos Bullen mit gezückter Waffe fotografiert hatte.

Unser Platz ist an der Seite der Rebellen, weil wir selbst jeden Tag am Arbeitsplatz die Erfahrung der Ausbeutung machen.

Wir haben keine Illusionen, wir wissen dass die Medien - ein zentraler ideologischer Apparat des Staates- die Leute dazu drängen werden, die Straßen zu verlassen und nach Hause zu gehen; sie werden alles dafür tun. Wir wissen es natürlich nur zu gut, weil wir selbst in den Medien arbeiten, Wir sind uns ebenso darüber bewusst, dass die "großen Namen" des Journalismus die Forderung nach Abschaffung des Universitätsasyls und das Bild von zweierlei Arten von Demonstranten (den gewalttätigen "vermummten"und den "friedlichen") nur solange verbreiten können, wie wir schweigen.

Unser Platz ist an der Seite der Rebellen, weil wir selbst jeden Tag am Arbeitsplatz die Erfahrung der Ausbeutung machen. Wie in allen anderen Bereichen sind wir auch in der Medienindustrie mit den Folgen prekärer, unbezahlter oder nicht sozialversicherter Arbeit, mit Stücklohn, Überstunden und all den anderen Launen der Bosse konfrontiert. In letzter Zeit stellen wir zudem fest, dass unter dem Vorwand der Wirtschaftskrise die Entlassungen und der dazugehörige Terror zunehmen.

Wie alle Arbeiter erleben auch wir die Heuchelei und den Verrat der Gewerkschaften. Die Journalistengewerkschaft Athens (ESIEA) ist eine Institution gegen den Arbeitskampf in all seinen Formen, ob es um Widerstand gegen die Bosse geht oder um das dringende Bedürfnis nach Überwindung der inneren Spaltung und Fragmentierung der Arbeiter durch eine vereinigte Gewerkschaft im Mediensektor. Die Zunftorganisation der ESIEA ist in Wirklichkeit eine Gewerkschaft der Bosse, ein Mechanismus, der sie in ihrem Bemühen unterstützt, uns von allen anderen Arbeitern zu trennen. Ihre Nichtbeteiligung am Generalstreik vom 10. Dezember 2008 ist ein erneutes Beispiel dafür.

Aus all diesen Gründen haben wir, eine Initiative von Lohnarbeiter/innen, unbezahlten und kürzlich gefeuerten Arbeiter/innen sowie Studenten des Medienbereichs, uns zur Besetzung des ESIEA-Gebäudes entschlossen, um all das in den Vordergrund zu stellen, was uns mit der kämpfenden Gesellschaft vereint:

Freie Information, gegen die ideologische Propaganda unserer Bosse in den Medien!
Direkte selbstorganisierte und demokratische Aktionen aller Medienarbeiter/innen gegen die Angriffe, die sich gegen uns alle richten!
Solidarität mit der kämpfenden Arbeiterin Konstantina Kuneva!
Sofortige Freilassung aller Inhaftierten des Aufstands!
Wir haben keine Angst davor, gefeuert zu werden; die Bosse werden Angst vor unseren wilden Streiks bekommen!

Aus dem besetzten ESIEA-Gebäude, 10. Januar 2009

das sind auch unsere Tage …

Erklärung albanischer Migranten

Nach dem Mord an Alexis Gregoropoulos erleben wir einen zuvor nie gesehenen Zustand des Aufruhrs, ein Überfließen der Wut, das nicht aufhören will. An vorderster Front stehen in diesem Aufstand die Schüler selbst, die mit unerschöpflicher Leidenschaft und absoluter Spontaneität alle vorhandenen Zustände umgeworfen haben. Du kannst nichts aufhalten, was du nicht kontrollierst, was sich spontan organisiert aus Gründen, die du nicht verstehst. Das ist die Schönheit des Aufstandes. Die Schüler machen die Geschichte und überlassen es anderen, sie ideologisch einzuordnen und zu schreiben.

Die Schülerproteste sind der Motor einer größeren Bewegung, an der sich auch die zweite Generation der Migranten und viele Flüchtlinge massiv beteiligen. Die Flüchtlinge mobilisieren sich unter keiner besonderen Organisation, mit einer Spontaneität und einem Drang, der charakteristisch für ihre Bewegungen ist. In diesem Moment sind sie der kämpferischste Teil der Ausländer in Griechenland. Es ist sowieso sehr wenig, was sie zu verlieren haben.

