Über die Kommunisierung und ihre Theoretiker

23. August 2012

Irgendwer im Frankreich der 1970er Jahre erfand das Wort communisation, zu Deutsch Kommunisierung, um einen ziemlich einfachen, aber wichtigen Gedanken auszudrücken: Die proletarische Revolution ist nicht die Selbstverwirklichung des Proletariats, sondern seine Selbstaufhebung. Das ist einerseits ein alter Hut, da man diesen Gedanken bereits in einer polemischen Schrift aus dem Jahr 1845 findet.1 Andererseits spielte er in der Arbeiterbewegung nie eine Geige, genauer gesagt war er bestenfalls ferne Zukunftsmusik. Was auf dem Programm stand, war die Eroberung der politischen Macht durch das Proletariat, das zunächst in einer sozialistischen, noch von Warenproduktion und strikter Bemessung des individuellen Anteils am gesellschaftlichen Reichtum geprägten Übergangsgesellschaft die Grundlagen des Kommunismus schaffen sollte, also einer klassenlosen Gesellschaft, in der es kein Lohnsystem, kein Proletariat mehr gibt. Der Begriff Kommunisierung drückt die Antiquiertheit dieser Vorstellung aus. Kommunismus ist demnach kein fernes Ziel, sondern die Bewegung selbst, die jegliche Tauschbeziehungen und den Staat liquidiert. Wie aus den 28 Thesen zur Klassengesellschaft hervorgeht, teilen wir diese Perspektive, nach Dafürhalten eines französischen Theoriezirkels allerdings in halbherziger, letztlich doch einer »Affirmation des Proletariats« das Wort redenden Weise, was im Folgenden zu prüfen ist.

 

 

Die Zeitschrift Théorie Communiste (TC), in den 1970er Jahren aus dem rätekommunistischen Milieu hervorgegangen und seit einer Weile Gegenstand lebhafter Debatten zwischen einigen über den Globus verstreuten Zirkeln, zeichnet sich vor allem dadurch aus, die Perspektive der Kommunisierung strikt zu historisieren. In ihrer Lesart stützten sich nicht nur die hegemonialen Strömungen der alten Arbeiterbewegung – westlicher Reformismus und Bolschewismus –, sondern auch die linksradikalen Dissidenten noch bis in die 1970er Jahre auf eine positive Arbeiteridentität; ihre Vorstellungen von Kommunismus liefen immer darauf hinaus, dass sich der Pol der Arbeit als Prinzip der neuen Gesellschaft setzt. Diesem als »Programmatismus« bezeichneten Zug rechnet TC auch Selbstorganisation und Arbeiterautonomie zu, wie sie von Linksradikalen der Vergangenheit hochgehalten wurden. So wird etwa die Situationistische Internationale als Phänomen eines historischen Übergangs gedeutet: Avanciert darin, für die Selbstabschaffung des Proletariats einzutreten, einer zur Neige gehenden Epoche aber darin verhaftet, diese Selbstabschaffung durch Arbeiterräte bewerkstelligen zu wollen. Erst mit der Umstrukturierung ab den 1970er Jahren – grob gesagt all dem, was heute Schlagworte wie Prekarisierung, Postfordismus, Neoliberalismus und Globalisierung beschreiben und von TC als »zweite Phase der reellen Subsumtion« bezeichnet wird – kommt diese Phase des Klassenwiderspruchs an ihr Ende. Mit dem Verschwinden jeder positiven Arbeiteridentität wird die wirkliche Abschaffung des Kapitalverhältnisses denkbar. TC behauptet nicht, dass frühere Revolutionäre irgendwelche »Fehler« gemacht hätten. Ihre Vorstellungen von Revolution und Kommunismus waren der damaligen Gestalt des Widerspruchs zwischen Kapital und Proletariat adäquat und sind es heute nicht mehr. Heute treten die Akkumulation des Kapitals und die Reproduktion der Klasse auseinander; die Klasse findet in der kapitalistischen Entwicklung keine Bestätigung mehr; in ihren Kämpfen tritt hervor, dass sie außerhalb des Kapitalverhältnisses nichts ist; Klasse zu sein, ist nur noch ein äußerlicher Zwang. Damit eröffnet sich erstmals die Möglichkeit der Selbstabschaffung des Proletariats.

 

 

Um diese Historisierung wird unter Freunden der Kommunisierung seit Jahren gestritten. Die deutlichste Gegenposition beziehen Gilles Dauvé und Karl Nesic: »Die Verwirklichung des Kommunismus unterscheidet sich natürlich je nach dem historischen Augenblick, aber sein eigentlicher Inhalt bleibt der gleiche: ob 1796 und 2002. Wenn die ›Natur‹ des Proletariats, so wie Marx sie theoretisch fasste, gegeben ist, dann hängt das subversive Moment in der proletarischen Existenz nicht von den aufeinander folgenden Formen ab, die diese Existenz im Lauf der kapitalistischen Entwicklung annimmt.«2 Dauvé und Nesic werfen TC Determinismus vor; TC wirft Dauvé und Nesic Mangel an geschichtlichem Denken vor.3

 

 

So auch uns. Tatsächlich ist in den 28 Thesen an einer Stelle von der Revolution und den miserablen Bedingungen die Rede, die sie in Russland 1917 vorfand, und tatsächlich schreiben wir, dass »die Klassenkämpfe einen anderen Ausgang hätten nehmen können«. Anstatt jedoch darüber zu spekulieren, fahren wir fort: »Aber der Blick auf die Geschichte ist zwangsläufig von deren weiterem Verlauf geprägt, in dem die Dialektik von Repression und Emanzipation nicht zum Stillstand gekommen ist«. Die gesamten Thesen sind ein Plädoyer gegen Nostalgie, wie bereits daran deutlich werden müsste, dass wir den seinerzeit avanciertesten Entwurf, den der Rätekommunisten, als »Selbstverwaltung der Warenproduktion« charakterisieren, deren Abschaffung erst um 1968 in den Blick gerät, »was sich schlicht dem höheren Grad kapitalistischer Vergesellschaftung verdankt, die nun unmittelbar in den Kommunismus umschlagen kann« – also ohne eine sozialistische Übergangsphase aus Blut, Schweiß und Tränen –, und entsprechend unzweideutig heißt es über Marx‘ Programm der Eroberung der Staatsmacht: »All das ist Geschichte.« Wenn sich TC darüber mokiert, dass wir eben den Canne-Meijer, dessen Arbeitsstundenzettel wir ablehnen, mit der Kommunisierung in Verbindung bringen, übersehen sie, dass wir bei Canne-Meijer nur einen bestimmten, durchaus modernen Gedanken hervorheben, nämlich dass in den Kämpfen selbst – und nicht nach erfolgreicher Machteroberung – neue gesellschaftliche Beziehungen entstehen. Kurz, wenn TC in einen Text, der von nichts anderem handelt als dem historischen Wandel der Klassengesellschaft und der Versuche ihrer Überwindung, ein »gleichbleibendes Wesen der Revolution« hineinlesen; wenn sie darin eine revolutionsromantische Verklärung der Arbeiterautonomie der 1960er und 1970er Jahre entdecken, wo es doch über die damalige »wirkliche Bewegung der Lohnabhängigen« heißt, sie hätte »wenn schon nicht alles, dann doch wenigstens mehr Lohn und weniger Arbeit« gewollt und ihre »Autonomie« habe darin bestanden, »wild zu streiken – oder mit der Gewerkschaft, aber ohne Rücksicht auf Verluste«; wenn sie den »Gegensatz von Selbstorganisation und Stellvertretertum« als unser Leitmotiv ausmachen, obwohl wir einen solchen Gegensatz selbst »einer gewissen linksradikalen Mythologie« zurechnen, dann verfehlen sie unsere Überlegungen ums Ganze.

 

 

Die wirklichen Differenzen liegen anderswo. Sie betreffen den Begriff der Produktion; den Charakter der heutigen Klassenauseinandersetzungen; und das Verhältnis von Theorie und Kämpfen. Wir versuchen, unsere Gedanken hierzu etwas zu präzisieren und zu zeigen, warum uns die Positionen von TC recht nah am Obskurantismus gebaut scheinen.

