Nach dem Sturm auf die Grenzen

07. Juni 2017

Wir dokumentieren hier den Erfahrungsbericht von Genossen aus Berlin (zuerst erschienen auf Lower Class Magazine). Sie haben sich im Zuge des »kurzen Sommers der Migration« mit Flüchtlingen in Berlin-Neukölln organisiert, um genmeinsam gegen die Unterbringung in Lagern und Verschärfung der Asylgesetze vorzugehen. Auch wenn die Genossen an vielen Fragen gescheitert sind, so wurden doch wichtige Erfahrungen gemacht, die in dem Text zur Diskussion gestellt werden.

Ein Freund der klassenlosen Gesellschaft

 

Nach dem Sturm auf die Grenzen

Kurz vor dem staatlich verordneten Ende des «kurzen Sommers der Migration» im Herbst 2015 haben wir angefangen, uns im Berliner Stadtteil Neukölln mit Geflüchteten zu organisieren und den Schwung des europäischen Grenzsturms gemeinsam zu nutzen, um gegen die Isolation und Entsolidarisierung durch das Lagersystem und die Verschärfung der Asylgesetze vorzugehen. Nach eineinhalb Jahren stellen wir nun unsere Erfahrungen und Erkenntnisse zur Diskussion und ziehen Bilanz.

Mit der sogenannten Flüchtlingskrise setzten Teile der radikalen Linken auf das Konzept der »Autonomie der Migration«, hofften, dass die neuen Migranten Schwung in die hiesige antirassistische Bewegung bringen und durch die veränderte Klassenzusammensetzung neue Kämpfe entstehen würden. Beeindruckt vom kollektiven Sturm auf die europäischen Grenzen erwarteten nicht wenige, dass die migrantischen Erfahrungshintergründe (arabischer Frühling, selbstorganisierte Migrationsbewegung) eine neue Perspektive für die sozialen Kämpfe in Europa eröffnen könnten. Jenseits von unkritischer Euphorie haben auch wir uns anfangs erhofft, mit den neuen Migranten Erfahrungen auszutauschen und im besten Fall gemeinsame Kämpfe zu entwickeln.

Im Herbst 2015 haben wir deshalb in Neukölln angefangen, diverse Flüchtlingslager in Berlin zu besuchen, um uns selbst ein Bild von der Situation zu machen. Anstatt den privaten Betreibern der Flüchtlingslager unter die Arme zu greifen und so die Untätigkeit staatlicher Behörden zu kompensieren, wollten wir direkte Kontakte zu den Geflüchteten aufbauen. Dabei haben wir uns gefragt: Wer sind die neu eingereisten Migranten in Berlin? Welche Wünsche und Erfahrungen bringen sie mit? Wie gehen sie mit den Schikanen der Behörden wie LaGeSo, der Ausländerbehörde und den Lagerverwaltungen um?

Im Rahmen des stadtweiten Vernetzungstreffens der No-Lager-Organisierung trafen wir auf andere, die unsere Kritik an staatlichen Strukturen teilten und versuchen wollten, jenseits paternalistischer Fürsorge Kontakte in den verschiedenen Stadtteilen aufzubauen. Es bildeten sich Gruppen u. a. in Friedrichshain, Neukölln, Tempelhof und im Wedding.

Die Willkommenskultur zwischen Opposition und staatlicher Einbindung

Die chaotischen Zustände im Sommer und Herbst 2015 haben eine mögliche Bruchlinie, mindestens aber eine kurzweilige Überforderung des Staates aufgezeigt. Dazu hat auch die große Bereitschaft eines weiten gesellschaftlichen Spektrums beigetragen, sich für Geflüchtete zu engagieren – zum Beispiel durch Spendensammeln, gemeinsame Freizeitaktivitäten, Sprachunterricht oder politische Aktionen. Dadurch sind über einen kurzen Zeitraum »Parallelstrukturen« entstanden, die die staatliche Migrationskontrolle teilweise unterminiert und die Untätigkeit des Staates sichtbar gemacht haben. Dazu kam, dass sich auf Bundes- und Länderebene (kurz vor mehreren Landtagswahlen) Konflikte um die Frage der Bewältigung der neuen Migrationsbewegungen verschärften und den politischen Normalbetrieb ausbremsten.

