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Besetzungsversuche am 20.05 in Berlin

02. Juni 2018

Wir dokumentieren hier einen lesenswerten Kommentar zu den Besetzungen im Rahmen der #besetzen Aktionen am 20. Mai in Berlin. Als erste veröffentlicht im MAGAZIN. Weitere Infos unter #besetzen.

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Am 20.5.2018 wurden in Berlin einige Häuser und Ladenlokale besetzt. Viele zum Schein, aber einige auch mit dem Ziel dort einzuziehen, bzw. einen Stadtteilladen zu eröffnen. Diese Besetzungen waren symbolisch, aber nur deshalb, weil die Bereitschaftspolizei die Besetzer schnell wieder weg geprügelt hat und man das natürlich schon vorher ahnte, da es in Berlin so üblich ist. Politisch verantwortlich für die schnelle Räumung ist irgendwie eine Koalition aus SPD, Grünen und der Linken, also Politiker, die gerade mit der Mietproblematik für sich geworben haben. Folgerichtig eiert die Partei Die Linke zusammen mit den Grünen herum, wie etwa Katina Schubert, anscheinend Landesvorsitzende der Linken: „Wenn also Wohnungen, die zum spekulativen Leerstand genutzt werden, besetzt werden, müssen wir dieses entkriminalisieren, müssen wir sagen, dies ist keine kriminelle Tat, sondern es ist ein Daraufaufmerksammachen, dass Politik dort handeln muss.“ Die Besetzer des Ladens in der Reichenberger Straße haben dagegen gesagt, dass sie „keine einzige Eigentumswohnung“ wollen. Häuser, seien sie zum Wohnen oder für sonstige gesellschaftliche Verrichtungen, sollten „keine Ware sein“. Welch geniale, einer Partei des demokratischen Sozialismus durchaus würdige Übergangsformel: Wenigstens eine besonders präsente Ware wäre man los, der Rest könnte erst einmal so weiter laufen. Aber die Linke schränkt ein, sie ist vielleicht demokratisch, aber sicher nicht sozialistisch. Nur anscheinend besonders böse Formen des Wohneigentums, z.B. spekulativer Leerstand, dürften besetzt werden und das auch nur, um symbolisch auf den Handlungsbedarf der Politik aufmerksam zu machen und vielleicht einen Mietvertrag zu bekommen. Doppelte Verdrehung der Wirklichkeit. Die Besetzer wollten den von ihnen besetzten Raum wirklich und nicht nur zum Schein. Vielleicht hätten sie sich auf ein Mietverhältnis eingelassen, aber das wäre schon ein Kompromiss. Außerdem wollten sie nicht auf einen Handlungsbedarf der Politik hinweisen, sondern auf die Eigentumsfrage. Hier bestünde allerdings Handlungsbedarf und gehandelt haben die Besetzer, soweit es ihren Möglichkeiten entsprach.