 

 

Zur Produktion des Kommunismus

 

 

Kaum ein Gedanke aus der Marxschen Theorie gilt heute als so anrüchig wie der, dass die Arbeit eine »ewige Naturnotwendigkeit« sei. Vor dem geschichtlichen Hintergrund des Staatssozialismus und Kommunistischer Parteien im Westen, die die Arbeiterklasse zu verstärkter Schufterei antrieben, wird er offenbar als Apologie des Bestehenden gelesen: Gegen Naturnotwendigkeiten kann man nicht rebellieren. Seit ein paar Jahrzehnten hat so die »Kritik der Arbeit« in unterschiedlichen, teils gegensätzlichen Spielarten Auftrieb gewonnen, die sich jedoch meist im Kreis drehen und so am Ende den Schluss nahelegen, dass Marx‘ Kritik der politischen Ökonomie selbst die vernünftigste Kritik der Arbeit enthält, oder anders gesagt, dass die existierende Form der Arbeit selbst ihre radikalste Kritikerin ist. Die inkriminierte Formulierung dient gerade nicht dazu, gesellschaftliche Verhältnisse zu naturalisieren, sondern soll sie im Gegenteil überhaupt erst begreifbar machen. Marx kritisiert die Arbeit in dem Sinn, dass er an ihr eine Unterscheidung trifft, ihren Doppelcharakter als warenproduzierende, das heißt Gebrauchswert und Tauschwert setzende Arbeit hervorhebt. Er verstand dies als den »Springpunkt«4 der Kritik der politischen Ökonomie, weil darin in Keimform alle Widersprüche der bestehenden Produktionsweise angelegt sind.

 

 

Die sozialistische Arbeiterbewegung nahm nicht den Doppelcharakter der Arbeit ins Visier, sondern zog gegen den »Widerspruch von gesellschaftlicher Produktion und privater Aneignung« zu Felde. Der Skandal, an dem sie sich entzündete, war der schreiende Gegensatz zwischen arbeitenden Armen und nicht-arbeitenden Reichen; gegen die bürgerliche Gesellschaft mobilisierte sie deren ureigene, von dieser gegen den parasitären Feudaladel gerichtete Maxime, dass sich Reichtum auf Arbeit zu gründen habe. Ihre Kritik galt dem Kapitalisten, der von fremder Arbeit lebte; ihr Sozialismus sollte das bürgerliche Leistungsprinzip verwirklichen: »Jeder nach seinen Fähigkeiten – jedem nach seinen Leistungen.« Bei allem Elend, welches das Fabriksystem den Arbeitern bescherte, stellte sich die große Industrie als gewaltiger Fortschritt gegenüber vormodernen Produktionsformen dar. Sie befand sich nur in den falschen Händen, war also den eigennützigen Kapitalisten zu entreißen und unter der Obhut des Staates dem Wohle aller dienstbar zu machen. An der konkreten Gestalt des Arbeitsprozesses hatte die Arbeiterbewegung einiges auszusetzen, doch die gesellschaftliche Form der Arbeit als warenproduzierende stand nie zur Debatte, sondern sollte lediglich durch den Staat bewusst geregelt werden. Insofern war der Staatssozialismus im Osten ihr legitimes Kind, und ihre Kritik machte sich folgerichtig – wie sich vor allem am Trotzkismus zeigen ließe – fast ausschließlich seinem politischen Despotismus, dem Rückfall hinter bürgerlich- demokratische Freiheitsrechte, so gut wie nie aber am Charakter seiner Ökonomie fest.

 

 

Die Arbeiterbewegung trat für eine Welt der Arbeit nicht aus Begeisterung für stumpfsinnige Plackerei, sondern aus schlichter Notwendigkeit ein; der technische Fortschritt und die Ausweitung des Arbeitszwangs auf alle Mitglieder der Gesellschaft hatten die Verkürzung des Arbeitstages zum Ziel. Linke Sozialhistoriker haben immer wieder zu Recht darauf beharrt, dass Klassenkampf und Arbeiterbewegung, das Verhalten der Arbeiterinnen und die offiziellen Programme ihrer Organisationen, zwei paar Schuhe waren. Die Kluft zwischen Arbeiterführern, die zu Produktionsschlachten aufrufen, und Arbeiterinnen, die der Arbeit wo immer möglich entfliehen, lässt sich vom 19. Jahrhundert über den Spanischen Bürgerkrieg bis ins sozialistische Chile unter Salvador Allende aufzeigen. Doch die Gesellschaft insgesamt konnte der Arbeit nicht entfliehen, und sofern die Arbeiter für eine andere Gesellschaft als die existierende eintraten, mussten sie für eine eintreten, in deren Zentrum weiterhin die Arbeit stehen würde.

 

 

Das galt selbst noch für die Dissidenten. Auch die linksradikale KAPD forderte in ihrem Programm von 1920 die »rücksichtslose Durchsetzung des Arbeitszwangs« 5, und während sich der Staatssozialismus der »bewussten Anwendung des Wertgesetzes« rühmte, versuchten die Rätekommunisten in einer umfangreichen Schrift detailliert nachzuweisen, dass sich die diesem Gesetz zugrunde liegende gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit zwecks Überwindung des Marktes auch von den assoziierten Produzenten selbst berechnen lasse. »Die Durchführung der sozialen Revolution ist also im Wesen nichts anderes als die Durchführung der Arbeitsstunde als Maßstab im gesamten Wirtschaftsleben. Sie dient als Maß in der Produktion und zugleich wird mit ihr das Recht der Produzenten auf gesellschaftliches Produkt gemessen.«6 Dieser letzte Punkt war den Verfassern besonders wichtig. Noch nach dem Mai ‘68 wurde eine solche Bemessung von französischen Linksradikalen als Prinzip der Zukunft vertreten.7

 

 

Es ist aufschlussreich, dass Paul Mattick, ehemals Mitglied der KAPD, vierzig Jahre später in einer Einleitung zu der Schrift genau diesen Gedanken als »Schwäche« bezeichnet und mit welcher Begründung er es tut. Die Rätekommunisten der 1930er Jahre hätten eine Phase des Sozialismus skizziert, »in der noch das Prinzip des Austauschs von Äquivalenten vorherrscht«. Diesem rohen sozialistischen Egalitarismus hält er mit Marx »die Abschaffung der Arbeitszeitrechnung in der Verteilung« entgegen, also »die Realisierung des kommunistischen Prinzips ›Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen‹. In den hochentwickelten kapitalistischen Ländern (…) sind die gesellschaftlichen Produktivkräfte weit genug entwickelt, um einen Überfluss an Konsumtionsmitteln zu produzieren. Wenn man bedenkt, dass sicherlich mehr als die Hälfte aller kapitalistischen Produktion und der mit ihr verbundenen unproduktiven Tätigkeiten (ganz abgesehen von den vorhandenen unangewandten Produktionsmöglichkeiten) nichts mit dem menschlichen Konsum zu tun haben, sondern einen �Sinn‹ nur innerhalb der irrationalen kapitalistischen Gesellschaft finden können, dann wird ersichtlich, dass unter den Bedingungen kommunistischer Wirtschaft ein Überfluss an Konsumtionsmitteln erzeugt werden kann, der eine Berechnung individueller Anteile überflüssig macht.«8

 

 