Auch wenn wir viele Momente der sogenannten »Willkommenskultur« kritisch hinterfragt haben, halten wir es für wichtig, dass sich weite Teile der Bevölkerung ganz konkret mit Geflüchteten solidarisiert, staatliche Strukturen in Frage gestellt und sich teilweise auch über diese hinweggesetzt haben.

Mittlerweile wurden Teile der »Willkommenskultur« in staatliche Bahnen gelenkt, viele sind jetzt Lohnarbeiter im Flüchtlingsbusiness – als Sozialarbeiter, Lehrer oder Sicherheitsbedienstete. Diese Einbindung in den Staatsapparat stößt in der radikalen Linken zu Recht auf Kritik, allerdings ist sie keine hinreichende Erklärung für das Ausbleiben einer massenhaften Selbstorganisierung. Die praktische Unterstützung blieb insgesamt auf die unmittelbare (Not-)Hilfe beschränkt und konnte keine neue Dynamik in antirassistische Kämpfe und Klassenkonflikte bringen.

Individualisierung statt massenhafter Kämpfe

Nach der Ankunft in Deutschland fand unter den Geflüchteten eine zunehmende Individualisierung statt. Untergebracht in zum Teil riesigen Lagern, isoliert vom Rest der Bevölkerung, müssen sie sich mit ihnen unbekannten bürokratischen Prozessen herumschlagen. Sie sind gezwungen, im Asylverfahren Interviewern Rede und Antwort zu stehen, die meist in Crashkursen lediglich in verwaltungstechnischer Hinsicht auf ihr neues Betätigungsfeld vorbereitet wurden. Anstatt gemeinsam ungarische Grenzkontrollen zu überrennen und österreichische Autobahnen zu überqueren, stehen die Geflüchteten nun vereinzelt den staatlichen Behörden gegenüber und müssen sich in der Konkurrenz um Wohnraum und Ausbildung gegen andere behaupten.

Unsere Hoffnungen haben sich bis auf weiteres zerschlagen. So kann von einem Common Ground für gemeinsame Kämpfe momentan kaum die Rede sein. Die schnell durchgepeitschte Verschärfung der Asylgesetze (Asylpaket I) im Oktober 2015 war nur ein erster Vorgeschmack darauf, wie in Zukunft mit den neu Eingereisten verfahren werden sollte. Die Spaltungen nach Ethnie und Nationalität verschärften sich. Während viele Menschen afghanischer, syrischer und irakischer Herkunft Tag und Nacht unter immer beschisseneren Bedingungen vor dem Berliner LaGeSo stehen mussten, um einen Termin für die Erstregistrierung zu bekommen – mit dem sich die Hoffnung auf eine Wohnung, einen Aufenthaltstitel und damit auf einen Start in ein besseres Leben in Deutschland verbindet – änderten die Menschen aus Ländern des Balkans ihre Strategie: Krankschreibungen, Verschiebungen von Terminen und Untertauchen wurden zur allgemeinen Praxis, um drohenden Abschiebungen aus dem Weg zu gehen.

Spätestens ab dem Winter 2015/2016 kam es zu weiteren Spaltungstendenzen. So wurden Syrer von Behörden wie BAMF und LaGeSo bevorzugt behandelt, bekamen schneller ihre (wenn auch nur befristeten) Aufenthaltstitel und somit Zugang zu Wohnungen, Sprachkursen etc. Im Gegensatz zu vielen anderen gilt ihre Bleibeperspektive zumindest für die nächsten Jahre als gesichert.

Erste Einblicke in die Lager

Bereits früh wurde klar, dass wegen der großen Anzahl an neuen Migranten die Frage der Unterbringung ein zentrales Thema sein wird. Für den Staat, weil er in einer von Wohnungsnot geplagten Stadt plötzlich Massenunterkünfte und bezahlbare Wohnungen bereitstellen muss, und für die Geflüchteten, weil sie eine mehrjährige Unterbringung in Massenlagern befürchten müssen.