Die SPD regiert

Die SPD sieht klarer den Angriff der Besetzer auf Recht und Ordnung, eben auf das heilige Eigentum. Natürlich betont auch Frank Zimmermann, anscheinend innenpolitischer Sprecher der SPD, den „Handlungsbedarf“ der Politik, wenn man auch schon viel getan hätte. Und als die Moderatorin des RBB gönnerhaft einwirft, früher hätten die Hausbesetzer doch die schönen Altbauten gerettet, da nickt und bejaht der Sprecher anerkennend. Ja, früher! Heute aber sei Berliner Linie. „Was Recht ist muss Recht bleiben. Sich zu nehmen, was man glaubt, dass man darauf ein Recht hat, das ist nicht der richtige Weg. Die Berliner Linie hat sich bewährt über die Jahre und sie muss weiter gehen. Zu der Berliner Linie gehört auch, dass natürlich Straftaten verfolgt werden. Damit auch ein Druck entsteht, dass tatsächlich auch die Delinquenten auch eine Sanktion bekommen. Und das war richtig über die Jahre und das sollte weitergeführt werden. Wir leben in einem Rechtsstaat und da muss auch der staatliche Strafanspruch, wenn nötig, durchgesetzt werden.“ (Alle „auch“ im Original.) Auch der Chef von Berlin, er heißt gerade Michael, meldet sich diesbezüglich zu Wort: „Hausbesetzungen sind kein probates Instrument. Sie verletzen Recht und Gesetz. Und das können wir nicht zulassen.“ Law and Order is a labour issue, sagte einst ein Tony Blair, wiederholte einst ein Gerhard Schröder. Welcher Partei gehörte nochmal Gustav Noske an? Also hier hat man jedenfalls den Sinn fürs Eigentum, der bei den Linken fehlt. Das sei wenigstens der Partei die Linke verziehen. Mehr Realismus kommt erst, wenn man wirklich Regierungsverantwortung trägt. Die Linke hat nicht einmal Andrej Holm durchgesetzt und doch gibt sie vor, an der Berliner Koalition beteiligt zu sein. Und man darf es sich nicht mit den Jugendverbänden und den altlinken Kadern verscheißen, da man ohne eine wenigstens etwas aktive Basis nun wirklich nur ein Witz wäre. Die ehrlichen Mitglieder der Jugendverbände sollten natürlich besser aus der Partei austreten und sich den gesellschaftsfähigen Anarchisten anschließen, wie sie durch die individualistischen Besetzungen in Erscheinung treten. Es findet sich bei den dortigen Aktivisten auch viel sozialdemokratisches Zeug - „Keine Rendite mit der Miete“ und so - und so sollte es genug Überschneidungen geben. Dafür gibt es auch eine Prise ehrlichen Studentenanarchismus und vereinzelt sogar ehrlichen Arbeiteranarchismus und wenig Rücksicht auf die Bundespolitik oder auch die Europapolitik. Berlin ist immerhin Reichshauptstadt und Rot-Rot-Grün ein wenig wider die Zeit, da Europa keine linksversiffte Hauptstadt brauchen kann. Man möchte wirklich keine Linkspolitikerin in dieser Gemengelage sein.

Die Ware

Während also die linke Politik von Handlungsbedarf schwadroniert, wissend, dass durch die Besetzung ganz pragmatische Interessen vieler Berliner angesprochen werden, wird doch eigentlich das Eigentum angegriffen. Man hätte diese Wohnungen, das Ladenlokal und selbst die Villa in Potsdam schon genutzt, man wollte diese Immobilien enteignen, der bebaute Raum sollte aufhören, eine Immobilie zu sein. Wir haben gesehen, dass die SPD damit keinen Spaß kennt. Doch was sagt eigentlich die Immobilie selbst dazu? Sie kann leider nicht reden, dafür kann das Ingo Malter von der Wohnungsbaugesellschaft Stadt und Land. Er ist nämlich der Bauchredner der Immobilie und Verwalter der kurzfristig besetzten Wohnungen in der Bornsdorfer Straße 37b. Akelius, Mister Eigentum der Reichenberger 114, hätte es auch nicht besser sagen können. Ingo redete also: „Es ist im Rahmen einer üblichen Verpflichtung einer Geschäftsführung, dass man alles unternimmt im Sinne der des anvertrauten Gutes, dieser Immobilie hier, und auch alle rechtlichen Konsequenzen zieht, wenn solche illegalen Aktionen stattfinden“. Er zieht diese Konsequenzen nicht für den Eigentümer. Nicht doch! Nur den Sinn der Immobilie hat er selbst im Sinn. Und so ist sie, die Immobilie, dieses Wort für den bebauten Raum als Ware: Sie will rechtliche Konsequenzen. Ingo Malter, dem die Sorgen der Ware in diesem Fall anvertraut sind, erledigt das an ihrer Stelle, kommt der Immobilie zur Hilfe. Er macht das natürlich auch für den Eigentümer und sei dieser der Staat, aber seit Marx wissen wir, dass die bürgerliche Welt verkehrt ist und der Eigentümer sich zu Recht nur als Agent des Kapitals wähnen kann. Er dient dem Kapital, indem er Kapital wird, gut bezahltes Kapital quasi. Er ist die Ware mit Mund und Hirn, er ist Mund und Hirn der Ware. Wichtiger als dieser oder jener Eigentümer ist dabei das Eigentum selbst. Eine Wohnung könnte man auch abschreiben, aber das Exempel einer Enteignung kann man nicht dulden, da es ja nur zu verlockend wäre. Also statuiert man ein Exempel. Berliner Linie.