Wie bei jedem Versuch einer historischen Periodisierung lässt sich auch in diesem Fall nicht auf Jahr und Tag angeben, wann dieser Punkt erreicht wurde. Im Rückblick auf gut zweihundert Jahre kommunistische Theorie kann aber festgehalten werden, dass das, was sich Marx, ausgehend von den historischen Tendenzen der kapitalistischen Produktionsweise »in ihrem idealen Durchschnitt«, als ferne Zukunft darstellte, irgendwann nach dem Zweiten Weltkrieg als greifbare Möglichkeit erschien: die Abschaffung der Warenproduktion und eine völlige Umwandlung des materiellen Lebensprozesses der Gesellschaft. Loren Goldner hat diesen Zeitraum als »Grundrisse-Stadium des Kapitalismus« bezeichnet, in dem die wissenschaftliche Arbeit, die unter anderem die Automatisierung mit sich bringt, direkt vom Kapital angeeignet wird.9 Vor diesem Hintergrund spekulierte Herbert Marcuse 1967 darüber, ob die Marxsche Unterscheidung zwischen dem Reich der Freiheit und dem Reich der Notwendigkeit anachronistisch geworden, ob nicht inzwischen die Möglichkeit gegeben sei, »das Reich der Freiheit im Reich der Notwendigkeit erscheinen zu lassen, in der Arbeit und nicht nur jenseits der (notwendigen) Arbeit«. Die in den Grundrissen antizipierte Tendenz, die physische Arbeit aufs Äußerste zu verringern, ermögliche einer befreiten Gesellschaft das »Spiel mit den Möglichkeiten der menschlichen und außermenschlichen Natur als Inhalt gesellschaftlicher Arbeit«. Wenn Marcuse »die Konvergenz von Technik und Kunst und die Konvergenz von Arbeit und Spiel« ins Auge fasste, verwies er damit zugleich auf eine Tradition der Kritik der Arbeit, die bis in den Deutschen Idealismus und zu Charles Fourier und Paul Lafargue zurückreicht. Auf dem damaligen Stand der Produktivkraftentwicklung konnte sich eine solche Kritik jedoch notwendigerweise nicht in der Arbeiterbewegung verallgemeinern, sondern musste, bis weit ins 20. Jahrhundert hinein, deren utopisch-idealistische Begleitmusik bleiben. Materialistisch grenzte sich Marcuse deshalb auch von »einer romantischen Regression hinter die Technik« ab, da »die möglichen und befreienden Segnungen der Technik und Industrialisierung überhaupt erst sichtbar und wirklich werden können, wenn die kapitalistische Industrialisierung und die kapitalistische Technik beseitigt sind«.10

 

 

Die Grenze der Freiheit, des Spiels, wird von der äußeren Natur gezogen, die eben nicht in beliebiger Weise umzuformen ist, da sich das zweckgerichtete menschliche Tun, die Arbeit, ihr als einer äußeren Objektivität anpassen muss. Nennt man die Arbeit lieber »produktive Tätigkeit«, hat man nicht den Sachverhalt, sondern nur seine Bezeichnung geändert. Marcuses Überlegungen sind insofern materialistisch, als sie die Möglichkeit einer Versöhnung von Arbeit und Spiel, von zweckgerichtetem Tun und freier Betätigung, aus nichts anderem herleiten als den Resultaten der bisherigen Naturbeherrschung, wie sie sich unter der Fuchtel des Kapitals entwickelt hat; er tut dies zudem mit großer Vorsicht, wenn er festhält, »dass die Arbeit als solche nicht abgeschafft werden kann«, sie von der heutigen allerdings sehr verschieden sein könne, so dass »die Konvergenz von Arbeit und Spiel nicht zu weit von den Möglichkeiten wegführt«11. Wenn wir in den Thesen schreiben, die Revolution werde das Reich der Notwendigkeit nicht zwangsläufig »in nichts als Spiel und Wohlgefallen« auflösen, dann als Erinnerung an die Grenzen, auf die der Versuch einer solchen Auflösung immer wieder stoßen wird, also als Anerkennung der Natur und der Notwendigkeit einer Vermittlung mit ihr. Insofern scheint uns eine gewisse Vorsicht gegenüber einer Kritik der Arbeit geboten, die sich daran entzündet, dass die Tätigkeit der Arbeit sich nicht selbst Zweck ist, sondern auf einen außerhalb ihrer selbst liegenden bezogen ist.

 

 

Diesseits aller Spekulation über die Versöhnbarkeit oder unüberbrückbare Differenz von Arbeit und Spiel liegt die Kritik der gesellschaftlichen Form der Arbeit. Der historische Abstand zur sozialistischen Arbeiterbewegung lässt sich auch so charakterisieren, dass nicht der »Widerspruch zwischen gesellschaftlicher Produktion und privater Aneignung«, sondern der Widerspruch in der warenproduzierenden Arbeit selbst – der zwischen Reichtumsproduktion und Verwertung – auszutragen wäre. TC hat von diesem Widerspruch offenbar keinen Begriff, weil bereits die herrschende Form der Arbeit und damit der Wert unbegriffen bleibt. Unsere Charakterisierung dieser Form als einer gesellschaftlich-ungesellschaftlichen wird als Reprise des »philosophischen Kommunismus der 1840er Jahre« missverstanden und zurückgewiesen: »Man muss klar herausstellen, dass die Arbeit als Produzentin von Wert, genauer: als Verwertung von Kapital, als Arbeitsteilung sowie als Warenproduktion, gesellschaftlich ist. Diese Vergesellschaftung bedarf überhaupt keiner ›wirklichen Gesellschaftlichkeit‹, um als widersprüchliche zu erscheinen, allerdings besteht der Widerspruch zwischen den Klassen.« Den Widerspruch zwischen den Klassen gegen den innerhalb der warenproduzierenden Arbeit auszuspielen, heißt gerade das Entscheidende an ihm zu übersehen.

 

 

Klassen, Mehrarbeit, Ausbeutung sind uralt. Was dem modernen Klassenverhältnis seine Dynamik und seine Sprengkraft verleiht, ist die Tatsache, dass die Proletarierinnen den Reichtum in einer widersprüchlichen, krisenhaften und dergestalt über sich hinausweisenden Form produzieren: Wachsender stofflicher Reichtum ist gerade nicht gleichbedeutend mit wachsendem Wert.12 Was die moderne Lohnarbeiterin vom Sklaven oder Leibeigenen unterscheidet, ist, dass sie sich mit ihrer Arbeit beständig selbst überflüssig zu machen droht. Diese Widersprüche sind in Keimform in der Ware enthalten, und die warenproduzierende Arbeit ist nur in dem banalen Sinn gesellschaftlich, in dem jenseits der Robinsonaden der politischen Ökonomen alle Arbeit gesellschaftlich ist. Was sie nämlich auszeichnet, ist dies: »Gebrauchsgegenstände werden überhaupt nur Waren, weil sie Produkte voneinander unabhängig betriebner Privatarbeiten sind. Der Komplex dieser Privatarbeiten bildet die gesellschaftliche Gesamtarbeit. (…) die Privatarbeiten betätigen sich in der Tat erst als Glieder der gesellschaftlichen Gesamtarbeit durch die Beziehungen, worin der Austausch die Arbeitsprodukte und vermittelst derselben die Produzenten versetzt. Den letzteren erscheinen daher die gesellschaftlichen Beziehungen ihrer Privatarbeiten als das, was sie sind, d.h. nicht als unmittelbar gesellschaftliche Verhältnisse der Personen in ihren Arbeiten selbst, sondern vielmehr als sachliche Verhältnisse der Personen und gesellschaftliche Verhältnisse der Sachen.«13 Angesichts dessen heißt es die Sache auf den Kopf stellen, wenn die »Vergesellschaftung der Arbeit und der Produktionsmittel« als »A und O der Affirmation des Proletariats« zurückgewiesen wird. Wenn das Proletariat die Klasse ist, die von den Produktionsmitteln getrennt, auf die nackte Subjektivität eines Arbeitskraftbehälters reduziert ist, der nur überleben kann, indem er seine Lebenszeit an das Kapital verkauft, dann kann seine Selbstabschaffung in gar nichts anderem bestehen, als sich dieser Produktionsmittel zu bemächtigen.