Ab Oktober 2015 besuchten wir unterschiedliche Lager, verteilten Flugblätter zu Beratungsangeboten in Berlin und versuchten, mit Flüchtlingen ins Gespräch zu kommen. Aufgrund der Sprachbarrieren war dies zu Beginn jedoch nur bei englischsprechenden Geflüchteten möglich. Mit einigen Tricks gelang es uns anfänglich noch, in die Lager reinzukommen. Wir nutzten das strukturelle Chaos und behaupteten zum Beispiel, als ehrenamtliche Helfer in Schichtplänen eingetragen zu sein. Auch wenn im ersten Moment vielen Flüchtlingen nicht klar war, ob es uns um Hilfe oder neue Informationen zu den Asylverfahren oder anderen wichtigen bürokratischen Fragen ging, konnten einige mit unserer Botschaft etwas anfangen: «Vom Staat braucht ihr euch keine Hilfe zu erhoffen. Wenn ihr etwas an eurer Situation ändern wollt, müsst ihr euch selbst organisieren. Wir sollten uns austauschen und über eure Lage sprechen.» Viele hatten schon nach wenigen Wochen die Schnauze voll von der Lagern, dem Nichtstun und dem Abwarten.

Es war uns leider nur kurzzeitig möglich, selbst einen Einblick in das größte Lager Berlins, die ehemaligen Hangars des Tempelhofer Flughafens, zu erhalten und so vor Ort selbst nachzuvollziehen, was es praktisch bedeutet, wenn private Institutionen die Organisation von Lagern übernehmen. Die Brisanz ihres neuen konfliktträchtigen Geschäftsfeldes war der Betreiberfirma Tamaja durchaus bewusst – ihr Chef Michael Elias sorgte bald dafür, dass die eigenen Strukturen nicht durch politische Gruppen infiltriert wurden. Sämtliche Besuche wurden unterbunden, die Securities zu hartem Durchgreifen aufgefordert und Mitarbeiter, die sich der Anliegen der Geflüchteten solidarisch annahmen, kurzerhand entlassen.

Selbstorganisation im Stadtteilladen

In Kooperation mit Leuten der Weisekiezinitiative konnten wir in kurzer Zeit ein lebhaft besuchtes Flüchtlingscafé im Stadtteilladen Lunte organisieren. Es entstand ein Raum, in dem wir uns jenseits der bedrückenden Atmosphäre der Lager kennenlernen konnten. Trotz der genannten Trennungslinien kamen in den ersten Wochen durchschnittlich 40 bis 50 Leute aus verschiedenen Lagern. Hier und da versuchten wir, individuelle Probleme gemeinsam zu lösen. Uns war es aber von Anfang an wichtig, über die bloße Organisierung eines Flüchtlingscafés hinaus mit den Migranten in eine politische Auseinandersetzung zu gehen, über ihre und unsere Situation ins Gespräch zu kommen und auszuloten, wo wir gemeinsame Interessen haben und was wir praktisch zusammen tun können.

Ins Café kamen viele Afghanen, die angesichts mangelnder Jobalternativen ausländische Militäreinheiten im Kampf gegen die Taliban unterstützt haben, Syrer, die bereits gegen Assad auf die Straße gegangen sind, Iraner, die die rigide Gesellschaftsordnung in ihrem Herkunftsland nicht mehr ertragen haben, und Pakistaner, die keinen Bock mehr auf Drangsalierungen durch Taliban-Gangs und permanente Arbeitslosigkeit hatten. Während viele der Syrer die deutsche Migrationspolitik offen ablehnten und die Rolle Merkels kritisierten, waren viele der afghanischen Geflüchteten den Verlautbarungen der deutschen Regierung gegenüber anfangs tendenziell positiv gestimmt.