Die Kinder der Migranten mobilisieren sich massiv und dynamisch vor allem in den Schüler- und Studentenaktionen oder in den Organisationen der Linken und der extremen Linken. Sie sind auch der integrierteste Teil der Migranten, der mutigste. Sie sind nicht wie ihre Eltern, die mit gesenktem Haupt herüberkamen, als ob sie um ein Stück Brot bettelten. Sie sind Teil der griechischen Gesellschaft, weil sie keine andere kennen gelernt haben. Sie betteln um nichts, sie fordern dynamisch ihre Gleichberechtigung mit ihren griechischen Mitschülern. Gleichberechtigung in den Rechten, auf der Straße, in den Träumen.

Für uns organisierte Migranten ist es ein zweiter französischer November von 2005. Wir hatten niemals Illusionen, die einmal überbordende Wut der Menschen steuern zu können. Trotz unserer Kämpfe all diese Jahre hatten wir nie derart massive Reaktionen hergestellt. Jetzt ist es Zeit für die Straßen zu sprechen. Dieser klar vernehmbare Schrei ist eine Antwort auf 18 Jahre der Gewalt, der Unterdrückung, der Ausbeutung, der Demütigung. Das sind auch unsere Tage.

Diese Tage gehören allen Ausgegrenzten, den Menschen mit den schwierigen Namen und den unbekannten Geschichten.

Diese Tage gehören uns, hunderten von Migranten und Flüchtlingen, ermordet an den Grenzen, in den Polizeistationen, in den Arbeitsstätten. Den von Bullen oder empörten Bürgern Ermordeten. Den Ermordeten, weil sie die Grenzen übertreten haben, weil sie wie die Hunde arbeiteten, weil sie sich nicht beugen wollten. Den für nichts Ermordeten. Für Gramoz Palushi, Luan Berdelima, Edison Jahai, Toni Onoiha, Abdurakim Indriz, Montaser Mohamed Asraf und so viele Andere, die wir nicht vergessen haben.

Diese Tage sind gegen die tägliche Polizeigewalt, die unbeantwortet, ungestraft geblieben ist. Gegen die Erniedrigung an den Grenzen und Migrantenstationen, die immer noch nicht aufgehört hat. Gegen die ungeheuren Urteile der griechischen Gerichte, für die Migranten und Flüchtlinge, die unschuldig in den Knästen sitzen, die Gerechtigkeit, die uns verweigert wurde. Jetzt noch, in den Tagen und Nächten der Revolte, zahlen die Migranten den schweren Preis der Brutalität der Faschisten und der Bullen, der Abschiebungen und Haftstrafen mit der christlichen Nächstenliebe der Gerichte für uns Ungläubige.

Diese Tage sind gegen die Ausbeutung, die 18 Jahre ungemindert andauert. Sie sind für die Kämpfe, die wir nicht vergessen haben, auf den Feldern in Volos, auf den olympischen Baustellen, in Amaliada. Sie sind für den Schweiß und das Blut unserer Eltern, die Schwarzarbeit, die unendlichen Arbeitsstunden, die Gebühren, Bußgelder und Beiträge, die uns nie bekannt gemacht werden. Sie sind gegen die Papiere, die wir ein ganzes Leben lang als großen Lottopreis jagen werden.

Diese Tage sind für den Preis, den wir zahlen, einfach um zu existieren, um zu atmen. Sie sind für das Zähne Zusammenbeißen, für die Beleidigungen, die wir einstecken mussten, die Niederlagen, die wir verantworten. Sie sind für all die Zeiten, wo wir reagiert haben und alleine standen, weil unser Tod und unsre Wut in kein Schema passten, keine Wähler bringen konnten, sich in den Abendnachrichten nicht gut verkauften.

Diese Tage gehören allen Ausgegrenzten, den Menschen mit den schwierigen Namen und den unbekannten Geschichten. Für alle, die täglich sterben, in der Ägäis und im Ebros, für alle, die ermordet werden an den Grenzen oder in der Petrou Ralli, für die Zigeuner in Zefyri, für die Drogensüchtigen in Exarcheia. Diese Tage gehören den Kindern von Messologiou, den ungezähmten Schülern. Dank an Alexis, diese Tage gehören uns allen.

18 Jahre stummer Wut sind genug
Alle auf die Straßen, für Solidarität und Würde
Wir haben nicht vergessen, wir vergessen nicht, diese Nächte sind auch eure
Für Luan, Toni, Mohamed, Alexis …
Treff albanischer Migranten

www.steki-am.blogspot.com