 

 

Bei TC, so scheint uns, hat sich jeder materialistische Begriff von Produktion verflüchtigt, was ein merkwürdiges Nebeneinander von Nihilismus und Romantik nach sich zieht: Nihilismus gegenüber der heutigen Welt und Romantik mit Blick auf den Kommunismus. Kommunismus ist nicht länger die bestimmte Negation der Gesellschaft, sondern das reinste Wunder. Das beginnt mit dem Unverständnis gegenüber der Auffassung, »dass die �Notwendigkeit‹ die Klassengesellschaft hervorbringt und nicht die Klassengesellschaft die ›Notwendigkeit‹«, so als sei es ein irgendwie abwegiger Gedanke, dass am geschichtlichen Ursprung der Klassenspaltung der Drang stand, die Naturnotwendigkeit der Arbeit auf andere abzuwälzen. Denn Natur hat in diesem Denken grundsätzlich keinen Platz. So wird auch die Arbeit nicht als Vermittlung zwischen Menschen und Natur gefasst, die immer in einer bestimmten gesellschaftlichen Form vonstatten geht, sondern nur als soziales Verhältnis: »Die Produktion wird [in den 28 Thesen] als Notwendigkeit vorgestellt, sicherlich lästig, aber dennoch neutral und objektiv, ausgeführt durch eine ebenso neutrale und objektive Tätigkeit, die Arbeit. Diesen Fluch gilt es lediglich zu verringern. Doch stellt die Arbeit, ganz wie die Produktivkräfte, ein soziales Verhältnis dar. Es geht nicht darum, es zu verringern, sondern es abzuschaffen.« Dass diese Abschaffung, die auf die Umbenennung der Arbeit in »produktive Tätigkeit« und ihr »leidenschaftlich werden« hinausläuft, vielleicht nicht ohne weiteres möglich ist, wird in einem kurzen Moment der Nüchternheit eingeräumt und sofort wieder zurückgenommen: »Vielleicht werden die produktiven Tätigkeiten in ihrer Gesamtheit nicht von ›heute auf morgen‹ leidenschaftlich, allerdings ist sicher, dass der Kommunismus nicht als Nebeneinander zweier unterschiedlicher Sphären vorstellbar ist. Es ist unmöglich, dass im Kommunismus manche Tätigkeiten als leidenschaftslose weiter bestehen, während andere diesen Charakter abgestreift haben werden.« Die beiden Sätze widersprechen sich in so eklatanter Weise, dass sie auf eine Quadratur des Kreises hinauslaufen; das Ergebnis ist Wunschdenken und beliebiges Dekretieren. Die Ironie – der eingangs erwähnte Zirkel, in dem sich die heutige �Kritik der Arbeit‹ bewegt – besteht darin, dass die Rede vom »leidenschaftlich werden« aller »produktiven Tätigkeiten« der Sache nach nichts anderes beschreibt als einen Zustand, in dem »die Arbeit nicht nur Mittel zum Leben, sondern selbst das erste Lebensbedürfnis geworden«14 ist, ein Satz, der allen Freunden der Kommunisierung vermutlich die Haare zu Berge stehen lassen würde. Sprachspielereien dieser Art, Kern der heutigen »Kritik der Arbeit«, führen schnurstracks in eine heillose Begriffsverwirrung.

 

 

Was die Sphären betrifft, so ergibt sich das Ende ihrer Trennung aus dem der Lohnarbeit. Die Grenze zwischen der Ökonomie, einer blind wirkenden Gesetzmäßigkeiten unterworfenen Sphäre, und allen anderen Lebenssphären fällt mit der zwischen Lohnarbeit und Freizeit zusammen. Schaffen die Proletarier die Lohnarbeit und damit sich selbst als Klasse ab, indem sie sich der Mittel zur Produktion ihres Lebens bemächtigen, verschwände folglich die Ökonomie als eine abgegrenzte Sphäre; analog zur Rücknahme des Staates in die Gesellschaft, von der Marx irgendwo spricht, könnte man auch von einer Rücknahme der Ökonomie in die Gesellschaft sprechen. Eben das meinten wir mit dem Satz, das Reich der Notwendigkeit werde »nicht in seinem heutigen abstrakten Gegensatz zu einem von der Gestaltung der Welt entleerten Reich der Freiheit verharren«. Wenn Marx in der einschlägigen Passage eine »Verkürzung des Arbeitstags« anpeilt, führt dies folglich insofern in die Irre, als es das Fortbestehen zweier klar abgegrenzter Bereiche unterstellt, so dass man glatt den Eindruck bekommen könnte, im Kommunismus werde es noch Stechuhren geben. Die Schwäche von TC und vielen anderen wiederum scheint uns darin zu bestehen, die Gegenposition – für die Abschaffung der Stechuhren – nur gestützt auf das falsche Versprechen eines »Leidenschaftlichwerdens« aller produktiven Tätigkeiten beziehen zu können, den Kommunismus also in recht blauäugiger bis infantiler Weise als das reine Spaßvergnügen auszupinseln, das er sicherlich nicht nur sein wird. Diese Position ist nur das Spiegelbild der erzbürgerlichen Ideologie, aus den unvermeidbaren Unannehmlichkeiten des Lebens die Unvermeidbarkeit von Herrschaft und Zwang abzuleiten. Die frei assoziierten Individuen werden lästige Notwendigkeiten zu regeln haben; wie sie das tun werden, wissen wir auch nicht, sind aber zuversichtlich, dass die Commune nicht an der Frage scheitern wird, wer morgen das Klo putzt. Und sofern es lästige Notwendigkeiten zu regeln gibt, wird selbstredend auch die »Ökonomie der Zeit« (Marx) von Belang bleiben; es ist nicht einzusehen, warum etwa die Herstellung von Kaffeetassen »leidenschaftlich« sein muss, anstatt mit möglichst geringem Zeitaufwand erledigt zu werden. Überhaupt die Freiheit zu besitzen, diese Dinge nach eigenem Ermessen, entsprechend den Bedürfnissen und Fähigkeiten aller Einzelnen zu organisieren, wäre das Entscheidende, wobei die Größe der Aufgabe nicht unterschätzt werden sollte und gewiss Planung erfordert (ein Wort, mit dem man sich unter den meisten Kommunisierern des Stalinismus verdächtig macht, ohne dass sie natürlich angeben können, wie ein paar Milliarden von einander abhängige Individuen in der Lage sein sollten, ihr Leben ohne Planung zu organisieren).

 

 

Auf der anderen Seite verbannt TC aus der Theorie, was kein bloßes Wunschdenken ist, sondern ein Widerspruch der Gegenwart – der Widerspruch von Reichtumsproduktion und Verwertung. Die Unfähigkeit, die kapitalistische Produktionsweise als bestimmte gesellschaftliche Form der Naturaneignung zu denken, setzt sich im Traumbild eines von aller Materialität unbeschwerten Kommunismus fort: »Wenn es wieder Hoffnung auf Anerkennung des ›Müßiggangs‹ geben soll, dann auf der Basis der Entwicklung der ›Produktivität‹ (These 21). Ist das so zu verstehen, dass es für die Gewährleistung jener (des Müßiggangs) diese zu erhalten gilt: die Produktivität?« Ja, ist es. Wie auch sonst? Das Rätsel, wie Müßiggang ohne Produktivität möglich sein soll, löst sich dahingehend auf, dass das schnöde »Haben« im Kommunismus ohnehin nicht von Belang ist, weil es dort um Höheres geht: »Es gilt klar hervorzuheben, dass nicht die Möglichkeit des Überflusses zum Kommunismus befähigt, sondern dass die Produktion des Kommunismus, nicht quantitativ, sondern gesellschaftlich, den Überfluss bestimmt, indem sie die Produktion der Beziehungen zwischen Individuen als Individuen in Mittel und Zweck aller Tätigkeit verwandelt. Durch die Überschreitung der Kategorien des Habens, verschafft der Kommunismus dem Reichtum, der nicht mehr zu messen ist, einen völlig anderen Inhalt.« »Der durch die kommunistische Revolution geschaffene Überfluss ist nicht vom Schlage des Habens, sondern des Zusammenseins, der Gemeinschaft.« Um in kärglichen Gemeinschaften zusammen zu sein, braucht allerdings niemand das Wagnis der kommunistischen Revolution eingehen; dieses Glück lässt sich schon heute finden.