Nach einigen Monaten Lagerunterbringung und schikanöser Behandlung organisierten die Geflüchteten aus dem Lager in Tempelhof und anderen Bezirken mit unserer Unterstützung eine erste Demonstration, um gegen die Unterbringung in Lagern zu protestieren. Mit mehreren hundert Teilnehmenden war es der erste größere selbstorganisierte Protest von Geflüchteten im Winter 2015/2016. Da sich an der Situation in den Lagern jedoch kaum etwas änderte, wandten sich einige afghanische Geflüchtete ratsuchend an uns. Angesichts ihrer desolaten Lebenssituation hatten sie vor, einen Hungerstreik durchzuführen. Daraufhin organisierten wir mit einem türkischen Genossen, der einerseits selbst Erfahrung mit Hungerstreiks gesammelt hat und andererseits bereits an den Protesten am Kreuzberger Oranienplatz beteiligt war, eine größere Diskussionsrunde in der Lunte. Nach langen Diskussionen kamen letztendlich alle Beteiligten zu dem Schluss, dass ein Hungerstreik zum einen ungewollte Konsequenzen mit sich bringen kann (wie z.B., dass Familien von den Behörden auseinander gerissen werden, wenn Minderjährige beteiligt sind), und zum anderen immer das letzte Mittel politischen Protests sein sollte.

Auffällig war, dass viele der Syrer, die anfangs noch in die Lunte kamen, nach einigen Wochen nicht mehr auftauchten. Vermutlich spielte dabei ihre bevorzugte Behandlung von staatlicher Seite vor allem bei der Vergabe von Aufenthaltstiteln eine große Rolle. So lag es für sie verständlicherweise näher, an Sprachkursen teilzunehmen, sich Wohnungen zu suchen und mit dem Start ihres neuen Lebens zu beginnen, als sich mit deutschen Linksradikalen gegen den Staat und sein Migrationsmanagement zu organisieren. Angesichts ihrer deutlich prekäreren Lebenssituation verwundert es kaum, dass die meisten in der verbleibenden Gruppe Afghanen waren, die regelmäßig kamen und bis heute kommen. Das neue Abkommen zwischen der EU und der afghanischen Regierung wird diese Spaltungstendenz weiter verstärken.

Vom Flüchtlingscafé auf die Straße

Wir bereiteten daraufhin gemeinsam mit Geflüchteten vorwiegend im Rahmen des Cafés mehrere Demonstrationen gegen die Lebensbedingungen in den Lagern und für billigen Wohnraum vor.

Im Zuge des Berliner Wahlkampfs sollten im Schnellverfahren alle Sporthallen, in denen noch Geflüchtete untergebracht waren, geräumt werden, um sie im neuen Schuljahr wieder regulär nutzen zu können. Dagegen regte sich an mehreren Orten Protest – nicht weil die Geflüchteten in den Sporthallen ein neues Zuhause gefunden hatten, sondern weil die Aussicht, bald in das Massenlager in Tempelhof umzuziehen, für viele eine Horrorvorstellung war. Sie wollten in den Kiezen bleiben, in denen sie neue Freunde gefunden hatten und ihre Kinder in die Kita oder zur Schule gehen.

Im Juli 2016 weigerte sich dann eine Gruppe von Geflüchteten, die seit einem Jahr in der Jahnsporthalle am Neuköllner Columbiadamm untergebracht waren, in die Tempelhofer Hangars umzuziehen. In diesem Kampf um die Aufrechterhaltung des Status Quo wurden die Schwäche der »Bewegung« und die aktuellen gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse offenbar. Der fast dreiwöchige Protest konnte zwar viel Aufmerksamkeit erreichen und für kurze Zeit entstand ein neuartiges Bündnis zwischen den Protestierenden aus der Jahnsporthalle, Geflüchteten und Radikalen aus dem Flüchtlingscafé, ehemaligen Besetzern des Oranienplatzes und versprengten Radikalen. Von den etwa 130 Bewohnern der Jahnsporthalle beteiligten sich allerdings fast ausschließlich junge Männer aus Syrien an dem Protest, während 100 vor allem afghanische und pakistanische Flüchtlinge wohl aus Angst vor Repression größtenteils widerstandslos in das Tempelhofer Lager umzogen.