Ablauf vor der Reichenberger Strasse 114

Die neuen und selbsternannten Nutzer des Ladenlokals in der Reichenberger 114 waren friedlich im landläufigen Sinne. Betont friedlich sogar, weil man als gesellschaftsfähiger Anarchist einige Sympathie der Umgebung braucht und auch weil man sich der staatlichen Übermacht bei diesem Kräfteverhältnis schlechterdings nicht erwehren kann und jeder echte Widerstand hier momentan zwecklos wäre. Man hat also ein improvisiertes Straßenfest gefeiert, veganes Essen ausgepackt und die ganze Zeit irgendwas durch einen Lautsprecherwagen geredet. Für den rechtlichen Rahmen und zur Verdeutlichung der absoluten Friedfertigkeit wurde eine Kundgebung vor dem Nachbarhaus angemeldet und man gab sich als Unterstützer der unsichtbaren wirklichen Besetzer aus. Einige Kinder haben gespielt und es war ganz gutes Cornern. Gewalttätig waren die Bullen. Sie kamen mit zig Wannen und hielten sich zunächst zurück. Dann gab es einen Testlauf, eine Maßnahme, wie es im Deutsch des Maßnahmenstaats heißt. Ein Transparent gegen Polizeigewalt versperrte der Polizei die Sicht und so rückte sie an, setzte sich durch und zog sich wieder einige Meter zurück. Dann hat ca. zwei bis drei Stunden später Mister Eigentum (Akelius mit beschränkter Haftung) den Wunsch seiner Immobilie ausgesprochen. Ihr Wunsch war, dass sich einige Schläger in Bewegung setzen, um unter dem süffisanten Grinsen des Einsatzleiters (sollte eigentlich „Maßnahmenleiter“ heißen) die jungen Anarchisten oder wer da auch immer im Weg stand mit Pfefferspray einzusprühen, sie zurück zu drücken und zurück zu treten, oder um einige einander einhakende Menschen einfach um zu boxen. Es gab immerhin eine Matratze als spärlichen Schutz für unsere Heldinnen und Helden. Das ganze war eine Farce und im eigentlichen Sinne stark übertrieben. Aber es war eine Maßnahme. Eben ein Exempel, damit nicht mehr Leute auf dumme Flausen kommen. Eben die Berliner Linie. Die Ware duldet keine Ausnahme, dazu ist ihr Prinzip zu sehr gegen die Menschheit gerichtet. Und aus der Sicht der Ware ist ihre Enteignung Gewalt. Die Staatsgewalt hingegen stellt den Frieden der Ware wieder her. Das war es eigentlich auch schon.

Pseudofazit

Der RBB behauptet: „Die Koalition ist nach der Räumung gewaltig ins Rumpeln geraten“. Dabei ist sie das so wenig wie durch die Holm-Geschichte. Die Zeitung Welt frohlockt: „Der Klassenkampf ist zurück“. Dabei entspricht dieses Wort eher den Vorgängen in Frankreich, als der Aktion einiger Aktivisten und ihrer Sympathisanten in Berlin. Es handelte sich hier einfach um einen misslungenen Versuch der exemplarischen Enteignung. Mehr nicht. Aber auch nicht weniger. Die Fähigkeit sich informell zu koordinieren und plötzlich an verschiedenen Orten zu sammeln war nicht schlecht und der Sinn solcher Nadelstiche besteht zunächst auch nur darin, die Frage des Eigentums überhaupt zu stellen. Solche Infragestellung des Eigentums ist politisch, nicht individuell gesehen momentan sogar wichtiger als ein reales Wohnprojekt, da letzteres als solches mehr oder weniger nett sein kann, aber schlechterdings nicht das Problem mit der Miete für all die Anderen löst. Dazu war es ein schöner Tag. Und ein kurzes Rauschen im (lokalen) Nachrichtenstrom.