 

 

Wir zitieren diese Passagen deshalb so ausführlich, weil sie nicht irgendeinen Nebenaspekt betreffen, sondern die zentrale Frage, in welchem Verhältnis die befreite Gesellschaft zur bestehenden steht. Wenn an der Debatte über »Kommunisierung« etwas wichtig ist, dann dass sie überhaupt wieder die Frage nach dem möglichen Ausgang der Klassenkämpfe stellt, anstatt es bei deren bloßer Beschreibung in wahllosen Streikberichten zu belassen. Und wenn an ihr etwas richtig ist, dann das Beharren darauf, dass dieser Ausgang nur das Ende des Proletariats, nicht sein Triumph sein kann. Die zitierten Passagen offenbaren jedoch ein Unvermögen, das weit über TC hinaus die Radikalen der Gegenwart kennzeichnet. War der Sozialismus der Arbeiterbewegung kaum mehr als die Fortführung des Bestehenden unter staatlicher Kontrolle, ist der heutige Radikalismus häufig bloßer Scheinradikalismus, weil er am Bestehenden nicht mehr die Potenziale für eine andere Gesellschaft entziffern kann.15 Das Ergebnis ist ein Fetischismus mit negativem Vorzeichen: Was die politischen Ökonomen in apologetischer Absicht tun, geschieht hier in denunziatorischer. So wie aus deren bornierter Sicht jedes Produktionsmittel von Natur aus Kapital ist und Arbeit nur Lohnarbeit sein kann, lassen auch die meisten Kommunisierer die bestimmte gesellschaftliche Form des Produktionsprozesses und dessen materielle Gestalt in eins fallen. Folglich stellt sich ihnen das Abfackeln von Fabriken und anderen Gebäuden als höchster Ausdruck revolutionärer Subjektivität dar, unübertrefflich formuliert von einigen griechischen TC-Anhängern, die die jüngsten Londoner Riots zu einem »historischen Meilenstein« erklärten und im NiederbrWildcatennen von Fabriken durch streikende Arbeiter in Bangladesch einen »Angriff auf ihre eigene Existenz als Proletarier« ausmachten.16 Selbst im banalen Zählen der Dinge, die Proletarier im Zuge eines Aufstands erbeuten und gratis verteilen, wird von manchen Kommunisierern bereits ein Sündenfall gesehen, gehe es doch darum, »die absolute Anti-Planung« zu verwirklichen.17 So sehr TC darauf beharrt, dass der revolutionäre Bruch nur aus den Klassenkämpfen hervorgehen kann, so mystisch ist der Inhalt dieses Bruchs: »Abschaffung der Klassen bedeutet genauso Abschaffung der Tätigkeit als Subjektivität, ebenso wie ihres Produktes in Form eines ihr gegenüberstehenden Produktes. (…) In der Bewegung der Revolution selbst entspinnt sich die Entobjektivierung der Welt.« Anstatt die gesellschaftlichen Formen von Tätigkeit und Produkt, also Lohnarbeit und Ware, zu kritisieren, werden Tätigkeit und Produkt überhaupt verdammt; anstatt die nackte Subjektivität des Lohnarbeiters und die ihm als fremde Macht gegenüberstehende Objektivität des Kapitals zu kritisieren, wird Subjektivität und Objektivität überhaupt der Kampf angesagt, so als könne das gattungsgeschichtliche Hinaustreten der Menschheit aus der ersten Natur anders rückgängig gemacht werden als durch die Auslöschung der Menschheit selbst. Der kritische Gehalt von Formeln wie »Entobjektivierung der Welt« und »Abschaffung der Tätigkeit als Subjektivität« ist gleich null; sie beschwören nur ein ungeschiedenes Ganzes, die reine Unmittelbarkeit, weshalb an anderer Stelle gleich noch die »Abschaffung von Gesellschaft« und das »Ende aller Vermittlung« angekündigt wird.18 So führt die Reise von der Kritik der falschen Vermittlung in die blanke Unmittelbarkeit, von Gesellschaft zu Gemeinschaft, vom Haben zum Sein, von Marx zu Buddha.

 

 

Der »neue Zyklus von Kämpfen«

 

 

Was TC in der internationalen Diskussion gewöhnlich zugute gehalten wird, ist das Bemühen, das Neue an der heutigen Situation herauszuarbeiten und die bisherige Geschichte der Klassenkämpfe als ein unwiderruflich abgeschlossenes Kapitel zu betrachten. Fast alle Radikalen haben ihr Steckenpferd, ihren historischen Fixpunkt, an dem die Arbeiter getan haben, was sie auch heute tun sollten (wobei immer etwas schief gelaufen ist, so dass »Lehren aus der Geschichte« zu ziehen sind, damit es beim nächsten Mal besser klappt): Für Linkskommunisten ist dies vor allem die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, in der es von Westeuropa bis nach Russland ein (nicht immer glückliches) Zusammenspiel von Arbeiterräten und kommunistischen Organisationen gab; für Anarchosyndikalisten der Spanische Bürgerkrieg; für Fans der Situationistischen Internationale der Mai 68; für Operaisten die Fabrikkämpfe der »Massenarbeiter« in den 1960er und 1970er Jahren;19 für die geistig Beweglichen von allem ein bisschen. TC besteht darauf, dass all das gleichermaßen Geschichte ist, die Arbeiterautonomie der 1970er Jahre nicht weniger als die linkskommunistischen und syndikalistischen Unionen der 1920er, weil die Umstrukturierung der letzten Jahrzehnte Arbeitermacht und Arbeiteridentität den Garaus gemacht habe. Diese Umstrukturierung erstreckt sich nicht nur auf den Produktionsprozess, sondern auf das Klassenverhältnis insgesamt: »Die Reproduktion des Kapitals, die sich an einen mehr oder weniger begrenzten nationalen oder regionalen Raum heftete, verliert diesen kohärenten Bezugsrahmen. Der Staat sicherte den Zusammenhalt dieser Reproduktion ab, indem er vom dominanten Pol der wechselseitigen Verstrickung von Proletariat und Kapital ausging (der den anderen subsummiert), er war der Garant dieser Verstrickung, was man als Sicherung des ›sozialen Kompromisses‹ bezeichnete. Das Prinzip dieses Verlusts der Kohärenz gründet in der Spaltung zwischen dem Verwertungsprozess des Kapitals und der Reproduktion der Arbeitskraft. Die Verwertung des Kapitals entflieht ›nach oben‹ in den globalen Zyklus des Kapitals, auf das Niveau der Investitionen, des Produktionsprozesses, des Kredits, des Finanzkapitals, des Marktes, der Zirkulation des Mehrwerts, der Ausgleichung des Profits, des Rahmens der Konkurrenz.

 

 

Die Reproduktion der Arbeitskraft entflieht ›nach unten‹. Im ›besten‹ Fall findet eine Entkoppelung von Lohn und Produktivität statt; der Sozialstaat wird zum einheitlichen und allgemeinen Vor-Käufer der Arbeitskraft auf Minimalniveau und drückt ihren Wert im Fall ihres individuellen Verkaufs. Im schlimmeren Fall: Selbstversorgung, lokale Solidarität, Parallelökonomien. (…) Wo die Interessen der Industrie, der Finanz und der Arbeitskraft räumlich verbunden waren, kann sich eine Trennung zwischen der Verwertung des Kapitals und der Reproduktion der Arbeitskraft durchsetzen. Der Raum der umstrukturierten kapitalistischen Welt ist auf allen seinen Ebenen in �fraktale‹ Zonen unterteilt: Welt, Kontinente, Länder, Regionen, Metropolen, Stadtviertel. Auf jeder Stufe fügen sich verschiedene Zonen ineinander: ein ›überentwickelter‹ Kern; Zonen, die sich um mehr oder weniger dichte kapitalistische Kerne gruppieren; krisenhafte Zonen unmittelbarer Gewalt, die sich gegen den �sozialen Müll‹ richtet; Ränder, Ghettos und eine unterirdische Ökonomie, die von verschiedenen Mafiagruppen kontrolliert wird.«20

 

 