Der Protest war insofern erfolgreich, als den Protestierenden nach mehreren Wochen eine Zwischenlösung in einer anderen Sporthalle angeboten wurde, aber mit dem »Sieg« kam auch eine bittere Niederlage. Obwohl beim Versuch, den Kampf auf andere Lager auszuweiten, ein großes Diskussions- und Organisierungstreffen zustande kam, gelang es nicht, gemeinsame Proteste der Flüchtlinge in den Hangars und derjenigen, die sich weigerten, dorthin zu ziehen, auf die Beine zu stellen. Die syrischen Flüchtlinge handelten einen Deal mit dem Chef von Tamaja, dem Betreiber u.a. der Lager in der Jahnsporthalle und in den Tempelhofer Hangars, aus und wollten sich – verständlicherweise – erstmal ausruhen nach dem kräftezehrenden Protest. Zudem äußerten einige eine wohl berechtigte Sorge: «Wir wollen keinen Konflikt mit dem deutschen Staat, nur wenn es sein muss, das heißt, wenn wir in das Massenlager in Tempelhof umziehen müssen». Bitter scheint uns diese Niederlage, weil die Syrer aus der Jahnsporthalle genau in dem Moment einen Deal aushandelten und den Widerstand für beendet erklärten, als sich vor allem. Afghanen aus dem Tempelhofer Flughafengebäude einen gemeinsamen Kampf gegen die Lagerunterbringung führen wollten,. Wir verurteilen diese Entscheidung nicht, aber wie so oft zeigte sich in dieser Situation, dass eine Ausweitung und Radikalisierung des Kampfes an dem Wunsch scheitert, das bereits Erreichte nicht aufs Spiel zu setzen. Wie lange Geflüchtete, die durch die lange Unterbringung in den Hangars körperlich und psychisch ausgezehrt sind, einen solchen Kampf durchgehalten hätten, ist allerdings ohnehin fraglich.

Ein gescheiterter Versuch: ein Treffpunkt für geflüchtete Frauen

Wir stellten bereits nach kurzer Zeit fest, dass das Flüchtlingscafé zwar jede Woche gut besucht war, von anfänglichen Ausnahmen abgesehen aber fast nur Männer kamen. Es war offensichtlich, dass wir dieser rigiden Geschlechtertrennung, die wir zwar zwischen uns und den männlichen Geflüchteten zügig aufbrechen konnten, anders begegnen mussten. So beschlossen die Frauen aus unserem Zusammenhang, im Neuköllner Mädchentreff Schilleria einen Treffpunkt ausschließlich für Frauen zu organisieren. Aufgrund unserer Kontakte in die Lager war bereits das erste Frauencafé ein Erfolg – viele Frauen kamen und brachten ihre Kinder mit. Weniger erfolgreich war der Verlauf. Wir waren schlecht vorbereitet auf Kinder, die über Monate oder Jahre in Massenunterkünften und unter traumatisierenden Umständen aufgewachsen sind, und Mütter, die hauptsächlich das verständliche Interesse hatten, endlich wieder einen Ort zu haben, an dem sie kochen konnten. Es gestaltete sich schwierig, die Frauen besser kennenzulernen, was nicht nur auf die sprachliche Barriere zurückzuführen ist. Im Gegensatz zu den Männern bringen die Frauen oft keinerlei Fremdsprachenkenntnisse mit und landen deutlich seltener in Deutschkursen. Es gab auch deutlich weniger gemeinsame Bezugspunkte und Interessen – was auch nicht verwunderlich ist, da wir es mit Frauen aus Afghanistan, einem stark patriarchal geprägten Land, zu tun hatten, die ihr ganzes Leben lang daran gehindert wurden, sich selbständig im öffentlichen Raum zu bewegen und Neues kennenzulernen. Unsere Ideen, z.B. Frauen von Women in Exile einzuladen, um sich über ihre Situation und über Selbstorganisierung und Kämpfe von anderen migrierten Frauen auszutauschen, stießen nicht auf großes Interesse. Die Besucherinnen des Cafés wollten vor allem kochen, stricken und Deutsch lernen. Wir hatten andere Erwartungen gehabt; vor allem deshalb beendeten wir das Projekt nach einem halben Jahr.

