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Den Dampfer verlassen!

01. Mai 2009
Von

Die Krise überwinden: Kapitalismus zerstören!
Flugblatt zum 1. Mai 2009

Nicht nur die aktuelle Medienberichterstattung wird von der Krise beherrscht. Die Krise wütet nicht nur in fernen Ländern. Sie ist nichts Abstraktes. Die Krise ist da, hier und jetzt, spürbar für uns alle. Trotz Obamas charismatischem Lächeln, trotz G20 Gipfeln, trotz vorgeschlagenen und auch angesetzten Regulierungen und staatlichen Eingriffen. Alle Wirtschaftssektoren werden von ihr erfasst. Die Leute werden auf Kurzarbeit gesetzt oder verlieren ihr Lohneinkommen gleich ganz. Die Arbeitslosenzahlen steigen, während der so genannte Lebensstandard sinkt.

Verschiedene Auswirkungen der Krise machen die Irrationalität des Ganzen deutlich. In den USA finden Zwangsräumungen von Häusern statt, worauf diese leer stehen und die Menschen in Zelten leben müssen. Es herrscht also plötzlich ein Wohnungsmangel in einem Land voller leerer Häuser. In der Schweiz werfen die Einkaufsketten Lebensmittel weg, während immer mehr Leute in Caritasläden einkaufen gehen müssen. In Deutschland bietet der Staat den Menschen eine Abwrackprämie, wenn sie ihre alten Autos entsorgen. Darauf sollen sie sich neue Autos kaufen, um die Autoindustrie anzukurbeln. Man könnte auch gleich Baseballschläger verteilen, um die neuen Autos kaputt zu schlagen, damit neue produziert werden können. Der Staat könnte auch Geld im Wald vergraben und wer es findet, darf es behalten. Anders gesagt: unser System gerät in eine Krise, obwohl Bedürfnisse da sind, als auch Mittel um die Bedürfnisse zu befriedigen. Im Versuch, die Krise zu bewältigen, müssen diese Mittel künstlich beseitigt werden und wir sind mal wieder die Verarschten.

Dieser Wahnsinn, so hört man, ging los, weil einige Spekulanten wahnsinnig gierig waren. Doch das ist Augenwischerei: Der Kapitalismus ist ein gesellschaftliches System, das zwingend krisenhaft ist; einen Kapitalismus ohne Krise gibt es nicht und wird es nie geben. Seit seinem Bestehen wird der Kapitalismus von Krisen gebeutelt, in den 1870ern erstmals weltweit. 1929 wieder, die daraus entstandene Grosse Depression konnte erst nach einem gewaltigen Krieg, dem Zweiten Weltkrieg, und durch massive Eingriffe durch den Staat überwunden werden. Durch die Zerstörungen des Krieges und die staatlichen Investitionen wurden die goldigen Jahre des Wirtschaftswunders erst möglich. Diese Jahre zogen sich bis zum Ende der 1960er hin, in unseren Breiten wuchs das Konsumniveau. Doch nun zeigten immer mehr Arbeiterinnen und Arbeiter ihren Unmut darüber, was sie zu leisten hatten: durch die Einführung neuer Arbeitsabläufe wurde die Arbeit immer intensiver und eintöniger. Was als Wohlstandsgesellschaft angepriesen wurde, war nur um den Preis stupider Schinderei zu haben. Während nun der Staat auf der einen Seite das Aufbegehren der Arbeitenden, zum Teil mit roher Gewalt, bekämpfte, wurde er durch diese Kämpfe dazu genötigt, die aufkommende Wirtschaftskrise sozialstaatlich abzufedern. Und dies geschah auf Kredit. Nicht ein Kredit der einzelnen Leute, sondern ein Kredit der Volkswirtschaften. Die Frage, wer die Zeche bezahlt, wurde auf die Zukunft verschoben.