TC fasst diese Situation als doppelte Entkopplung zwischen Verwertung und Reproduktion der Arbeitskraft: als geographisches Auseinandertreten und als Ablösung des Einkommens der Arbeiterinnen vom Lohn durch die Ausweitung der Konsumentenkredite; dadurch ergebe sich eine Krise des Lohnverhältnisses, die sich in einer neuen »Illegitimität der Lohnforderung« niederschlägt. Das Dasein als Arbeiter hat jeden Glanz verloren, findet in der Bewegung des Kapitals keine Bestätigung mehr; es ist nur noch äußerer Zwang. Vor dieser Kulisse sieht TC einen »neuen Zyklus von Kämpfen«, in dem sich – so die endlos wiederholte Formel – die Tatsache, als Klasse zu kämpfen, als Grenze des Klassenkampfs erweise. Verwiesen wird auf Riots ohne Forderungen wie in den Banlieues 2005 und in Griechenland 2008; auf Arbeiter, die bei Betriebsschließungen nicht den Erhalt ihrer Arbeitsplätze, sondern Abfindungen fordern; auf Betriebsbesetzungen, die in keine selbstverwaltete Wiederaufnahme der Produktion münden, sondern in die Zerstörung von Waren und Maschinen; auf Erfahrungen etwa in Argentinien, dass die Selbstorganisation als Arbeiter nur die Trennungen zwischen verschiedenen Sektoren verlängert; auf die Bewegung in Frankreich 2006, die zwar die Rücknahme des CPE-Gesetzes forderte, ohne sich von dieser Forderung viel zu versprechen oder gar zu glauben, durch die Forderung nach Festanstellung für alle eine Verbindung zu den Jugendlichen in der Banlieue herstellen zu können.21

 

 

Wie in den Thesen skizziert, sehen wir im Zermahlen der großen Arbeiterbastionen in den alten Zentren, in Produktionsverlagerungen, Prekarisierung auch »regulärer« Arbeitsverhältnisse, verschärfter globaler Konkurrenz unter den Lohnabhängigen und dem Widerruf des sozialdemokratischen Aufstiegsversprechens ebenfalls die bestimmenden Züge der letzten Dekaden.22 Und anders als in der Replik unterstellt, geht es uns weder um eine Rettung der Arbeiterautonomie der 1960er und 1970er Jahre (deren Ableben im Zuge der Umstrukturierung wir selbst konstatieren), noch erwarten wir »mit Blick auf die Prekären und ›Überflüssigen‹ (…) die Wiedergeburt eines wesensgleichen Akteurs«, zumal wir gar nicht wissen, wie man sich das vorzustellen hat – wie sollten die Prekären und Überflüssigen die Wiedergeburt einer Bewegung zustande bringen, deren Grundlage die große Industrie war? Unsere Behauptung, die »Zukunft der Klasse insgesamt« hänge »von der Fähigkeit der Überflüssigen ab, ihre Situation zum Ausgangspunkt einer allgemeinen Bewegung zu machen«, zielt gerade nicht auf die »Wiedergeburt« irgendeiner verblichenen Bewegung, sondern auf eine historisch neue Situation. Was die globale Konstellation heute unübersehbar nicht nur von der Zeit um 1917, sondern auch den Jahren um 1968 unterscheidet, ist eben nicht zuletzt die in den Thesen erwähnte »gigantische Überschussbevölkerung«, Ergebnis dramatischer Rationalisierungsschübe in der Industrie sowie der »grünen Revolution« im Süden, der bis in die Gegenwart reichenden Proletarisierung der Landbevölkerung (also im einen wie im anderen Fall, aber das nur am Rande, der Produktivkraftentwicklung). Dieses »informelle Proletariat« (Mike Davis) lässt zwar die von Operaisten beschworene »Zentralität der Fabrik« ziemlich alt aussehen, ohne darum jedoch selbst das neue »zentrale Subjekt« darzustellen. An solchen Spielen der Revolutionstheoretiker – die einen befinden die produktive Arbeiterklasse für integriert und richten ihre begehrlichen Blicke auf die Ausgeschlossenen und ihre Brotrevolten; die anderen befinden die Brotrevolten für ohnmächtig und setzen auf die produktive Arbeiterklasse und ihre starken Arme – mögen wir uns nicht beteiligen, und im Übrigen ist die maßlose Überhöhung der Unruhen in den Banlieues zu einem Aufstand »gegen alles, was sie [die Rebellierenden] hervorbringt und bestimmt«23, nicht auf unserem Mist gewachsen, sondern auf dem von TC.

 

 

Wenn auch weitgehend zutreffend, wird das von TC gezeichnete Bild der gegenwärtigen Ära dort schief, wo es dem Heraufbeschwören einer Situation dient, in der den Arbeiterinnen kaum etwas anderes bleibt, als gegen die eigene Existenz als Klasse zu rebellieren. Was andere Trübsal blasen lässt und zu Nostalgie verleitet – die endlose Kette von Niederlagen in den Arbeiterkämpfen der jüngeren Zeit –, gibt in dieser Optik Anlass zur Zuversicht. Und wenn uns nicht alles täuscht, ist es gerade die frohe Botschaft, im neuen Zyklus von Kämpfen stehe bereits die Selbstabschaffung der Klasse auf dem Programm, die die Faszination von TC ausmacht.

 

 

Bereits das Bild der abgeschlossenen Ära, das über weite Strecken dem »Fordismus« der Regulationstheoretiker ähnelt, ist arg stilisiert, damit sich die Gegenwart von ihm umso deutlicher abhebt. Der »Fordismus« war keine geschlossene nationale Veranstaltung: Die ihn tragenden Industrien – die Hersteller dauerhafter Konsumgüter – haben für den Weltmarkt produziert und schon aus diesem Grund die heimische Arbeiterklasse nicht in erster Linie als möglichst gut zu entlohnende Konsumenten betrachtet, sondern wie ehedem als Kostenfaktor. Die steigenden Reallöhne der goldenen Dekaden nach dem Zweiten Weltkrieg waren nicht »optimal«24 für die Verwertung (diese Annahme ist eine linkskeynesianische Legende), sondern mussten von den Arbeiterinnen erstritten werden und konnten es auch, weil die Akkumulation wie geschmiert lief und eine ganze Weile für Vollbeschäftigung sorgte.

 

 

Das ist seit langem passé. Mit der schleichenden Überakkumulationskrise der letzten Dekaden, den eine neue globale Arbeitsteilung ermöglichenden Revolutionen im Kommunikations- und Transportwesen, den Produktivitätssprüngen der digitalen Technologien und der Proletarisierung auf der südlichen Halbkugel ist diese Konstellation zerbrochen. Damit ist die Lage der Lohnabhängigen in den alten Metropolen prekärer geworden – allerdings mit erheblichen Unterschieden von Land zu Land: Deutschland etwa ist weitaus weniger »postfordistisch« als Großbritannien oder die Vereinigten Staaten, die Kernbelegschaften der starken Exportindustrien konnten sich hier einigermaßen behaupten –, doch das Bild einer globalen Abwärtsspirale von Löhnen und Arbeitsbedingungen ist falsch. So sehr die Arbeiterinnen den neuen globalen Lohndruck zu spüren bekommen, so sehr sind die in den neuen Boomzonen mitunter in der Lage, dem Klassengegner etwas abzuringen. Es scheint ziemlich gewagt, von einer generellen »Illegitimität der Lohnforderung« auszugehen, wenn selbst der Economist der chinesischen Arbeiterklasse alles Gute beim Lohnkampf wünscht, um die Ungleichgewichte in der Weltwirtschaft auszubalancieren, und in den Kämpfen dort seit Neuestem die Forderung nach freien Gewerkschaften die Runde macht.25 Natürlich stellen die großen Arbeiterkonzentrationen in Indien oder in China »keine Wiederkehr dessen dar, was im ›Westen‹ verschwunden ist – eines gesellschaftlichen Systems, das (…) die Arbeiteridentität bestimmte und sich in der Arbeiterbewegung ausdrückte«, schon weil sich historische Formationen nie irgendwo verabschieden, um andernorts als originalgetreue Repliken wieder aufzutauchen. Aber mit einem simplen Katastrophismus, der bereits durch die Lohnentwicklung in den nachholenden Regionen widerlegt wird, ist dem Begreifen der heutigen Klassenrealität kaum gedient. Für nicht wenige Proletarierinnen etwa in China, Indien, Brasilien verbindet sich mit dem Kapitalismus weiterhin, oder überhaupt zum ersten Mal, das Versprechen auf ein besseres Leben, wenigstens eines, das nicht so karg und eintönig ist wie das auf dem Land, von wo aus sie nicht von ungefähr in die neuen Metropolen drängen. Offenbar ziehen diese Leute dem Zusammensein in der Dorfgemeinschaft einen Reichtum vom Schlage des Habens vor.