Zwischen Einzelfallhilfe und politischer Organisierung

Angesichts der objektiven Situation, in der Geflüchtete in Deutschland erstmal stecken (keine Wohnung, keine Arbeit, unklare Bleibeperspektive, mangelhafte medizinische Versorgung), ist es nicht verwunderlich, dass wir uns oft in der Rolle der Helfenden in alltäglichen Problemsituationen wiederfanden. Das Gesundheitssystem, die Sozialbehörden, der Wohnungsmarkt und natürlich die Ausländerbehörde sind so organisiert, dass die Geflüchteten mehrheitlich kaum alleine damit klarkommen können. Es stellt sich hier die Frage, ob es auch in der sogenannten Sozialen Arbeit Momente gibt, die eine politische Selbstermächtigung fördern können. Der Anspruch müsste unseres Erachtens sein, Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten und zusammen mit Geflüchteten ein Netzwerk aufzubauen, das einerseits praktischen Erfordernissen wie Behördengängen und der Weitergabe von Informationen und Kontakten dient und andererseits Raum für politische Artikulation und Mobilisierung bietet. An dieser Aufgabe sind wir aufgrund vieler Faktoren vorerst gescheitert.

Sämtliche Geflüchtete stecken in einer derart prekären Lebenssituation, dass Handlungsspielräume begrenzt sind und wenig Aussicht auf erfolgreiche Kämpfe besteht.

Von staatlicher Seite haben wir von Anfang an keinerlei Zugeständnisse erwartet, im Gegenteil sind wir seit Beginn der sogenannten Flüchtlingskrise davon ausgegangen, dass die Regierung die Asyl- und Ausländergesetzgebung weiter verschärfen wird. Aufgerieben zwischen dem Versuch der politischen Selbstorganisierung und Einzelfallhilfe schwand allmählich unsere Energie. Zudem gab es wenige Geflüchtete, die an einer kontinuierlichen politischen Zusammenarbeit interessiert waren. Viele von ihnen blieben »Besucher«, die nur solange im Café vorbeikamen, wie sie individuelle Hilfe benötigten. Eine Erfahrung, die in linken Kreisen nicht neu ist, wie z.B. das Bündnis gegen Zwangsräumungen beweist, und die wir kritisch diskutieren sollten.

Ausblick

Mit unserer politischen Intervention sind wir vorerst gescheitert. Die soziale und politische Situation der neuen Migranten hat sich seit dem Sommer 2015 zunehmend verschlechtert und ist immer unübersichtlicher geworden. In Windeseile wurden Gesetze geändert und für hunderttausende Geflüchtete neue Fakten geschaffen. Um nur einige Beispiele zu nennen: Abschiebungen müssen seit Inkrafttreten des Asylpakets I nicht mehr angekündigt werden, Teile Afghanistans werden zu sicheren Zonen erklärt, mit der Verschärfung des Integrationsgesetzes wurde durch ein Hintertürchen auch für anerkannte Flüchtlinge eine Lagerpflicht eingeführt und Duldungen für Auszubildende werden nur dann erteilt, wenn keine «konkreten Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung» bevorstehen. Eine breitere Bewegung gegen die neuen Asylgesetze oder die zunehmenden Abschiebungen nach Osteuropa und Afghanistan ist aufgeblieben.

Es wäre falsch, sich wegen der politischen Großwetterlage von zentralen Forderungen wie der nach einem generellen Abschiebestopp und der Abschaffung von Lagern zu verabschieden. Wir sind zwar mit unseren ursprünglichen Anliegen gescheitert, nichtsdestotrotz haben wir viele Beziehungen zu Geflüchteten geknüpft, aus denen sich vielleicht noch mehr entwickeln kann, falls es zu größeren Auseinandersetzungen um Gesetzesverschärfungen, Arbeitsverhältnisse oder Wohnraum kommt. Kämpfe von Geflüchteten als Geflüchtete sind bislang weitgehend ausgeblieben. Es wird darauf ankommen, ob und wie sie Teil breiterer Konflikte werden. Wäre es nicht vorstellbar, dass Stadtteilaktivisten und Flüchtlinge gemeinsam die streikenden Flughafenarbeiter unterstützen und gleichzeitig am Flughafen Tegel gegen Abschiebungen demonstrieren und anschließend zusammen mit zahlreichen Unterstützern die Stadtautobahn besetzen? Was würde passieren, wenn die nächste Kiezdemo mit dem Thema bezahlbarer Wohnraum für alle vor dem Massenlager Tempelhof startet und die Migranten mit in die Mobilisierung mit einbezieht?

einige Linksradikale aus Neukölln