Im Verlaufe der wirtschaftlichen Entwicklung und auch als Reaktion auf Arbeitskämpfe wurde der Produktionsprozess dahin umstrukturiert, dass der Anteil der menschlichen Arbeitskraft immer weiter reduziert wurde. Das führte dazu, dass immer mehr produziert wurde, die Profitraten aber sanken. Deshalb wurde versucht, viel Kapital in den Finanzmärkten zu verwerten, woraus man sich höhere Profite versprach. Das kann kurzzeitig für einzelne Kapitaleigner funktionieren, längerfristig – und das erleben wir heute – geht das jedoch nicht. Kapital wurde investiert, mit der Hoffnung, dass irgendwann in der Zukunft daraus ein Mehrwert entspringen könnte. Die Spekulation mit der Zukunft hatte nun also vom Staat auch auf die Privaten übergegriffen. Und sie ging gehörig den Bach runter. Es kam kein neuer produktiver Zyklus in Gang, welcher den benötigten Mehrwert realisieren konnte. Die ganze Blase platzte. Niemand will sich mehr auf die Zukunft vertrösten lassen, keine Kredite werden mehr gesprochen und der wirtschaftliche Zyklus kommt ins Stocken. Es waren also nicht gierige Spekulanten, welche das System in die Krise brachten, sondern die dem Kapitalismus eigene Spekulation auf die Zukunft, ohne die eine kapitalistische Produktion nie auskommen konnte.

Gegen die Folgen der Krise revoltieren Menschen in weiten Teilen der Welt. Beispiele gibt es genug. In Frankreich werden Manager als Geisel genommen und vor kurzem haben wütende Arbeiterinnen und Arbeiter staatliche Büros verwüstet. In Griechenland lieferten sich Menschen aus verschiedenen Teilen der Gesellschaft tagelange Strassenschlachten mit der Polizei. Vielerorts werden Betriebe, denen die Schliessung droht, einfach besetzt. Dies geschah zum Beispiel in Nordirland in der Nähe von Belfast, wo die Visteon-Fabrik besetzt wurde, oder in Chicaco, USA, wo es um eine Fabrik von Republic Windows and Doors ging. In Italien besetzten Arbeiterinnen und Arbeiter den Innse-Betrieb in der Nähe von Mailand. Die Proteste unterscheiden sich in ihrer Qualität und Grösse von dem, was in den letzten Jahren stattgefunden hat.

Im Moment handelt es sich in den meisten Fällen noch um Abwehrkämpfe, gegen Entlassungen oder wenigstens für einen besseren Sozialplan. Doch wir müssen nicht um Almosen betteln, denn es sind nicht der Patron, der Staat, noch irgendeine unsichtbare Hand, die produzieren. Es sind wir, und wir produzieren genug. Wenn das Kapital gezwungen ist, Produkte zu vernichten, obwohl ein Bedürfnis nach diesen besteht, wenn Menschen in Zelten wohnen müssen, obwohl die Wohnungen leer stehen, ist klar: Der Kapitalismus funktioniert nicht für, sondern gegen uns. Es wird höchste Zeit, dass die ökonomische Krise zur Krise der Klassengesellschaft wird. Statt vor der Krise zu kuschen, dürfen wir nicht zulassen, dass sie auf unserem Rücken ausgetragen wird. Und deshalb müssen wir weiterkämpfen. Denn jeder erfolgreiche Kampf der Arbeiterinnen und Arbeiter wird diese Krise nicht nur weiter zuspitzen. In den Kämpfen liegt auch das Potential der Selbstaufklärung, des Erkennens neuer Möglichkeiten und dem Aufbau neuer Beziehungen unter den Menschen. Es gilt alle Verhältnisse umzustürzen, in denen der Mensch ein verlassenenes, geknechtetes, verächtliches Wesen ist.

Es wurde oft gesagt, eine Gesellschaft, in der nach den Bedürfnissen der Menschen produziert wird – die Assoziation der Freien und Gleichen also, in der jeder und jede genug hat, und die nicht nach einer kapitalistischen Logik funktioniert – so eine Gesellschaft sei von der Idee her zwar nett, könne aber aufgrund der Menschen nicht funktionieren. Diese Aussage ist in den gegebenen Entwicklungen nur noch ein schlechter Witz, als wolle man den sinkenden Dampfer nicht verlassen, weil man annimmt, dass es auf der rettenden Insel nur Streit um das schönste Plätzchen am Strand geben wird. Verlassen wir also den Dampfer!

Für die staaten- und klassenlose Gesellschaft!