 

 

Das Bemühen von TC, die unterschiedlichsten Kämpfe auf dem Globus auf den Nenner eines »neuen Zyklus« zu bringen, in dem sich die Selbstabschaffung der Klasse ankündigt, ist wiederum von Wunschdenken geprägt und läuft auf eine erzwungene Konstruktion hinaus, auf ein fixes System, in das die Wirklichkeit gequetscht wird; was partout nicht hineinpasst, bleibt ausgeblendet. So wenig es beispielsweise stimmt, dass Lohnkämpfe nirgends mehr Erfolg haben, so wenig hat die Forderung nach Abfindungen heute generell die nach Erhalt bedrohter Betriebe abgelöst. Anstatt den disparaten Kämpfen durchweg eine gemeinsame historische Tendenz anzudichten, wären sie gerade in ihrer Unterschiedlichkeit als Ausdruck eines bestimmten Moments zu fassen.

 

 

Die These, wir befänden uns gegenwärtig in einer Krise des Lohnverhältnisses und der Widerspruch zwischen Kapital und Proletariat sei nun auf der Ebene der Reproduktion der Klassen selbst angesiedelt, schießt über das Ziel hinaus. Durch den normalen Gang der Geschäfte, das alltägliche Lohnarbeiten, wird das Klassenverhältnis beständig neu hergestellt. Indem sie ihr eigenes Leben reproduzieren, reproduzieren die Proletarierinnen das Kapital und ihre Abhängigkeit von ihm. Wird das Leben der Arbeiter prekärer und nimmt die Masse der Überflüssigen zu, ist das schlecht für die Menschen, aber unerheblich für das Kapital, dessen Fortbestand nicht von allgemeiner Menschheitsbeglückung abhängt. Eine Krise des Lohnverhältnisses, verstanden nicht als Dauerkrise der proletarischen Existenz, sondern als historischer Scheidepunkt, wäre erst dann gegeben, wenn die Proletarisierten Anstalten machen, dieses Verhältnis zu überwinden. Streng genommen besagt die Zauberformel, dass »die Tatsache, als Klasse zu kämpfen, die Grenze des Klassenkampfs bestimmt«, beziehungsweise dass die Klassenexistenz nur noch ein äußerer Zwang sei, nicht mehr, als dass sich die Arbeiter in ihrer Haut nicht wohl fühlen und immer seltener in der Lage sind, auch nur den Status quo zu verteidigen. Der Unterschied zu früheren Zeiten, als es ein selbstbewusstes Arbeitermilieu, Arbeiterstolz und die sozialistische Zukunftsvision einer von den Müßiggängern und Bossen befreiten Arbeiterzivilisation gab, soll nicht kleingeredet werden. Das Verschwinden all dessen heißt für sich genommen jedoch nur, dass als Horizont allein die alte Welt bleibt, so offenkundig faul und marode sie auch ist. Neben den heutigen Rufen nach »wirklicher Demokratie«, nach Finanzmarktregulierung, Umverteilung und dergleichen mehr, mit denen die Lohnabhängigen in den alten Metropolen gegen die fortschreitende Prekarisierung protestieren, nimmt sich selbst der abgetakelte Sozialismus von anno dazumal beinahe umstürzlerisch aus.

 

 

Theorie und Projektion

 

 

Dieser trostlosen Realität weicht TC mit einer Operation aus, die aus dem Arsenal eben des alten Linksradikalismus stammt, dessen Überwindung sie sich verschrieben haben: Der Theoretiker projiziert seinen Drang nach Revolution auf die zeitgenössischen Kämpfe. So wie manche Rätekommunisten in jeder der gewerkschaftlichen Gängelung entflohenen Aktion von Arbeitern die Morgenröte der Räterevolution anbrechen sahen, heißt es auch heute triumphalistisch: »Der Kommunismus gehört der Gegenwart an, weil er der Inhalt der aktuellen Praktiken des Klassenkampfs ist.« Als historische Konstante zu Recht ins Reich der Legendenbildung verwiesen, taucht das revolutionäre Wesen des Proletariats plötzlich in der Gegenwart auf: »das Proletariat als Klasse der kapitalistischen Produktionsweise und die revolutionäre Klasse sind identisch«. Bereits der Gedanke eines Ziels und die nüchterne Feststellung, dass dieses Ziel derzeit wenig Freundinnen und Freunde hat, gelten nun als verwerflich, und der selbe kommunistische Theoretiker, der eben keinerlei Scheu kannte, bis auf Punkt und Komma auszubuchstabieren, was Kommunismus ist und was er nicht ist, verfällt in größte Bescheidenheit und will nichts anderes sein als eine Art Protokollant des proletarischen Weltgeistes, dessen Wirken sich vor seinen Augen vollzieht: »Es geht nicht darum, sich die Frage nach dem Endpunkt des Klassenkampfs in einer Zukunft zu stellen, sondern um die Definition selbst des Widerspruchs zwischen Proletariat und Kapital, der jetzt den Klassenkampf darstellt«. Solche Bescheidenheit läuft im Ergebnis auf eine erhebliche Anmaßung hinaus, insofern der Kommunismus des Theoretikers somit nicht länger bloß ein – zudem möglicherweise recht verschrobener – Gedanke des Theoretikers ist, sondern die höhere Weihe verliehen bekommt, die geschichtliche Bewegung selbst auszudrücken. Unsere Überlegungen zum Verhältnis von Theorie und Praxis mögen unbefriedigend sein; noch viel unbefriedigender ist es, das Problem zu lösen, indem man die Differenz kurzerhand leugnet und behauptet, die eigene Theorie sei nichts weiter als der verdichtete, ins Allgemeine gehobene Ausdruck der Kämpfe selbst.

 

 

Diese proklamierte Selbstbeschränkung der Theorie kann von den Verfechtern der Kommunisierung gar nicht durchgehalten werden. Nähme man diese Selbstbeschränkung ernst, würde man an der Debatte um Kommunisierung gerade das kassieren, was an ihr von Belang ist, nämlich den Versuch, die Revolution nach dem Ende des Sozialismus in all seinen Schattierungen neu zu fassen. Indem sie den Gedanken durchspielen, was Revolution an einem historischen Punkt bedeuten kann, an dem sich politische Machteroberung ebenso wie Arbeiterselbstverwaltung als Perspektive offenkundig erschöpft haben, an dem es keine Einheit der Klasse vor ihrer Selbstabschaffung geben kann und sich die Klasse vielleicht nicht einmal als solche erkennen muss, um zur Tat zu schreiten; indem sie etwa betonen, dass in einer revolutionären Krisensituation die Beschlagnahme und kostenlose Verteilung von Gütern die stärkste Waffe des sich selbst aufhebenden Proletariats wäre, sind manche Beiträge zu der Debatte nichts anderes als kommunistische Social Fiction, also eine bewusste Projektion, und gerade das macht sie interessant.26

 

 

Was sie entstellt, ist ein beständiges Abdriften in Mystizismus, letztlich getrieben von Scheu vor dem Begriff der Produktion, die allerdings ebenfalls gebrochen ist. Gerade an diesem entscheidenden Punkt verstricken sich die Theoretiker der Kommunisierung in lauter Widersprüche und landen in heilloser Konfusion; heißt es im einen Satz, dass »die kapitalistische Produktionsweise – wenngleich in widersprüchlicher Weise und nicht als ihre ›gute Seite‹ – es uns bereits erlaubt, die menschliche Tätigkeit als ununterbrochenen, globalen gesellschaftlichen Fluss und den General Intellect oder ›Gesamtarbeiter‹ als dominierende Produktivkraft zu erkennen«, wird im nächsten beteuert, dass sich im »gesellschaftlichen Charakter der Produktion überhaupt nichts ankündigt«27; wurde eben das Produkt schlechthin abgeschafft, taucht es im Revolutionsszenario in verschämten Anführungszeichen, als kostenlos zu verteilendes, wieder auf; gilt die Vergesellschaftung der Arbeit und der Produktionsmittel mal als »A und O der Affirmation des Proletariats«, wird sie unter anderem Namen als einzig revolutionärer Ausweg angepeilt. Es scheint, dass sich die Theoretiker der Kommunisierung mitunter selbst nicht recht verstehen. So bleibt als ihr Verdienst, das Ende einer Epoche und das aus heutiger Sicht Ungenügende an früheren Revolutionsbestrebungen in aller Schonungslosigkeit zu formulieren und die Frage, wie die Eskalation der Klassenkämpfe in den Kommunismus heute vonstatten gehen könnte, immerhin zu stellen.

 

 

Freundinnen und Freunde der klassenlosen Gesellschaft

 

 

Artikel als PDF

 

 

  • 1. »Das Proletariat vollzieht das Urteil, welches das Privateigentum durch die Erzeugung des Proletariats über sich selbst verhängt, wie es das Urteil vollzieht, welches die Lohnarbeit über sich selbst verhängt, indem sie den fremden Reichtum und das eigne Elend erzeugt. Wenn das Proletariat siegt, so ist es dadurch keineswegs zur absoluten Seite der Gesellschaft geworden, denn es siegt nur, indem es sich selbst und sein Gegenteil aufhebt. Alsdann ist ebensowohl das Proletariat wie sein bedingender Gegensatz, das Privateigentum, verschwunden.« Friedrich Engels/Karl Marx, Die heilige Familie oder Kritik der kritischen Kritik, in: Marx Engels Werke (MEW), Bd. 2, 37f.
  • 2. Gilles Dauvé/Karl Nesic, Lieben die ArbeiterInnen die Arbeit?, Beilage zum Wildcat- Zirkular 65 (2002), 31. Anders als TC sind Dauvé und Nesic durch einige Übersetzungen in der Zeitschrift Wildcat auch im deutschsprachigen Raum bekannt. Dieser Text ist, wie einige andere, im Kern eine Auseinandersetzung mit TC, was in den deutschen Versionen mitunter unkenntlich gemacht ist.
  • 3. Teile ihres bis heute andauernden Schlagabtauschs hat die britischamerikanische Zeitschrift Endnotes in ihrer ersten Ausgabe dokumentiert und kommentiert: endnotes.org.uk
  • 4. Karl Marx, Das Kapital. Erster Band, MEW 23, 56.
  • 5. Programm der Kommunistischen Arbeiter-Partei Deutschlands (1920), auf www.marxists.org. Die KAPD gründete sich im Frühjahr 1920 als linksradikale Abspaltung von der KPD, der sie autoritäre »Führerpolitik« und ein Abrücken vom Antiparlamentarismus sowie von der Ablehnung der Gewerkschaften vorwarf. Während sie sich anfangs um eine Mitgliedschaft in der bolschewistischen Dritten Internationale bemühte und sogar die Niederschlagung des Kronstädter Aufstands 1921 rechtfertigte, ging sie bald zu einer scharfen Kritik des russischen »Staatskapitalismus« über. Mit dem Abflauen der revolutionären Welle nach dem Krieg versank die Partei, die zwischenzeitlich bis zu 80.000 Mitglieder gezählt haben soll, bald in Flügelkämpfen und schließlich in der völligen Bedeutungslosigkeit.
  • 6. Gruppe Internationaler Kommunisten (Holland), Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung (1930), Berlin 1970, 176.
  • 7. Vgl. Informations et correspondances ouvrières (ICO), La Grève généralisée en France, mai-juin 1968 [1968], Paris 2007.
  • 8. Paul Mattick, Einleitung, in: Ebenda, VIII.
  • 9. Loren Goldner, »Facing Reality«: Fünfzig Jahre später, Archiv für die Geschichte des Widerstands und der Arbeit 18 (2008).
  • 10. Herbert Marcuse, Das Ende der Utopie. Vorträge und Diskussionen in Berlin 1967, Frankfurt/M. 1980, 10, 14.
  • 11. Ebenda, 34f.
  • 12. Einen Versuch, die derzeitige Krise von der Wertform ausgehend zu entschlüsseln, unternimmt Sander, Eine Krise des Werts, Kosmoprolet 2 (2009).
  • 13. Marx, Kapital. Erster Band, 87.
  • 14. Marx, Kritik des Gothaer Programms, MEW 19, 21.
  • 15. Ausführlicher entwickelt wird dieser Gedanke im vorliegenden Heft von Raasan Samuel Loewe, Produktivkraftkritik und proletarische Bewegung.
  • 16. Blaumachen, The era of riots (update), auf libcom.org. Wie Blaumachen selbst schreiben, wurden die Fabriken niedergebrannt, weil die Bosse seit mehreren Monaten keine Löhne ausgezahlt hatten – ein selbstverständlich legitimes und hoffentlich wirkungsvolles Mittel im Lohnkampf, gewiss auch getragen vom Hass auf die Schufterei in der Fabrik, aber nichts, was über die proletarische Existenz hinausweisen würde. Über weite Passagen treffende Einwände gegen solche Tendenzen unter den Kommunisierern machen auch Sander/Mac Intosh, Is the Working Class Liquidated?, Internationalist Perspective 55 (2011), auch auf internationalistperspective.org.
  • 17. Bruno Astarian, Crisis Activity and Communisation (2010), auf libcom. org. Astarian stimmt in diesem Punkt TC zu, treibt den unmittelbaristischen Mystizismus aber mitunter noch weiter: Auch »die Trennung zwischen dem Bedürfnis und dem Mittel seiner Befriedigung«, die sich als ziemlich aufhebungsresistent erweisen dürfte, gilt ihm als Problem.
  • 18. Théorie Communiste, The suspended step of communisation: communisation vs socialization (2009), auf libcom.org.
  • 19. Da Operaisten bemüht sind, das tatsächliche Verhalten der Klasse zu erforschen, sollte ihnen eine solche historische Fixierung eigentlich fern liegen. Wie jeder empirischen Untersuchung liegen aber natürlich auch den operaistischen bestimmte Annahmen zugrunde, die darüber entscheiden, wonach man überhaupt sucht. Im Fall der Operaisten ist dies die Überzeugung, es komme auf die im unmittelbaren Produktionsprozess gegebene »Arbeitermacht« an, weshalb sie bis heute »entlang der globalisierten produktiven Kooperation« nach den zukunftsweisenden Kämpfen »graben« – »mit mäßigen Erfolgen«, wie sie selbst einräumen (Vorbemerkung zur Beilage Der historische Moment / ArbeiterInnen verlassen die Fabrik, Wildcat 88 (2011)). Zu den daraus folgenden ideologischen Verrenkungen, vgl. I. M. Zimmerwald, Die Abenteuer der Autonomie, Kosmoprolet 1 (2007).
  • 20. R. S., Novemberballade, in: Freundinnen und Freunde der klassenlosen Gesellschaft (Hg.), Rauchzeichen aus den Banlieues. Reflexionen zur Revolte in den französischen Vorstädten, Berlin 2006, 29f.
  • 21. Théorie Communiste, The present moment (2009), auf libcom.org.
  • 22. Was selbstverständlich in keiner Weise originell ist, da diese Entwicklungen recht offensichtlich sind und auch von akademischen und reformistischen Linken diskutiert werden. Im Unterschied zu diesen fassen wir sie allerdings nicht als Folge eines letztlich willkürlichen und somit umkehrbaren »neoliberalen« Politikwechsels.
  • 23. Théorie Communiste, The present moment.
  • 24. Ebenda.
  • 25. The rising power of China’s workers. Why it’s good for the world, The Economist, 31.7.2010.
  • 26. Vgl. etwa Théorie Communiste, Self-organisation is the first act of the revolution; it then becomes an obstacle which the revolution has to overcome (2005); The suspended step of communisation (2009), beide auf libcom.org
  • 27. Théorie Communiste, Self-organisation is the first act.